Putins frühe Jahre
Schon in seiner Zeit in Dresden, als einfacher KGB-Referatsleiter, zeigt Wladimir Putin jene Rücksichtslosigkeit und Härte, die ihn später in das Amt des russischen Präsidenten katapultieren. CORRECTIV hat in einer aufwändigen Recherche jene frühen Jahre rekonstruiert. Putin plant damals, einen Wissenschaftler mit pornografischem Material zu erpressen, er führt einen berüchtigten Neonazi unter seinen Informanten – und verzeiht jenen Kollegen alles, die ihm bedingungslos ergeben sind.
Im August 1985 kommt Putin in die ostdeutsche Provinz. Offiziell wirkt er als Konsularbeamter, tatsächlich soll er, als Major des russischen Geheimdienstes, in der DDR Spione anwerben. Es ist kein Wunschposten. Spione träumen davon, ins verfeindete Ausland entsandt zu werden, brisante Informationen zu beschaffen. In einem verbündeten Bruderland eingesetzt zu werden, und dann noch nicht mal in der Hauptstadt – das ist nicht wirklich aufregend. Aber Putin, damals 32 Jahre alt, steht ja auch noch am Anfang seiner Karriere. Er ist seit zehn Jahren beim KGB, dieses ist sein erster richtiger Auslandseinsatz.
Sein engster Kollege in den ersten beiden Jahren heißt Wladimir Usolzev. In dieser Zeit wissen sie alles übereinander. Die beiden teilen sich ein Büro und sogar den Schreibtisch, im Dachgiebel des KGB-Gebäudes in der Angelikastraße 4. In diesem Büro ist es eigentlich immer zu warm oder zu kalt.
Dort verbringt Putin die meiste Zeit seiner Arbeit, er schreibt Berichte und schickt sie an die Zentrale in Moskau. Außerdem sucht er nach Menschen, die als Agenten im nicht-sozialistischen Ausland für ihn spionieren. Die das Risiko eingehen, jahrelang ins Gefängnis zu wandern, falls sie erwischt werden.
Putin zielt auf Leute, die ein Faible haben für die Sowjetunion, auf Akademiker, Geschäftsleute und Austauschtouristen, sogar auf Rechtsradikale und Kriminelle. Einer der ehemaligen Agenten berichtet, Putin habe mehr als bescheiden bezahlt – er selbst habe einmalig 30 Euro Ostmark Verpflegungsgeld als Lohn bekommen.
Putin zu Dienste ist eine Ermittlungsgruppe der berüchtigten K1-Abteilung der Volkspolizei. Die ist in der DDR eigentlich zuständig für politische Straftaten, doch einige Abteilungen der K1 arbeiten verdeckt für den KGB, eben auch jene Truppe in Dresden, die Putin zugeteilt ist. Dies bestätigen zwei ehemalige Kollegen Putins im Gespräch mit CORRECTIV, und es geht hervor aus Stasi-Akten, die uns vorliegen. So bittet Putin bei der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Dresden um die Wiederherstellung eines Telefonanschlusses für einen seiner Agenten nach dessen Ausscheiden aus der Volkspolizei.
Jeder Vorgang dieser Einsatzgruppe wandert schnellstmöglich in Putins Aktentasche. Die Abteilung darf kein Archiv anlegen und besitzt von den an Putin übergebenen Dokumenten keine Abschriften, sagt einer von Putins Agenten.
Putins rechte Hand ist Georg S. Ein Draufgänger und Raufbold, stark, rücksichtslos, loyal. Ein Mann nach Putins Geschmack. Von Georg S. wird noch die Rede sein.
Eine Überschreitung
Die Arbeit in der DDR mag für einen ehrgeizigen Agenten ein wenig langweilig sein – dafür fällt sie, andererseits, sehr leicht. Die Infrastruktur eines ganzen Staates steht Leuten wie Putin zur Verfügung. Für einen KGB-Offizier gibt es in der DDR kein „Njet“. Hilfreich ist auch, dass viele DDR-Bürger direkte Kontakte in den Westen haben. Die DDR ist ein Honigtopf für Informationen und Kontakte. Und Putin bedient sich reichlich. Unter anderem wirbt er wiederholt Stasi-Agenten für den KGB an.
Einer davon ist Klaus Zuchold. Er wird bei der Stasi als Auslandsspion ausgebildet. Zuchold ist einer, der sich leicht überreden lässt.
Für diese Geschichte ist Zuchold der Hauptzeuge. Die CORRECTIV-Reporter führten mit dem ehemaligen Stasi- und KGB-Mann über einen längeren Zeitraum viele Gespräche. Zuchold ist einer der wenigen Zeitzeugen, der bereit ist, offen über seine Zusammenarbeit mit Putin zu sprechen. Er hatte mit Putin während dessen gesamter Tätigkeit in Dresden regelmässigen Kontakt gehabt. Wie bei Doppelagenten üblich, kann es Zweifel an Zucholds Angaben geben. CORRECTIV ist sich dessen bewusst, und findet nach sorgfältiger Prüfung von Dokumenten und Gesprächen mit anderen Zeitzeugen, dessen Aussagen glaubwürdig. CORRECTIV findet es wichtig, Zucholds einmalige Aussage umfangreich hier zu dokumentieren.
In Zucholds Stasi-Akte steht, dass er im Verdacht stehe, für den westdeutschen Bundesnachrichtendienst (BND) zu arbeiten. Das ist ein ungeheuerlicher Verdacht, der in Agentenkreisen mit einer Gefängnisstrafe geahndet wird – oder einem Genickschuss.
Nicht so bei Zuchold. Er wird lediglich in eine andere Abteilung versetzt, und später setzt Putin Zucholds Anwerbung persönlich in Moskau durch. So erzählt es Zuchold selbst. Obwohl auch in Moskau die Stasi-Akte mit dem Vorwurf der Doppelspionage bekannt sein musste.
Eine mögliche Erklärung: Der BND-Vorwurf ist für die Stasi nur eine Ausrede dafür, heimlich gegen KGB-Agenten zu ermitteln, das heißt: auch gegen Putins Netz.
Die Anwerbung Zucholds beginnt bei einem Bierabend der Dresdner Polizei. Dort setzt sich ein Mann zu ihm und bringt einen Trinkspruch aus: „Prost Aufklärung“.
Zuchold ist geschockt. Das Wort Aufklärung ist nur für den internen Gebrauch bestimmt. Kein Uneingeweihter darf wissen, dass er für die Stasi-Auslandsspionage arbeitet, schon gar nicht ein Polizist. Und wenn es doch einer weiß, dann hat er es nicht zu sagen, schon gar nicht am Biertisch. So ist die Regel.
Der Beamte, der ihm dieses Codewort zuraunt, ist besagter Georg S., von der politischen Polizei K1, der für Putin arbeitet. Auch Georg S. enttarnt sich so, lässt durchblicken, dass er selbst dazu gehört. Auch das ist in Agentenkreisen eine Ungeheuerlichkeit. So beginnt Zucholds Anwerbung durch Putin – mit einer Überschreitung.
Zuchold weiß da schon, wer Putin ist. Zum ersten Mal hat er ihn getroffen im Jägerpark, im September 1985, beim Dienstsport Fußball, frühmorgens um 7:00 Uhr, erinnert sich Zuchold im Gespräch mit CORRECTIV. Für Zuchold ist es eine Pflichtveranstaltung, Putin nimmt freiwillig teil. Putin fällt gleich durch seine Schnelligkeit und seine Technik auf. Er schießt für seine Mannschaft die Tore. In jener Zeit spricht Putin kaum deutsch, sie verständigen sich auf Russisch.
Georg S. zieht nach dem Agentenprost Zuchold von der Stasi zum KGB herüber. Die Stasi ist über die Abwerbung nicht erfreut. Putin und seine Kollegen wildern ständig im Personal und in den Ressourcen des DDR-Geheimdienstes. Bei der Stasi wissen sie bald, dass Zuchold vom KGB abgeworben wird, und stellen ihn kalt. Von der Abteilung für Auslandsaufklärung wird er in die weniger angesehene Observationsabteilung versetzt. Er erfährt nun nichts Wichtiges mehr.
Privat verstehen sich die beiden gut. Einmal lädt Zuchold Putin in seine Laube vor den Toren Dresdens ein, das Häuschen liegt gegenüber einer Baracke der sowjetischen Armee. Zuchold nennt die Soldaten scherzhaft „meine Erntehelfer“ – weil sie ihm andauernd die Äpfel aus dem Garten klauen. Dieser Scherz ist nach Putins Geschmack. Danach fragt Putin stets, wenn er Zuchold sieht: Wie geht es deinen Erntehelfern? Er schaut herab auf die sowjetischen Soldaten. Er verachtet sie. Sie hatten in Afghanistan versagt. Sie hatten Schande über sein Land gebracht. Wenn Putin etwas nicht ertragen kann, dann ist es Schwäche, sagt Zuchold
CORRECTIV hat das russische Präsidialamt gebeten, die Informationen zu Putins Dresdner Zeit zu kommentieren. Bis Redaktionsschluss ist keine Stellungnahme eingegangen.
Alle Mittel sind recht
Die Enttarnung Zucholds beim Bierabend, über ein Prosit hinweg – das ist keine Lappalie. Aber diese Aktion ist typisch für Georg S. Er hält sich notorisch an keine Regeln. Er macht, was er will. Er denkt, er stehe über allem, sagt Zuchold. Immer wieder ignoriere Georg S. Vorgaben und plaudere viel. Anderswo wäre ein solcher Mann rausgeflogen, wegen Leichtsinnigkeit und Gefährdung. Unter Putin sei dieser Bruder Leichtfuß und Draufgänger der wichtigste Agent gewesen.
Georg S. ist dominant und charismatisch, er hat kurz geschorene Haare, er ist ein Platzhirsch, er ist ein leidenschaftlicher Jäger und hat eine eigene Jagd gepachtet. Georg S. erzählte Zuchold gegenüber stolz, dass sein Vater ebenfalls KGB-Agent war und sein Tod ungeklärt sei.
Georg S. ist auch bekannt für seine Eskapaden mit Frauen. Er soll Affären mit seinen Agentinnen und mit den Ehefrauen seiner Agenten gehabt haben. Während der Feier eines seiner Agenten soll Georg S. dessen zehnjährige Tochter und deren Freundin missbraucht haben. Vater und Bruder des Opfers bestätigen die Vergewaltigung. Das Verbrechen wird nie angezeigt.
Putin ist beeindruckt von Georg S. Denn der ist stark – und trotz aller Eskapaden bedingungslos loyal. Beides schätzt Putin sehr. Schon damals ist Putin bereit, fast alles zu verzeihen, solange ihm jemand die persönliche Treue hält, sagt Zuchold. Zum 40. Geburtstag habe Putin Georg S. eine Jägerausrüstung mit Säbel geschenkt.
Andererseits fühlt sich Georg S. Putin überlegen. Immer wieder prahlt er vor Zuchold, dass man aus Putin noch einen anständigen Geheimdienstmann machen werde. Georg S. redet im Urlaub und auf Festen offen mit Zuchold.
So wissen wir auch um diese Episode:
Putin will um jeden Preis an die Informationen eines Medizinprofessors gelangen. Der Wissenschaftler hat Zugang zu einer Studie über tödliche Gifte, die kaum Spuren hinterlassen – eine umfassende Anleitung zum lautlosen Töten. Die Bandbreite reicht von vorgetäuschtem Selbstmord bis hin zum Einsatz radioaktiver Stoffe. Sogar das Beibringen von Arsen über den Penis beim Geschlechtsverkehr wird in der Studie erörtert.
Putin ist an der Studie offenbar brennend interessiert, sagt Zuchold. Es gibt verschiedene Mittel, Menschen gefügig zu machen: Überredung, Bestechung, Erpressung. Bei dem Professor wählt Putin offenbar das „Kompromat“ – das Unterschieben von kompromittierendem Material.
Zuchold sagt im Gespräch mit CORRECTIV: Georg S. habe ihm befohlen, pornografisches Material aus dem Stasi-Archiv zu besorgen. Es soll dem Professor untergeschoben werden, um ihn zu erpressen. S. ist nur ausführendes Organ – der Befehl zu dieser Aktion kann nur von Putin kommen.
Wir haben den Dresdner Professor gefunden und ihn gefragt, ob er mit pornografischem Material erpresst wurde. Er streitet das ab.
Doch Jahre später finden Polizeiermittler während einer Hausdurchsuchung im Schlafzimmer von Georg S. eben jenes pornografische Material, mit dem der Professor gefügig gemacht werden sollte. Zuchold wurde die Inventarliste gezeigt. Ein Sprecher des BKA sagt auf Anfrage, dass über diesen Vorgang keine Akten mehr vorhanden seien.
Einer von Putins heikelsten Vorgängen ist die Führung des in Ost- und Westdeutschland berüchtigten Neonazis Rainer Sonntag als KGB-Agent. Der Nazi und Kleinkriminelle wird von Georg S. in den 1980er Jahren angeworben, womit Putin nun auch für die Führung des Neonazis verantwortlich ist. Und da es Putins Mission ist, Agenten als Multiplikatoren zu gewinnen, sollen über Sonntag, wie in einem Schneeballsystem, weitere Agenten aus der Nazi-Bewegung rekrutiert werden.
1987 wird Sonntag in die Bundesrepublik abgeschoben. Dort macht er als enger Vertrauter von Neonaziführer Michael Kühnen Karriere. Die Ausreise eines Putin unterstellten Agenten kann nur mit seiner Zustimmung erfolgen. Sonntag ist nun „Agent im Operationsgebiet“, also Spion in Westdeutschland und hält weiter den Kontakt zu Georg S. und über diesen zu Putin aufrecht.
Nach dem Fall der Mauer kehrt Sonntag nach Ostdeutschland zurück, sagt Zuchold. An der Grenzübergang bei Hirschberg lässt er sich von seinem Führungsoffizier Georg S. abholen. Zurück in Dresden, macht sich Sonntag daran, die dortige Neonaziszene aufzubauen. Dass sie so rasch so mächtig wird, ist nicht zuletzt sein Werk.
Sonntag wird in Dresden Chef einer Art Bürgerwehr und räumt gemeinsam mit den Glatzen in Springerstiefeln unter Hütchenspielern und Kleinkriminellen auf. Und er erpresst das aufblühende Bordellgewerbe.
Die vorhandenen Aktenbestände des Landeskriminalamtes Sachsen geben weder über das Doppelspiel des Neonazis Sonntag noch über die Rolle von Georg S. Auskunft. Da aber das Landeskriminalamt erst nach der Wende gegründet wurde, könnten die entsprechenden Unterlagen in anderen Dienststellen liegen, sagte ein Sprecher des LKA Sachsen auf Anfrage. Bis Redaktionsschluss blieb diese Suche ohne Ergebnis.
Im Sommer 1991 wird Sonntag erschossen. Nicht nur seine Feinde im Rotlichtmilieu atmen auf. Auch Georg S. Er sagt später zu Zuchold, der Tod von Sonntag sei für alle das einfachste gewesen.
Was wurde aus den Leuten?
Die DDR bricht 1989 zusammen. Die Sowjetunion implodiert. Putins Aufenthalt in Deutschland endet mit einem Misserfolg. Das wissen wir von Werner Grossmann, dem letzten Chef der DDR Auslandsspionage. Der warnt seine Kollegen beim KGB, dass Putin bereits aufgeflogene DDR-Agenten anwerbe, und dadurch ein großes Risiko für den KGB erzeuge.
Tatsächlich wird Putin im Februar 1990 Hals über Kopf aus Dresden abgezogen.
Putin macht sich Sorgen um seine Zukunft. Seinem Kollegen Usolzev vertraut er an, er fürchte, er müsse sich in Leningrad, das bald St. Petersburg heißen wird, als Taxifahrer durchschlagen. Doch die Sorge ist unbegründet. Putins KGB-Kontakte erweisen sich als Startrampe für eine beispiellose Karriere.
Zuchold wechselt die Seiten, ein weiteres Mal. Er läuft am 26. Dezember 1990 zum westdeutschen Verfassungsschutz über – und erzählt alles über Putins Netz. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte das Treffen mit Zuchold nicht bestätigen. Zu personenbezogenen Daten und operativen Einsätzen gebe man grundsätzlich keine Auskünfte, sagte eine Sprecherin.
Heute arbeitet Zuchold für eine Sicherheitsfirma.
Georg S. kommt nach der Wende nicht los von seiner Vergangenheit. Seine große Zeit ist vorbei. Am 23. April 1993 wird er verhaftet. Es kommt zur Hausdurchsuchung. Da finden die Beamten auch die pornografischen Erpressungsmittel, ohne deren Bedeutung zu erkennen. Sie werden nur in der Inventarliste aufgeführt.
Doch dann passiert etwas Unerwartetes: Georg S. wird nie wegen Spionage angeklagt. Warum, ist bis heute unklar.
Georg S. redet nie mit der Presse. Er verdingt sich als Privatagent in Dresden. Hin und wieder hat er viel Bargeld, sagt Zuchold.
1999, in dem Jahr, in dem Putin erst Premierminister und dann Präsident wird, wird Georg S. brutal in seiner Wohnung mit einer Eisenstange zusammengeschlagen. Georg S. hat die Täter hereingelassen. Er wird drei Tage später bewusstlos gefunden. Danach ist Georg S. ein Wrack. Er kann sich nicht mehr konzentrieren. Bei Gesprächen fängt er plötzlich an, grundlos zu kichern oder zu weinen. Er rutscht ab in Alkoholismus und Sozialhilfe.
Einmal trifft Zuchold ihn. Zuchold sagt, dass sie verbrannte Vögel seien, die keiner mehr brauche. Georg S. widerspricht. Ihn bräuchte man noch. Zuchold will Georg S. überreden, nach Moskau auszuwandern. Er sagt ihm, dass er in Deutschland von Sozialhilfe lebe, während Russland sich, Putin und der alten Verbindungen eingedenk, um ihn kümmern werde. Einmal kauft Zuchold für Georg S. eine Zugfahrkarte nach Moskau, doch der tritt die Reise nie an. Georg S. hat offenbar Angst, in Putins Land zu fahren. Danach keimt in Zuchold der Verdacht, dass Georg S. nach seiner Verhaftung gegenüber deutschen Ermitlern über die Agententätigkeit Putins geplaudert hat.
Georg S. verbringt seine letzten Jahre zumeist vor einem Bier in einem Irish Pub in Dresden, sagt Zuchold. Im Februar 2010, im Alter von 62 Jahren, stirbt Georg S. Auf der Beerdigung treffen sich Putins einstige Agenten zum vorerst letzten Mal. Schweigend stehen sie am offenen Grab. Ihr einstiger Chef ist nicht gekommen.
Wie es mit Putin weiterging
Von 1983 bis 2014 ist Putin mit Ljudmilla verheiratet. Für sie ist die Zeit in Dresden prägend, seither hat sie ein Faible für alles Deutsche. Zurück in Moskau, hält sie intensiven Kontakt zu ihren deutschen Freundinnen. Sie schickt ihre Töchter auf die deutsche Schule in Moskau. Sie erinnert sich gern an die Zeit in Dresden zurück.
An die Ehe mit Putin erinnert sie sich weniger gern. Er behandle sie abfällig, beklagt sie sich bei einer ihrer Brieffreundinnen.
Als einmal Zuchold bei ihnen zu Gast ist, stellt Putin sie dem Stasimann mit den Worten vor: Sie ist wie ein russischer Kuchen, du steckst viel Zucker rein, und sie geht auf. Als die Männer beginnen, über Dienstliches zu sprechen, schickt Putin seine Frau in die Küche, da sie bei ernsten Unterhaltungen nichts zu suchen habe. Wir haben Putin und seine frühere Frau Ljudmilla Putina über das russische Präsidialamt über diese Zeit befragt. Beide haben nicht geantwortet.
Ende der 1990er Jahre nutzt Ljudmilla die Büroräume und das Faxgerät des Dresdner Bank Chefs in Russland, sie nutzt es, um Kontakt zu ihren Brieffreundinnen zu halten. Geleitet wird die Dresdner Bank in Russland von Matthias Warnig, einem alten Bekannten Putins. Warnig soll einst als Agenten-Anwerber für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben. Von CORRECTIV dazu befragt, läßt Warnig ausrichten, dass ihm die Nutzung seines Faxgeräts durch Frau Putina „nicht bekannt“ sei. Auf die Frage, ob er ein „alter Bekannter“ von Putin sei, antwortet Warnigs Büro per Email lediglich: „Wir können den Begriff ,alter Bekannter’ nicht einordnen.“ Dass er für die Stasi Agenten angeworben habe, bestreitet Warnig.
Warnig arbeitet heute bei Nord-Stream, der Betreibergesellschaft der Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland, für die auch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) arbeitet.
1994 verunglückt Ljudmilla Putina in St.Petersburg bei einem Autounfall und wird schwer verletzt. Die Dresdner Bank finanziert den Krankentransport nach Deutschland und die Behandlung in einer Spezialklinik in Bad Homburg. Der ehemalige Vorstandssprecher der Bank, Bernhard Walter, sagt später in einem Interview, er habe aus „humanitären Gründen“ die Kosten für Putins Frau übernommen. Denn die Krankenhäuser in St. Petersburg hätten Verletzungen dieser Art damals nicht behandeln können.
In seinen Wahlkampferinnerungen im Jahre 2000 will Putin von diesem humanitären Akt nichts mehr wissen. Dort sagt er lediglich, dass seine Frau in einem Militärkrankenhaus in St. Petersburg behandelt wurde.
Die Dresdner Bank soll sich überdies auch dankbar gegenüber Putin gezeigt und Reisen in die Bundesrepublik bezahlt haben. Warnig sagt, dass er von solchen Zahlungen keine Kenntnis habe.
Menschen beschönigen ihre Vergangenheit, das ist nicht ungewöhnlich. Putin aber geht dabei ungewöhnlich weit. In seiner offiziellen Autobiografie „Die erste Person“ schreibt Putin, dass die Familie an der russischen Ostseeküste Urlaub machte, als ihn 1998 die Ernennung zum Chef des Geheimdienstes FSB erreicht.
Tatsächlich verbringt seine Familie den gesamten Urlaub in Südfrankreich, wie aus den Briefen von Ljudmilla Putina hervorgeht, die CORRECTIV vorliegen. Putin selbst pendelt wegen wichtiger Termine zwischen Moskau und Südfrankreich, wie Ljudmilla an eine Brieffreundin schreibt. Im August wollten sie eigentlich den Urlaub in der Schweiz, im noblen Davos fortsetzen. Aber wegen Putins Beförderung müssen sie zurück nach Moskau. Davos kannten sie schon, sie waren dort bereits ein Jahr zuvor.
„Zwei Urlaubsferien haben wir hier mit Familie Schamalow verbracht, sechs Wochen insgesamt“, schreibt Ludmilla Putina damals aus Davos an die Freundin. Die Briefe wurden per Fax abgeschickt. Nikolai Schamalow ist ein wohlhabender Geschäftsmann aus St. Petersburg, der enge Beziehungen zu Putin pflegt. Putin habe viel für Familie Schamalow getan, und nun müssten die Schamalovs auch etwas für Putin tun – so erzählt es die Ehefrau ihrer Freundin. Schamalow und Putin haben auf Anfragen zu ihren gegenseitigen Geschäftsbeziehungen nicht geantwortet.
Putin steigt derweil in Russland zum mächtigsten Mann auf, während sein Vater schwer an Krebs erkrankt. Ludmilla Putina beschreibt im Juli 1998 das Leiden in einem Brief an ihre Freundin:
„Sein Vater liegt schon seit einem Monat im Krankenhaus, er hat Krebs, 4. Stufe. Die Ärzte, die ihn früher behandelt hatten, verpassten den Anfang der Krankheit, denn er hatte immer Rückenschmerzen, und sie verschrieben ihm Massagen, Spritzen, aber das war schon Krebs und Metasthasen! in der Wirbelsäule“.
Die Ärzte erkennen den Krebs von Putins Vater nicht. In den Krankenhäusern in St. Petersburg fehlt es an moderner Medizintechnik. Putin ist als stellvertretender Bürgermeister für ausländische Investitionen verantwortlich, auch in das Gesundheitswesen der Stadt. Doch da herrscht, wie überall, Korruption. Ein Arzt schreibt, dass die Krankenhausleitung auf den Erwerb eines kostengünstigen, gebrauchten, aber voll funktionstüchtigen Gerätes verzichtete, um lieber ein viel teureres, neues Gerät zu kaufen, um so die üblichen Schmiergeldzahlungen zu kassieren. Diese schriftliche Aussage liegt CORRECTIV vor.
Die begrenzten Reserven werden, wie überall in Russland, verschwendet. Am Ende leidet darunter auch jener Mann, dessen Sohn genau dieses System für seinen Aufstieg brauchte.