Versicherer: Die Komplizen der fossilen Industrie
Deutsche Versicherungen feuern weitgehend unerkannt die Klimakrise an – trotz ihrer Nachhaltigkeitsversprechen. Neue Dokumente beweisen: Die Allianz und Tochterfirmen von Hannover Re, Talanx und Munich Re versichern klimaschädliche LNG-Terminals in den USA.
Inmitten eines Sumpfgebietes liegt das Cameron-LNG-Terminal, Louisiana. An allen Seiten grenzen kleine Seen an die Industriefläche. Hier wird flüssiges Erdgas aufbereitet und auf Tanker geladen. Immer wieder wird dabei unsauber gearbeitet. Gefährliche Gase entweichen in die Atmosphäre: Benzol, krebserregend. Pentan, leicht entzündlich. Methan, um ein Vielfaches klimaschädlicher als CO₂.
Von dem Terminal in den Südstaaten der USA wird Flüssiggas in die ganze Welt gesendet. Auch nach Europa. Aber es gibt noch eine andere geheime Verbindung nach Deutschland. Denn schaut man auf die Liste der Versicherer des Terminals, finden sich darauf auch deutsche Namen.
Darunter die Allianz, die als Unternehmensziel Nachhaltigkeit angibt. Seit 2023 versichert sie daher keine neuen Öl- und Gasfelder mehr. Doch fossile Infrastruktur wie LNG-Terminals wird von der Allianz weiterhin unterstützt. Das zeigen Versicherungsverträge, die die beiden US-amerikanischen NGOs Public Citizen und Rainforest Alliance mehr als ein Jahr bei amerikanischen Behörden erkämpften und die CORRECTIV vorliegen.
Neben der Allianz sind weitere deutsche Versicherer an den LNG-Projekten in den USA beteiligt. So finden sich auf aktiven Verträgen auch Tochtergesellschaften des deutschen Versicherers Talanx und der Rückversicherer Munich Re und Hannover Re. Die Rolle von Rückversicherern ist zentral, denn sie fungieren als Versicherer von Versicherern. Sie übernehmen besonders hohe Risiken, springen ein, wenn der Schaden höher ist als im Vorhinein von der Versicherung kalkuliert wurde.
Die Verträge sollen geheim bleiben
Normalerweise bleibt die Zusammenarbeit von Versicherern und fossilen Unternehmen unter dem Radar, denn sie halten ihre Versicherungsverträge geheim. Man äußere sich „grundsätzlich nicht zu einzelnen Unternehmen oder Kundenbeziehungen“, schreibt eine Pressesprecherin der Allianz auf Nachfrage.
„Versicherer sind die verborgenen Helfer der fossilen Industrie“, sagt Regine Richter von Urgewald, einer deutschen Organisation, die sich für Umweltschutz und Menschenrechte einsetzt. Es sei sehr schwer, an Versicherungsverträge zu kommen. Obwohl sich die großen deutschen Versicherer wie Allianz, Talanx, Hannover Re und Munich Re Nachhaltigkeit auf die Fahne schreiben würden und bereits Einschränkungen im fossilen Bereich machten, gingen sie nicht weit genug. Es blieben noch zu viele Möglichkeiten, den Ausbau von fossilem Öl und Erdgas massiv zu unterstützen, wie man im Bereich LNG-Terminals sehe. „Da müssen die Unternehmen noch mehr tun und auch diese fossilen Projekte ausschließen“, so Richter.
Die Versicherungsverträge
In Versicherungsverträgen ist ganz genau festgeschrieben, in welchen Fällen Versicherungen mit Zahlungen einspringen. Zum Beispiel kann dort stehen, ob sie die Kosten für Schäden bei Wind, Fluten, Erdbeben oder auch Terrorismus übernehmen. Meist werden die Verträge von Dritten, den sogenannten Brokern, ausgehandelt. Wegen der immensen Summen springt nie nur ein einzelner Versicherer ein, sondern die Verantwortlichkeiten werden aufgeteilt. Die Verträge, die CORRECTIV vorliegen, sind jeweils nur für ein Jahr gültig. Normalerweise werden diese Verträge von Versicherungen und Unternehmen streng geheim gehalten. Nach monatelanger Arbeit haben die beiden US-amerikanischen NGOs Public Citizen und Rainforest Alliance Verträge von den folgenden Projekten bekommen. Versicherer aus der ganzen Welt sind beteiligt, CORRECTIV hat sich für diese Recherche auf die deutschen Akteure konzentriert:
- Cameron-LNG-Terminal, Louisiana (gültig 2023-2024). Versichert unter anderem von Allianz Global Risks US; Great Lakes Insurance SE (Munich Re); HDI Global Speciality SE (Talanx)
- Gulf LNG, Mississippi (gültig 2023-2024). Versichert unter anderem von HDI Speciality Insurance Company (Talanx)
- Puget LNG, Washington (gültig 2023-2024). Versichert unter anderem von Allianz Global Risks US; Great Lakes Insurance SE (Munich Re); 2121 ARG Lloyd’s Syndicate (Hannover Re)
- Sabine Pass LNG, Texas/Louisiana (gültig 2012-2013). Versichert unter anderem von Allianz Global Risks US Ins. Co; Great Lakes Reinsurance (UK) PLC (Munich Re); ARG 2121 Lloyd’s Syndicate (Hannover Re)
Kein Geld ohne Versicherung
Für die deutschen Versicherer sind fossile Firmen nach wie vor gute Kunden. So wie jedes Auto, das eigene Haus und die Reise ins Ausland versichert werden müssen oder können, werden auch große Projekte wie Kohleminen oder Ölbohrungen abgesichert. Das ist wichtig für die Unternehmen selbst und Geldgeber wollen sichergehen, dass sie ihre Kredite irgendwann wieder zurückbekommen.
„Wenn ab morgen keine Versicherungsgesellschaft mehr Ölbohrplattformen oder Pipelines versichern würde, dann würden diese Aktivitäten sehr schnell massiv einbrechen, weil das Risiko einfach zu groß wäre“, sagt Marcel Meyer, Leiter des Bereiches Nachhaltigkeit bei Deloitte Schweiz, einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft.
LNG-Terminals werden weiterhin unterstützt
Die Allianz ist nicht der einzige Versicherer, der die fossile Industrie über die Hintertür finanziert: Auch Talanx – wozu auch Hannover Re gehört – und Munich Re haben öffentlich erklärt, keine neuen Öl- und Gasfelder mehr versichern zu wollen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Versicherungsunternehmen die Förderung fossiler Energie komplett stoppen. Sie finden dafür nur andere Wege: Anstatt konkrete Projekte zu versichern, bieten sie Versicherungen für die Unternehmen oder für deren Infrastruktur wie Pipelines oder LNG-Terminals.
Wie die Versicherer die fossilen Projekte in ihrem Portfolio behalten können, zeigt ein Blick in die Bilanzen der Allianz: Zwar versichert das Unternehmen seit 2022 offiziell keine Entwicklung von Öl- und Gasfeldern mehr. Aber in einer Fußnote findet sich der Passus, dass Ausnahmen erlaubt werden können, wenn es um „Energiesicherheit“ geht. Außerdem gibt es keine Einschränkungen für die Midstream-Infrastruktur von Gas. Das heißt, jegliche Infrastruktur zum Transport von Gas kann versichert werden. 2022 übernahm die Allianz laut einem Bericht von Greenpeace Nordic außerdem Unternehmensversicherungen für Vår Energi. Das Unternehmen plant in Norwegen neue Öl- und Gasförderungen.
Die Allianz begründet ihre Versicherung von Flüssiggas gegenüber CORRECTIV mit dem derzeitigen „Energiebedarf in Europa“ und mit den fehlenden Gasimporten aus Russland. Eine „vollständige Beschränkung von Flüssiggas“ sei momentan „weder ökonomisch noch gesellschaftspolitisch sinnvoll“. Im Unternehmen setze man bei Versicherungen und bei der Anlage von Versicherungsgeldern auf eine „Netto-Null-Emissions-Strategie für 2050 mit verbindlichen Zwischenzielen bis 2030“. Die Allianz stelle seit dem 1. Januar 2023 keine „Schaden- und Unfallversicherung für Unternehmen zur Verfügung, die neue Öl- oder Gasfelder erschließen“. Außerdem würden Ausschlusskriterien für die Konstruktion von Öl-Infrastruktur, für die Konstruktion neuer Ölkraftwerke und für Öl- und Gasförderung in der Arktis und Antarktis gelten.
Versicherer stellen fossile Weichen in die Zukunft
Die Versicherungsverträge, die CORRECTIV vorliegen, betreffen LNG-Terminals in den USA. Drei davon sind aktuell noch gültig, eins zeigt vergangene Versicherungen. Auch der Baustatus der Projekte variiert. Das Cameron-LNG-Terminal beispielsweise ist bereits seit knapp fünf Jahren in Betrieb. Jährlich können dort 12 Millionen Tonnen flüssiges Erdgas exportiert werden. Der Versicherungsvertrag ist noch bis Juni 2024 gültig. Versicherer in diesem Fall sind unter anderem die Allianz, eine Tochterfirma des deutschen Versicherers Talanx und eine Tochterfirma von Munich Re:
Das Cameron-LNG-Terminal soll in Zukunft erweitert werden, ein anderes Projekt erst noch für den Expot ausgebaut werden: das Gulf Terminal in Mississippi. Beteiligt an der Versicherung ist hier wieder eine Talanx-Tochter. Der Versicherungsvertrag ist noch bis April 2024 gültig. Über Jahre ist hier der weitere LNG-Export geplant – von einem Umbau hin zu klimafreundlicher Wasserstoff-Infrastruktur wie in Deutschland ist nirgends die Rede. Die Versicher unterstützen damit, dass die Weichen für eine fossile Zukunft gestellt werden.
Dass sie die LNG-Terminals versichern, will keiner der Versicherer CORRECTIV gegenüber bestätigen. „Zu Einzelrisiken und eventuellen Kundenbeziehungen können wir uns aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht äußern“, schreibt Talanx, wozu auch Hannover Re gehört. Auch die Allianz begründet ihre Verschwiegenheit mit Gründen der Vertraulichkeit. Eine Sprecherin von Munich Re schreibt, dass das Unternehmen sich zu konkreten Projekten nicht äußere, „unabhängig davon, ob wir beteiligt sind oder nicht“.
Darauf hingewiesen, dass am Cameron-LNG-Terminal klimaschädliches Methan entweicht, verweist die Allianz auf eine Zusammenarbeit mit den Unternehmen zur „Dekarbonisierung“ der Wirtschaft. Der Versicherer erwarte von den größten Öl- und Gasproduzenten ab dem 1. Januar 2025 „eine Selbstverpflichtung zu einem Netto-Null-Emissions-Ziel über ihre gesamte Wertschöpfungskette“, schreibt eine Sprecherin auf Anfrage von CORRECTIV.
Das Märchen vom umweltfreundlichen Erdgas
Die Geschäfte der deutschen Versicherer befeuern nicht nur den Ausbau von LNG-Terminals in den USA, sondern auch die Klimakrise. Zwar wird Erdgas häufig als Brückentechnologie unter den fossilen Energien bezeichnet. Und tatsächlich verbrennt das Gas auf den ersten Blick sauberer als Kohle und Öl. Bei Flüssiggas spielen aber auch die sogenannten Vorkettenemissionen eine Rolle. Also einfach gesagt, der Klimaschaden, der schon vor der Verbrennung in Europa entsteht. Es geht dabei um zwei Bereiche: Einerseits muss Erdgas für den Transport verflüssigt und dafür stark heruntergekühlt werden. Das kostet sehr viel Energie. Zweitens entweicht bei der Förderung von Erdgas meist sehr viel Methan. Jede Tonne dieses Gases ist sehr viel klimaschädlicher als die gleiche Menge CO₂.
„Durch die Vorkettenemissionen kann man bei Flüssiggas ungefähr nochmal 50 Prozent an Klimaschädlichkeit draufrechnen“, sagt Gunnar Luderer gegenüber CORRECTIV. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Erzählung vom umweltfreundlichen Erdgas sei deshalb nicht aufrechtzuerhalten. „Wir haben hier in Europa unser schönes Emissionshandels-System, aber ungefähr ein Drittel der klimaschädlichen Gase wird damit überhaupt nicht erfasst“, sagt Luderer. Es sei „erbärmlich“, wie schlecht der Methan-Ausstoß bisher reguliert werde, „auch in den USA“.
Biden tritt auf die Gas-Bremse
Durch die Vorkettenemissionen ruiniert der Erdgas-Export die Klimabilanz der USA. Das erkannte vor Kurzem auch der amerikanische Präsident Joe Biden. Ende Januar 2024 legte er alle neuen Genehmigungen für LNG-Terminals in den USA auf Eis. Bereits aktive Projekte dürfen weiterhin betrieben werden. Darunter das Cameron-LNG-Terminal, abgesichert unter anderem durch Allianz und Tochterfirmen von Talanx und Munich Re. Der Ausbau des Cameron-LNG-Terminals könnte allerdings durch die Biden-Entscheidung gestoppt werden.
Keiner will mehr Kohle versichern
Wie Versicherer Einfluss auf den fossilen Markt nehmen können, zeigt sich am Beispiel Kohleabbau. Durch ihren Ausschluss von Kohle aus dem Portfolio verteuern Versicherungen das fossile Geschäft. Gleichzeitig unterstützen sie indirekt erneuerbare Energien, die im Vergleich günstiger werden. Für Unternehmen wie RWE, die im Kohle-Geschäft aktiv sind, „werde es immer schwieriger, Versicherer zu finden“, sagt Carsten Zielke. Zielke leitet ein Institut für Versicherungsanalysen. Kohlekonzerne müssten sich nun häufiger an Versicherer im Ausland wenden. „Dadurch wird die Versicherung von Kohle-Infrastruktur auch teurer“, sagt Zielke. Die Allianz kündigte beispielsweise schon 2015 an, ihre Kohle-Richtlinien immer weiter zu verschärfen. Mittlerweile ist bei dem Münchner Versicherer die Versicherung von Kohlekraftwerken, Kohleminen oder anderer Kohle-Infrastruktur komplett ausgeschlossen.
Versicherer unterstützen trotz Klima-Fachwissen fossile Konzerne
Dass Versicherungen jedoch immer noch als Helfer der Erdöl- und Gasindustrie arbeiten, ist bemerkenswert, weil ihr Tagesgeschäft die Risikoabsicherung ist. Ein beschleunigter Klimawandel bedeutet ein erhöhtes Risiko durch Extremwetter. Deshalb kennen sich Versicherer gerade mit der Klimakrise besonders gut aus. „Sie beschäftigen Mathematiker, Klimaforscher und Geologen, um bis auf die Hausnummer genau mögliche Gebäudeschäden abzuschätzen“, sagt Holger Rohde, wissenschaftlicher Leiter bei Stiftung Warentest. Die Versicherungsunternehmen müssen im Zweifelsfall zahlen, wenn Häuser bei Fluten, Stürmen oder Waldbränden zerstört werden. Das macht sich bei den Preisen bemerkbar. In den letzten Jahren seien diese in Deutschland deutlich gestiegen, so Rohde. „Es ist zu befürchten, dass sich die Preise in den nächsten fünf bis zehn Jahren mehr als verdoppeln werden.“ In den USA werden Häuser teilweise nicht mehr versichert, wenn sie in Katastrophengebieten stehen. Das sei in Deutschland momentan zwar noch nicht der Fall, für die Zukunft könne man es aber „auch nicht ausschließen“, sagt Rohde.
Gerade an der Küste von Louisiana ist die Klimakrise schon heute besonders stark zu spüren. Das könnte langfristig auch Folgen für das fossile Geschäft der deutschen Versicherer haben. Denn immer häufiger wird die Region von Stürmen getroffen. Nur zwei bekannte Beispiele sind Hurricane Katrina, 2005, und Hurricane Laura, 2020. Doch genau hier siedelt die amerikanische Öl- und Gasindustrie. Darunter auch das Cameron-LNG-Terminal. Trifft der nächste Hurricane die Küste, ist immerhin das LNG-Terminal gut versichert – auch dank der Versicherungen aus Deutschland.
Versicherer als Geldgeber
Die Allianz profitiert nicht nur durch ihr Kerngeschäft – Versicherungen – von fossilen Projekten. Sie gibt auch direkt Geld dafür und tritt als Investor auf.
Erst im September 2023 gab eine Tochtergesellschaft des Unternehmens einen Kredit in Höhe von 44 Millionen US-Dollar an eine Firma, die ein weiteres LNG-Projekt in den USA bauen will: das Rio Grande LNG. Zusammen mit fünf anderen Versicherungen nimmt die Allianz so eine wichtige Rolle ein, die normalerweise Banken innehaben: Sie leihen Geld an Firmen, damit diese den Betrieb und die Expansion von LNG-Infrastruktur finanzieren können. Dadurch erhalten die Versicherer Rendite.
Wie die Investitionen mit den Nachhaltigkeitszielen der Allianz zusammenpassen, will das Unternehmen nicht beantworten. Es schreibt CORRECTIV auf Anfrage: „Aus Gründen der Vertraulichkeit äußern wir uns generell nicht zu einzelnen Projekten.“
Text und Recherche: Malina Dittrich, Elena Kolb
Redaktion: Justus von Daniels, Katarina Huth, Gesa Steeger
Design: Mohamed Anwar
Kommunikation: Esther Ecke, Valentin Zick
Faktencheck: Annika Joeres