Klimawandel

Grüße aus der fossilen Vergangenheit: 10 Wochen Wirtschaftsministerin Reiche

Seit Amtsantritt bremst Katherina Reiche (CDU) Klimaschutz systematisch aus: Sie stellt Klimaziele infrage, will fossile Heizungen länger betreiben und nennt den Ausbau der Erneuerbaren „überzogen“. Ein Überblick ihrer bisherigen Politik.

von Jann-Luca Künßberg , Lena Schubert , Katarina Huth

Bundestag - Haushaltsberatungen
Viel Geld für Gas, wenig für den erneuerbaren Umbau: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bei Haushaltsberatungen im Bundestag 2025. (Credits: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Schon die Klimapolitik der Ampel-Regierung hätte nach Ansicht von Expertinnen und Experten nicht gereicht, um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens – insbesondere das völkerrechtlich bindende Zwei-Grad-Ziel – einzuhalten. Die neue Regierung fällt mit ihrer Politik noch dahinter zurück, obwohl die Umsetzung des Pariser Abkommens auch in ihrem Koalitionsvertrag steht. Ein Überblick über zehn Entscheidungen und Aussagen der Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) aus ihren ersten zehn Amtswochen.

9. Mai 2025: Reiche will neue Erdgaskraftwerke bauen

Drei Tage nach ihrem Amtsantritt kündigt Wirtschaftsministerin Reiche neue Gaskraftwerke mit einer Leistung von mindestens 20 Gigawatt an. Diese müssen laut Koalitionsvertrag nicht einmal auf Wasserstoff umrüstbar sein – ein Rückschritt gegenüber den Plänen von Vorgänger Robert Habeck (Grüne). An der Umsetzbarkeit von Reiches Plänen gibt es erhebliche Zweifel: Denn der geplante Zubau ist nicht mit der Leitlinie der Europäischen Union (EU) für Energiebeihilfen vereinbar. Danach müssen die Mitgliedsstaaten nachweisen, wie groß ihr Bedarf an neuen Kraftwerken ist, bevor sie genehmigt werden können. Dies war der Vorgängerregierung für zehn Gigawatt gelungen, von denen die Hälfte nach acht Jahren auf Wasserstoff hätte umgestellt werden müssen. Das sieht Reiches aktueller Plan nicht vor. Eine neue Einigung mit der EU ist ihr bislang nicht gelungen. 

12. Mai 2025: Reiche nährt den Mythos vom Wärmepumpen-Zwang

Vor dem CDU-Wirtschaftsrat bekennt sich Reiche zur im Koalitionsvertrag geplanten Abschaffung des sogenannten „Heizungsgesetzes“: Deutschland brauche keine „Lex Wärmepumpe“. Gemeint ist das Gebäudeenergiegesetz – doch dieses sieht seit 2023 lediglich vor, dass neue Heizungen unter bestimmten Voraussetzungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien laufen müssen. Auch Fernwärme, Solarthermie, Biomasse, wasserstofffähige Gasheizungen, Strom- und Hybridheizungen sind erlaubt. Dennoch fordert Reiche eine Woche später: „Schluss mit dem Zwang zur Wärmepumpe“. Die Ministerin verbreitet Falschinformationen und verunsichert Hausbesitzer, Heizungsbetriebe und Kommunen.

19. Mai 2025: Reiche empfiehlt Heizen mit Erdgas

Reiche spricht davon, die Energiewende zu „hybridisieren“. Das heißt: Haushalte, die bereits über eine Wärmepumpe und Solaranlage verfügen, könnten zusätzlich einen Gaskessel installieren, um mit Erdgas zu heizen, wenn Strom zu teuer ist. Was als flexible Lösung präsentiert wird, bedeutet letztlich: Fossiles Heizen wird fortgesetzt, trotz seiner klimaschädlichen Wirkung und vorhersehbar steigenden Preisen. Der Umstieg auf erneuerbare Energien wird so gebremst. 

27. Mai 2025: Reiche will alte Heizkessel weiterlaufen lassen

Katherina Reiche will das „Betriebsverbot für Heizkessel abschaffen“. Damit dürften alte Anlagen für Öl und Gas unbegrenzt weiterbetrieben werden, trotz der gesetzlich verankerten Klimaneutralität bis 2045. Dieses Ziel steht im Koalitionsvertrag und ist als Bedingung für Geld aus dem Infrastruktur-Sondervermögen Teil des Grundgesetzes. 

24. Juni 2025: Günstigere Gaspreise auf Kosten des Klimaschutzes

Mit dem Haushaltsentwurf für 2025 plant die Bundesregierung eine folgenschwere Umschichtung: Die sogenannte Gasspeicherumlage, eingeführt 2022 als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine, soll nicht länger von Gaskunden getragen werden. Stattdessen sollen die Kosten künftig aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) gedeckt werden.

Mehr als drei Milliarden Euro würden ausgerechnet dem Topf entnommen, der eigentlich für klimafreundliche Technologien und den Ausstieg aus fossilen Energien gedacht ist. Fossiles Gas wird so künstlich vergünstigt – auf Kosten des Klimaschutzes. „Wir schaffen die Gasspeicherumlage ab – 3,4 Milliarden Euro – für alle“, sagt Reiche. Gemeint sind alle, die noch mit Erdgas heizen. 

25. Juni 2025: Strom bleibt teuer für Haushalte

Die Regierung bricht ein zentrales Versprechen aus dem Koalitionsvertrag: Die Stromsteuer wird nicht für alle gesenkt, sondern nur für Teile der Industrie. Bürgerinnen und Bürger zahlen weiter hohe Strompreise – ein Nachteil für klimafreundliche Technologien wie Wärmepumpen oder E-Autos. Ministerin Reiche verweist stattdessen auf die geplante Abschaffung der Gasspeicherumlage.

26. Juni 2025: Reiche stellt Deutschlands Klimaziel infrage 

Beim Tag der Industrie des Bundesverbandes der Industrie (BDI) nennt Katherina Reiche das Ziel für den Ausbau erneuerbarer Energien „völlig überzogen“. Ein Widerspruch zum Koalitionsvertrag: Dort ist die Rede von entschlossenem Ausbau der Erneuerbaren. Auch das deutsche Klimaneutralitätsziel 2045 steht in dem Papier, trotzdem stellt Reiche es bei der Tagung infrage. Zuvor hatte schon der sächsische Ministerpräsident, ihr Parteifreund Michael Kretschmer, eine Verschiebung gefordert. Anfang Juli schließt sich auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) an: Erst in der Talkshow Maischberger, ein zweites Mal in der Generaldebatte des Bundestags am 9. Juli, als er anzweifelt, das Ziel so erreichen zu können, „wie wir es uns vorzeitig zusammen vorgenommen haben“.   

Katherina Reiche: Von der Politik in die Energiewirtschaft – und zurück

Die Brandenburgerin und Diplom-Chemikerin Katherina Reiche zieht 1998 das erste Mal in den Bundestag ein. 2009 wird sie Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt-, 2013 im Verkehrsministerium. Zwei Jahre später scheidet sie vor Ablauf der Legislaturperiode aus, um Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) zu werden. Der unmittelbare Wechsel aus der Politik in einen Interessenverband sorgt für Kritik.

2019 wird bekannt, dass der Energiekonzern Eon sie zur Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft Westenergie macht. Auch dieser neue Job wirft Fragen auf, weil zu der Zeit Eon und RWE den Energiemarkt neu aufteilen und die kommunalen Versorger, die Reiche bisher beim VKU vertrat, benachteiligen – ein Seitenwechsel zu einem kritischen Zeitpunkt also. 2025 kehrt Reiche in die Politik zurück: Am 6. Mai wird sie zur Bundeswirtschaftsministerin ernannt.

26. Juni 2025: Reiche-Ministerium vergibt Studie an industrienahes Institut

Das Bundeswirtschaftsministerium unter Katherina Reiche vergibt den Auftrag für ein Monitoring des Strombedarfs ohne Ausschreibung an das früher auch von RWE und Eon mit finanzierte Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln EWI in Kooperation mit BET Consulting. Nach Einschätzung der Deutschen Umwelthilfe soll mit dem Gutachten der Strombedarf für 2030 und damit der Ausbaubedarf an erneuerbaren Energien kleingerechnet werden: Zur Abschätzung des Bedarfs soll ausschließlich der aktuelle Verbrauch berücksichtigt werden. Wie sich klimafreundliche Technologien wie E-Mobilität, Rechenzentren, Speicher und Wärmepumpen sowie die Modernisierung des Wirtschaftsstandorts auswirken, spielt hingegen keine Rolle. 

2. Juli 2025: Regierung genehmigt risikoreiche Erdgasförderung in der Nordsee

Das Bundeskabinett stimmt für ein Abkommen mit den Niederlanden zur gemeinsamen Erdgasförderung vor der Nordseeinsel Borkum, obwohl noch Gerichtsverfahren dazu laufen. Das Abkommen stärke die Versorgungssicherheit und den Gasmarkt, sagt Reiche. Doch tatsächlich hält es Deutschland abhängig von Erdgas – trotz Umweltrisiken bei der Förderung im geschützten Wattenmeer und Millionen Tonnen CO₂ bei der Verbrennung des klimaschädlichen Gases.  

8. Juli 2025: Reiche kippt Vorrang für grünen Wasserstoff

Reiche will den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft deutlich beschleunigen – dabei aber grünen Wasserstoff nicht länger bevorzugen. Laut einem neuen Gesetzentwurf soll künftig jede Form von Wasserstoff gefördert werden, auch solcher, der mit fossilen Quellen produziert wird. Damit weicht die neue Regierung deutlich von den Plänen der Vorgängerregierung ab, die grünen Wasserstoff als zentral für die Energiewende erachtete. Die Entscheidung fällt in eine Phase, in der die Industrie mehrere Großprojekte für grünen Wasserstoff aus wirtschaftlichen Gründen absagt. Sie könnte fossile klimaschädliche Wasserstoffarten langfristig stärken. 

Während das Zeitfenster für die Erreichung der Klimaziele schrumpft und Extremwetter Milliardenschäden hinterlassen, bremst und verwässert die neue Bundesregierung den Klimaschutz. Womöglich kippt sogar die Abkehr von russischem Erdgas: Wie CORRECTIV berichtet, sind Reparaturen an der Pipeline Nord Stream 2 geplant. Zu einer möglichen Inbetriebnahme sendet die Bundesregierung derzeit widersprüchliche Signale.

Text: Jann-Luca Künßberg, Lena Schubert, Katarina Huth Recherche: Jann-Luca Künßberg, Lena Schubert, Katarina Huth, Martin Böhmer, Stella Hesch Redaktion: Justus von Daniels, Annika Joeres Faktencheck: Annika Joeres