Mafia-Paradies Deutschland
Im Sommer wurden acht mutmaßliche Mafiosi mit großem Aufwand bei Konstanz festgenommen. Anfang September ließ die Justiz sechs von ihnen wieder laufen. Und das, obwohl Italien die Auslieferung beantragt hatte. Was läuft falsch?
Im Juli gelang deutschen Ermittlern ein Schlag gegen die ‘Ndrangheta, die Mafia aus Kalabrien: Beamte von LKA und Polizei nahmen im Kreis Konstanz acht Italiener fest, die zu einem dortigen ‘Ndrangheta-Clan gehören sollen.
Italienische Behörden forderten daraufhin die Auslieferung der Verhafteten.
Auf Anfrage von CORRECTIV teilte das Oberlandesgericht Karlsruhe nun mit, dass die Auslieferung am 8. September in sechs Fällen für unzulässig erklärt wurde. Sechs der Verfolgten wurden daraufhin wieder auf freien Fuß gesetzt – weil ihre möglichen Straftaten nach deutschem Recht verjährt waren.
Eine „Verfolgungsverjährung“ tritt in Deutschland grundsätzlich nach fünf Jahren ein.
Zu den Freigelassenen in Baden-Württemberg gehört Achille P. Sein Name taucht zum ersten Mal 2009 auf, als das Landeskriminalamt Baden-Württemberg im Rahmen der Operation „Santa“ Telefongespräche abgehört hatte.
Aus einem Telefonat ging hervor, dass Achille P. in Engen bei Konstanz eine Mafiagruppe leitet. Im Januar hatten wir umfassend über ihn berichtet.
Hört ein mutmaßlicher Mafia-Boss nach fünf Jahren einfach auf, ein Mafia-Boss zu sein?
Gesetze reichen nicht aus
Der aktuelle Fall zeigt, dass die deutsche Gesetzgebung für die Verfolgung der Mafia nicht ausreicht.
In Italien ist schon die Mitgliedschaft bei der Mafia eine Straftat. In Deutschland gibt es ein solches Gesetz nicht.
Die deutsche und die italienische Gesetzgebung unterscheidet sich in einem anderen, wichtigen Punkt: Wird jemand in Italien als Mafioso verurteilt, muss er beweisen, dass er sein Geld legal erworben hat. Kann er das nicht – wird sein Vermögen beschlagnahmt.
In Deutschland ist es genau umgekehrt: Ermittler müssen nachweisen, aus welcher Straftat das Vermögen stammt – was sehr kompliziert ist.
Selbst wenn deutsche Ermittler von italienischen Kollegen wissen, dass ein Mafioso in Deutschland lebt, können sie nicht gegen ihn vorgehen, so lange er nicht gegen Gesetze verstößt.
Das übersieht eine Eigentümlichkeit der Mafia: Man gehört ihr grundsätzlich auf Lebenszeit an. Wer einem Clan beitritt, schwört Treue bis zum Tod. Wer aussteigt, muss die Rache der anderen fürchten und sich für immer verstecken. Gerade die kalabrische ‘Ndrangheta basiert auf familiären Bindungen – und kennt kaum Kronzeugen.
Die ‘Ndrangheta ist Europas mächtigste Mafiaorganisation. Schätzungen zufolge (Stand: 2013) macht sie im Jahr einen Umsatz von etwa 53 Milliarden Euro — knapp 3 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Ihr Vermögen verdient sie vor allem mit Kokainhandel aber auch mit Prostitution und Waffenhandel. Die ’Ndrangheta hat ihren Ursprung in der süditalienischen Region Kalabrien doch mittlerweile ist sie in ganz Europa sowie in Australien, Kanada und Südamerika verbreitet. In Deutschland ist sie besonders im Westen und in Baden-Württemberg stark.
Mafia-Paradies Deutschland
Längst hat es sich in italienischen Mafia-Kreisen herumgesprochen: Deutschland ist für sie ein Paradies. Die Clans waschen hierzulande ihr Geld, in dem sie teure Immobilien kaufen oder Scheinfirmen gründen. Und möglichst wenig auffallen.
Die Mafiamorde von Duisburg, im August 2007, waren ein Fehler – das hat die Mafia schnell verstanden. Damals waren sechs Menschen im Rahmen einer ‘Ndrangheta-Fehde auf offener Straße erschossen worden.
Heute sind die sechs Toten von Duisburg nur noch eine blasse Erinnerung. Die Gesetze sind immer noch die gleichen.