Missbrauch in der katholischen Kirche

Rücktritt eines katholischen Pfarrers: „Bislang nicht bekannte Vorwürfe“ und ein brisantes Gutachten

Ein kirchliches Gutachten im Bistum Passau zeigt gravierende Grenzüberschreitungen eines Pfarrers. Nach einer Anfrage von CORRECTIV trat der Pfarrer zurück. Die Gründe, so das Bistum, seien aber „bislang nicht bekannte Vorwürfe“.

von Marcus Bensmann

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Im Bistum des Bischofs von Passau, Stefan Oster (re.) trat ein Pfarrer zurück. Streit gibt es offenbar um ein Gutachten über den Pfarrer. Foto: Peter Back / picture alliance / Geisler Foto Express

Ein angeblich „beliebter“ Pfarrer im Bistum Passau tritt zurück, doch die Gründe bleiben  im Dunkeln. Das bayerische Bistum schreibt in einer heutigen Presseerklärung von „bislang nicht bekannten Vorwürfen“. Es dürfte aber auch mit einem brisanten Gutachten über den Pfarrer zu tun haben.

Die Erklärung des Bistums folgte nur kurz nach einer CORRECTIV-Anfrage zu einem vertraulichen Gutachten des „unabhängigen Ansprechpartners bei geistlichem Missbrauch“ im Bistum Passau, Helmut Höfl, die CORRECTIV zugespielt wurde. In dem 151-seitigen Gutachten wird dem Pfarrer „geistiger Missbrauch“ vorgeworfen. Der Priester soll Jugendliche auf kirchlichen Fahrten zu exzessivem Trinken von Alkohol verleitet haben. In dem Gutachten heißt es: „Besonders besorgniserregend sei, dass das Verhalten des Priesters klare ,grooming-artige‘ Züge trägt: Er testet und überschreitet Grenzen und schafft ein Umfeld, in dem die Jugendlichen zunehmend weniger in der Lage sind, riskante oder unangemessene Situationen als solche zu erkennen.“

Unter Grooming versteht man eine Methode von Erwachsenen, Vertrauen bei Jugendlichen und Kindern zu erschleichen – möglicherweise zur Vorbereitung sexuellen Missbrauchs. Im Fall des Pfarrers gibt es aber keine Hinweise darauf, dass es zu sexuellem Missbrauch gekommen ist. In dem Gutachten geht es auch um Mobbing-Vorwürfe gegenüber Gemeindemitgliedern, die diese Missstände kritisiert hatten.

Gutachten: Mobbingvorwürfe gegen Kritiker 

Die Presseerklärung des Bistums auf die CORRECTIV-Anfrage ist widersprüchlich. Auf der einen Seite übernimmt sie Vorwürfe der Studie, die sie als Verdacht einstuft: „Seit einiger Zeit gebe es Verdächtigungen gegen seine Person, die ihm schwerwiegendes Fehlverhalten in der Jugendarbeit unterstellten“, heißt es in der Presseerklärung, der Umgang mit Alkohol stünde im Fokus. „Zudem werde er seit einigen Monaten auch der geistlichen Manipulation verdächtigt“. Das sei aber nicht der Grund des Rücktritts. Das Bistum schreibt, dass der Pfarrer in einem Gottesdienst eine „falsche Behauptung“ aufgestellt habe, die Mobbing gegen Kritiker des Pfarrers ausgelöst habe. Laut der Presseerklärung habe sich der Pfarrer für eigenes Fehlverhalten entschuldigt: „Gegen­über der Bis­tums­lei­tung hat er erklärt, die eige­nen Feh­ler, die letzt­lich für die ent­stan­de­ne Eska­la­ti­on ursäch­lich waren, zu bedau­ern.“

Pressestelle des Bischofs „nicht neutral“

In der Pressemitteilung kritisiert das Bistum ausdrücklich das Gutachten über den Pfarrer: Darin würden „Sachverhalte unrichtig dargestellt und widerlegbare Behauptungen aufgestellt“. Das Bistum habe deswegen sogar eine Anwaltskanzlei hinzugezogen. Der Rücktritt des Pfarrers erfolgt so offenbar nicht wegen der Studie, sondern wegen neuer Vorwürfe: „Nach­dem dem Bis­tum Anfang die­ser Woche neue, bis­lang nicht bekann­te Vor­wür­fe über­mit­telt wur­den, wird der Sach­ver­halt nun­mehr zur trans­pa­ren­ten Auf­klä­rung den staat­li­chen Ermitt­lungs­be­hör­den vorgelegt“. Das Bistum schreibt nicht, welche „Sachverhalte“ es meint und worauf sich die Vorwürfe beziehen. 

„Die Pressestelle des Bistums ist nicht neutral: sie hat nicht zu beurteilen, ob der Pfr. ‘beliebt‘ sei“, schreibt der Verfasser der vom Bistum kritisierten Studie. Die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs solle aufzeigen, „wie das Bistum einseitig arbeitet“, schreibt Höfl gegenüber CORRECTIV.

Über zwei Jahre scheute der Bischof, so die Studie, harte Konsequenzen, nachdem erste Vorwürfe im Sommer 2023 über das Verhalten des Pfarrers auf einer Jugendfahrt bekannt geworden waren. Die Vorwürfe richteten sich gegen einen „beliebten“ Geistlichen, wie auch das Bistum heute schreibt. Aus dem Gutachten geht hervor, dass er es offenbar schaffte, die Kirche wieder zu füllen und vor allem wieder mehr Jungen als Messdiener zu gewinnen. 

Das lange Abwarten des Bischofs überrascht

Die katholische Kirche in Deutschland und weltweit wird seit über 20 Jahren von Berichten über klerikalen Missbrauch erschüttert. Seither hat die Kirche in Deutschland Aufklärung und Prävention versprochen. Die grenzüberschreitende Nähe eines charismatischen Priesters zu Jugendlichen zeigt sich in den bekannten Fällen als ein oft wiederkehrendes Muster. 

Auch der Fall des notorischen Missbrauchspriesters Peter H. zeigt dies deutlich. Dieser missbrauchte seit Mitte der 1970iger Jahren in verschiedenen Gemeinden regelmäßig Jungen. H. sorgte ab Ende der 1980iger Jahren über zwei Jahrzehnte in den oberbayerischen Gemeinden Garching an der Alz und Engelsberg ebenfalls für volle Kirchen und scharte über 100 Messdiener um sich, unter denen er dann seine Opfer suchte. Das vom Erzbistum München und Freising beauftragte Missbrauchsgutachten zeigte, dass H. unter dem Schutz der Bischöfe ungehindert seine Taten vollziehen konnte. CORRECTIV recherchiert seit 2019 intensiv zu diesem Fall und konnte zeigen, dass selbst der verstorbene deutsche Papst Benedikt XVI. über die Gefährlichkeit des Priesters wusste, aber nichts unternahm. Einer der Opfer, Andreas Perr, verklagt das Erzbistum München und Freising auf Schadenersatz. Das Verfahren läuft noch.

Redaktion: Justus von Daniels

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