Missbrauch in der katholischen Kirche

Ehemaliger Pfarrer H. wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht in Essen, doch der Täter kam als Zeuge

Peter H. zählt zu den bekanntesten Missbrauchstätern im Priestergewand. Unter dem Schutz der Bischöfe missbrauchte er Dutzende Jungen. Er blieb lange im Verborgenen, nun sagte er als Zeuge in einem Schmerzensgeld-Prozess vor dem Landgericht Essen aus.

von Marcus Bensmann

250404 Hullermann
Der wohl bekannteste Missbrauchstäter im Priestergewande Peter H. bleib lange im Verborgenen. Nun sagte er vor dem Landgericht Essen als Zeuge aus. Einer seiner Opfer fordert Schmerzensgeld vom Bistum Essen. Bild: Kolja Zinngrebe/CORRECTIV

Freitag, der 4. April 2025, um 9:30 Uhr im Landgericht Essen: Peter H. betritt den Saal 101. H. ist einer der bekanntesten Missbrauchstäter in der katholischen Kirche. Der 77-jährige Mann geht langsam und gebeugt, die weißen Haare sind zu einer Igelfrisur geschoren, seine Wangen eingefallen. Er trägt blaue Jeans, ein blaues Hemd, darüber eine dunkelblaue Weste. 

In den 1970er Jahren wurde H. im Bistum Essen zum Priester geweiht. Die Bischöfe schickten ihn durch die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Dort missbrauchte H. dutzende Jungen. Sowohl die Bischöfe als auch der verstorbene Papst Benedikt XVI. kannten H.s Gefährlichkeit, doch erst nach einer Recherche der New York Times zogen ihn die Bischöfe 2010 aus der Gemeinde ab. Statt die Missbrauchstaten aufzuklären, vertuschte die katholische Kirche alle Hinweise. So führte der verstorbene Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, eine Geheimakte zu klerikalen Missbrauchstätern, die den Titel „Brüder im Nebel“ trug.

Täter und Opfer sitzen sich gegenüber

Nun tritt einer der Brüder aus dem Nebel heraus: Nach 46 Jahren begegnen sich im Saal 101 des Gerichts Opfer und Täter. Wilfried Fesselmann, der im Sommer 1979 in der Pfarrwohnung der Essener Gemeinde St. Andreas von dem damaligen Kaplan H. missbraucht wurde, fordert 300.000 Euro Schmerzensgeld vom Bistum Essen. 

Dass H. der Zeugenladung folgte, überraschte viele. Jahrelang war H. für die Öffentlichkeit nicht greifbar und antwortete nur über seinen Anwalt auf Anfragen. Ein Interview verweigerte er im Gerichtssaal.

Seine Tat ist verjährt. Deswegen ist ein Strafprozess nicht mehr möglich, das Bistum Essen als ehemaliger Arbeitgeber soll in einem Zivilverfahren haften. H. ist nicht Angeklagter, er kommt als Zeuge in das Verfahren von Wilfried Fesselmann gegen das Bistum.

Es gibt zwei Schilderungen des Geschehens. Fesselmann sagte vor Gericht aus, der Kaplan habe seine Mutter nach einer Ferienfreizeit angerufen und ihn, damals Messdiener, zu einem Fernsehabend eingeladen. Dort habe H. ihm Alkohol eingeflößt, sich selbst und ihn entkleidet und ihn zum Oralsex gezwungen.

Der ehemalige Kaplan gibt zu, den Jungen berührt zu haben

Der ehemalige Priester wiederum gibt zu, dass Fesselmann bei ihm übernachtet habe, dass er sich selbst entkleidet und den damals Elfjährigen berührt habe. Als der nicht wollte, habe er abgelassen. H. könne sich nicht erinnern, dass es an dem Abend zum Oralsex gekommen sei. „Es tut mir leid“, sagte H. im Gerichtssaal und bedauerte den Schaden für das Opfer und das Ansehen des Bistums. Der ehemalige Priester H.  sagt aus, auch bei den anderen Jungen sei es nie zur Penetration und nur einmal zum Oralsex gekommen. 

Die Frage, ob H. den Kläger zum Oralsex zwang, ist entscheidend. Die Anwälte des Bistums stützen sich auf H.s Aussagen und sprechen von „sexueller Belästigung“ statt „sexuellem Missbrauch“. Fesselmann erhielt bereits 45.000 Euro aus der kircheninternen Opferentschädigung, was aus Sicht der Anwälte ausreichend sei. Zudem bestritt das Bistum eine Amtshaftung für die Taten des damaligen Kaplans. Die Amtshaftung heißt, dass die Kirche für die Vergehen ihrer Priester haftet, so wie der Staat für die Taten seiner Beamten.

Der Richter glaubt dem Kläger

Die Anwälte des Bistums beantragten, Peter H. zu vereidigen. Der Rechtsanwalt des Klägers präsentierte aus dem Zuschauerraum den Zeugen Markus Elstner als Zeugen. Elstner wurde bereits vor Fesselmann von H. missbraucht, in Bottrop. Der vorsitzende Richter Roland Wissel kürzte das Verfahren ab und verkündete, dass die Kammer Fesselmanns Darstellung glaubt, dass H. ihn im Sommer 1979 zum Oralsex gezwungen habe. Zudem sehen sie das Bistum in der Amtshaftung. 

Fesselmann schilderte seinen Leidensweg aus Alkoholsucht, Angststörungen und posttraumatischer Belastungsstörung. Das Schmerzensgeld richtet sich nach der Schwere der Folgen.

Am 25. April wird die Kammer verkünden, ob ein Gutachter den Schaden bewerten muss oder ob sie bereits die Höhe des Schmerzensgeldes festsetzt. Zu Beginn des Verfahrens hatte das Bistum einen Vergleich abgelehnt und auf ein Urteil bestanden. Nach dem Verhandlungstag zeigte sich der Rechtsanwalt Andreas Schulz zufrieden. „Die Brüder im Nebel halten auch nicht mehr zusammen“, sagte er, befürchtet aber, dass das Gericht das Schmerzensgeld niedriger ansetzt als erwartet. „Wir sind in Deutschland nicht so weit“, sagte Schulz.

Ein Gutachterverfahren verzögert Traunstein

Rechtsanwalt Schulz vertritt neben Fesselmann auch Andreas Perr, der Mitte der 1990er Jahre im oberbayerischen Garching von H. missbraucht wurde. Dieser Prozess begann im Januar 2024 und zieht sich bis heute in einem langen Gutachterverfahren. Auch in diesem Verfahren in Traunstein ist die Tat des Priesters unstrittig, und das Gericht stellte bereits eine Amtspflichtverletzung des Erzbistums München und Freising sowie des Papstes Benedikt XVI. fest. 

H. wurde 1980 nach den Vorfällen in Essen nach München versetzt, als Papst Benedikt XVI. – damals Joseph Kardinal Ratzinger – dort Erzbischof war. CORRECTIV wies weitere Verbindungen nach. 1986 verurteilte das Amtsgericht Ebersberg H. wegen mehrfachen Kindesmissbrauch zu einer Bewährungsstrafe. Ratzinger, nun als Präfekt der Glaubenskongregation, erlaubte, dass der Priester die Messe nicht mit Wein, sondern mit Traubensaft zelebrierte.  Er wusste zu dieser Zeit bereits von H.s Sexualstraftaten. Trotzdem setzte das Erzbistum München und Freising den Priester erneut in die Gemeindearbeit nach Garching an der Alz ein, wo er weiter Jungen im Pfarrhaus missbrauchte, darunter Andreas Perr.

Redaktion: Gabriela Keller und Anna Kassin