Russische Propaganda für deutsche Zuschauer
Der russische Auslandssender Russia Today hat die Mission, Moskaus Sicht der Dinge in alle Welt zu tragen. Er bietet europakritischen Politikern von ganz links und ganz rechts eine Bühne – Hauptsache die Interviewten sind Merkel- und europakritisch. Ausgerechnet ein AfD-Hinterbänkler aus Berlin ist ein besonders gefragter Interviewpartner bei RT.
Mai 2016, der Sächsische Landtag in Dresden. Jasmin Kosubek interviewt in aller Ausführlichkeit Frauke Petry. Wobei es kein Interview ist, wie es professionelle Journalisten führen würden, distanziert, skeptisch, kritisch. Nein: Frau Kosubek gibt der AfD-Chefin lediglich Stichworte und Gelegenheiten zur Selbstdarstellung. Etwa: „Sie wurden ausgeladen vom Katholikentag. Stört es Sie eigentlich, wenn Sie ja eigentlich die christlichen Werte verteidigen?“
Kosubek ist die bekannteste Moderatorin von RT Deutsch. Das Webportal sendet ausschließlich über Youtube und die eigene Website. Man wolle eine „Gegenöffentlichkeit herstellen“ und „Medienmanipulationen aufzeigen“ heißt es auf der Internetseite von RT Deutsch. Auffällig ist dabei die erstaunliche Nähe zur AfD. Es ist bekannt, dass der Kreml schon lange Kontakt zu rechten, anti-europäischen Parteien sucht. Und dass diese, von der ungarischen Jobbik-Partei über die französische Front National hin zur AfD, die Kontaktgesuche dankend annehmen.
Faktenbox: RT Deutsch
- Gegründet: 2014
- Besitzer: Rossjia Sewodnja, russisches Unternehmen
- Hauptmoderatorin: Jasmin Kosubek
- Reichweite: knapp 80.000 Abonnenten bei Youtube
RT Deutsch ist ein Ableger des russischen Auslandssenders RT, der bis 2009 noch Russia Today hieß. RT wirkt auf Zuschauer wie ein klassischer Nachrichtensender, ähnlich wie BBC oder CNN. Nur dass RT sich eben, im Auftrag des Kreml, der russischen Sichtweise verschrieben hat. Er sendet auf Englisch, Arabisch und Spanisch. Weitere Webportale gibt es auf Französisch und Russisch. Wie RT selbst mitteilt, hat sich die russische Regierung den Sender 2016 rund 270 Millionen Euro kosten lassen. Nach eigenen Angaben erreicht RT weltweit 700 Millionen Menschen in über 100 Ländern. Doch diese hohe Zahl ist zweifelhaft. Wahrscheinlich beschreibt sie lediglich die theoretische Reichweite. Die Zahl der Menschen, die den Sender tatsächlich einschalten, dürfte weit geringer sein.
Die verschiedenen Internetseiten von RT besuchen nach Schätzungen des Online-Dienstes Alexa weltweit knapp 12 Millionen Menschen täglich. Die Seiten von CNN und BBC, mit denen sich RT gern vergleicht, haben knapp dreimal so viele Besucher.
„Der fehlende Part“
Herzstück von RT Deutsch ist „Der fehlende Part“. Moderatorin Jasmin Kosubek will in der wöchentlichen Sendung zeigen, wie die westlichen Medien manipulieren, was verschwiegen und ausgelassen wird. Dass die AfD in Deutschland keineswegs totgeschwiegen und Frauke Petry auch bei öffentlich-rechtlichen Sendern oft zu Talkshows eingeladen wird, irritiert Kosubek nicht.
Nicht nur Petry, auch der zweite AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen, Stellvertreterin Beatrix von Storch, Wiebke Muhsal vom Thüringischen AfD-Landesverband und Hugh Bronson vom Landesverband Berlin sind bei RT Deutsch aufgetreten. Auch Politiker der LINKEN, wie das Ehepaar Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine, sind gern gesehene Gäste. Politiker der anderen im Bundestag vertretenen Parteien hingegen kommen kaum vor. Es sei denn, sie kritisieren ihre Parteikollegen scharf. Wie Thomas Jahn, CSU’ler, Merkel-Gegner und Streiter gegen den Rundfunkbeitrag. Auch Globalisierungskritiker und Verschwörungstheoretiker kommen ausführlich zu Wort. Schließt RT Politiker von SPD, Grünen, FDP und CDU bewusst aus? Darauf wollte RT auf Anfrage von CORRECTIV hin keine Stellung nehmen.
Ein Hinterbänkler im Staatsfernsehen
Auch der englischsprachige TV-Sender RT International bittet häufig Funktionäre von LINKE und AfD zum Interview. Der weithin unbekannte Berliner AfD-Abgeordnete Frank Hansel zum Beispiel durfte bereits mindestens acht Mal bei RT-International auftreten und sich zum Brexit, den Anschlägen in Würzburg und Ansbach oder neurechten Kundgebungen in Thüringen äußern.
Warum gerade er? „Sie wollen jemanden, der die Lage in Deutschland zu den großen Themen wie Migration und Islam bewerten kann“, sagt er auf Anfrage. Und das könne er gut. RT frage ihn regelmäßig per SMS oder WhatsApp für Interviews an.
Das habe auch praktische Gründe, sagt Hansel. Das Abgeordnetenhaus von Berlin liege fußläufig zum Potsdamer Platz, dem Sitz von RT in Deutschland. Da sei er in wenigen Minuten in der Redaktion. Außerdem könne ihn die Redaktion direkt erreichen und müsste nicht erst umständlich über Sekretariate Termine vereinbaren. Es gehöre jedoch nicht zur Strategie der AfD, gezielt ihre Inhalte bei RT zu platzieren, sagt Hansel. Für ihn haben die Auftritte „eher Übungscharakter“. Er könne dabei Medienerfahrung sammeln.
Fehler und Manipulationen
Neben der beschränkten Auswahl an Gästen unterlaufen RT auch häufig handwerkliche Fehler, teilweise werden schlicht Unwahrheiten verbreitet. So wird in einem Bericht behauptet, im Januar 2016 seien 100.000 Menschen bei Pegida-Demonstrationen mitgelaufen. Laut der Forschungsgruppe „durchgezählt“ gab es in dem Monat drei Demos in Dresden, an denen jeweils rund 4000 Menschen teilnehmen; zu einer Kundgebung in Leipzig kommen rund 300 Teilnehmer.
In einem anderen Bericht über Flüchtlinge, ebenfalls von August 2016, wird ein Mann auf der Straße befragt. Er ist der Meinung, dass Flüchtlinge den Staat zu viel kosten und zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen. Bei dem Mann handelt es sich um den Dortmunder Neonazi Michael Brück von der Partei „Die Rechte“. Sein Name und seine Parteizugehörigkeit werden in dem Beitrag jedoch nicht genannt.
„Unsere Lisa“
Im Januar 2016 sorgt der „Fall Lisa“ in Berlin für großen Wirbel: Die 13-jährige Russlanddeutsche verschwindet am 11. Januar auf dem Schulweg. Als sie 30 Stunden später wieder auftaucht, berichtete sie ihren Eltern, sie sei von drei Männern mit „südländischem Aussehen“ entführt und vergewaltigt worden. Daraus wird in den sozialen Netzwerken das Gerücht, Lisa sei von arabischen Flüchtlingen vergewaltigt worden – was von Politik und Medien verschwiegen werde.
Russische Medien greifen den Vorfall breit auf. In der Folge randalieren russische Männer in Berlin-Marzahn in einem Flüchtlingsheim, es kommt zu Demonstrationen in Berlin und anderen Städten. Selbst der russische Außenminister Sergej Lawrow schaltet sich ein, spricht von „unserer Lisa“ und wirft den deutschen Behörden Vertuschung aus „politischer Korrektheit“ vor.
Am 29. Januar 2015 gibt die Berliner Staatsanwaltschaft bekannt, dass Lisa die Geschichte erfunden und das Mädchen die Nacht bei ihrem 19-jährigen Freund verbracht habe. Das habe die Auswertung ihrer Handydaten ergeben. Die Polizei wiederholte bereits zuvor stets, sie gehe nicht davon aus, dass Lisa entführt und vergewaltigt wurde.
Am 27. Januar spricht die RT-Moderatorin Maria Janssen mit dem Journalisten Ivan Blagoy, der die Geschichte als Erstes für den russischen Sender Pervij Kanal aufgriff. Er behauptet, dass der Familie auf jeden Fall „ein Unglück geschehen sei“, und sagt gleichzeitig, dass er seine Informationen von Verwandten und Nachbarn Lisas sowie aus sozialen Netzwerken habe. Janssen konfrontiert Blagoy in dem Interview nicht mit den Einschätzungen, die die Polizei bis dahin veröffentlicht hat. Das Gespräch dreht sich lediglich um die Frage, wie die deutschen Medien mit der Geschichte umgegangen seien und wie schmerzhaft das alles für die Familie sei.
Korrektur 7.1.2017: In einer früheren Fassung des Artikels fand sich die Angabe, dass in Deutschland sechs Millionen russischsprachige Menschen leben. Wir haben diese Zahl wieder gelöscht, weil es keine verlässlichen Angaben über die Zahl russischsprachiger Menschen in Deutschland gibt.
Anmerkung 5.1.2017: In der Sendung „Der fehlende Part“ bei RT Deutsch am 23.12.2016 wurde angekündigt, dass die Sendung nicht fortgeführt wird. Der Redaktionsschluss für diesen Artikel war am 22.12.2016, deshalb wurde diese Information nicht berücksichtigt.
Anmerkung 5.1.2017: RT Deutsch hat während der Recherche auf Anfragen von CORRECTIV nicht reagiert.
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