Die AfD sagt, dass Gender Mainstreaming den Unterschied zwischen Mann und Frau auflösen will. Stimmt das?
AfD-Faktencheck, Teil 4. In einem Wahlkampfvideo behauptet AfD-Vize Beatrix von Storch: „Gender Mainstreaming zielt nicht auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Es ist die Lehre davon, dass es Mann und Frau quasi gar nicht gibt.“ Stimmt das so?
Zum Originalzitat hier entlang.
1995 findet in Peking die 4. Weltfrauenkonferenz der UNO statt. Die Delegierten empfehlen, dass von nun an weltweit das Gender-Mainstreaming angewendet werden soll – um die Gleichstellung von Mann und Frau weiter voran zu treiben. Der Begriff ist sperrig. Übersetzen könnte man ihn mit den nicht weniger sperrigen Begriffen „gleichstellungsorientierte Politik“ oder „geschlechtersensible Folgenabschätzung“.
Gemeint ist: Frauen und Männer sollen gerade nicht über einen Kamm geschoren werden. Man erkennt ihre Verschiedenheit an – und versucht das bei politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Seit 1999 ist Gender-Mainstreaming offizielles Ziel der EU-Politik, seit 2000 auch in Deutschland.
Zwei Beispiele:
Vor der Umgestaltung des Bahnhofsplatzes befragt Wiesbaden Ende 2002 die Bürger der Stadt nach ihren Wünschen. Frauen nennen dabei eine Unterführung als besonders unsicher und unangenehm. Die Ergebnisse werden in die Bauplanung einbezogen: In der Fertigstellung wird die neue Unterführung mit einer Glas-Licht-Wand ausgestattet, die den Tunnel stets hell ausleuchtet und für eine angenehmere Atmosphäre sorgen soll.
In Ulm wollen Planer 2001 die Wünsche der Kinder bei der Umgestaltung von Spielplätzen berücksichtigen. Sie fragen Jungen und Mädchen, wo sie am liebsten spielen und beobachten sie an verschiedenen Spielgeräten. Am Ende werden, auf Wunsch vieler Mädchen, auch kleine Häuschen oder Nischen eingeplant.
Mit anderen Worten: Gender-Mainstreaming ist eine Handlungsempfehlung der Vereinten Nationen, die davon ausgeht, dass es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. Dass man die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern vorab berücksichtigen muss, wenn man Gleichberechtigung herstellen will. Davon, „dass es Mann und Frau quasi gar nicht gibt“, kann nicht die Rede sein.
Verwechselt Beatrix von Storch „Gender-Mainstreaming“ mit „Gender Studies“ – zu Deutsch Geschlechterforschung? Das ist ein recht junger Wissenschaftszweig, in dem untersucht wird, wie Geschlecht menschliche Gemeinschaften prägt und von ihnen geformt wird. Die Forscherinnen und Forscher unterscheiden zwischen dem biologischen Geschlecht (sex) und dem sozialen Geschlecht (gender). Die Gender Studies gehen davon aus, dass Unterschiede zwischen Mann und Frau, denen wir in im Alltag begegnen, größtenteils gesellschaftlich geformt sind. Manche Aktivisten fordern, Geschlechter-Stereotypen und Rollenklischees aufzulösen.
Das von Storch erwähnte Gender-Mainstreaming hat genau das aber nicht zum Ziel. Hier wird ja deutlich zwischen den Bedürfnissen von Mann und Frau unterschieden. So deutlich, „dass die Stereotypen möglicherweise noch verstärkt werden“, sagt Katja Sabisch, Professorin für Gender Studies an der Universität Bochum.
Fazit
Beatrix von Storch Behauptung ist nicht nachvollziehbar. Sie hat den Begriff Gender-Mainstreaming offenbar nicht verstanden und meint damit allenfalls manche Zuspitzungen bei den „Gender Studies“.
Der AfD-Faktencheck wurde zusammen mit dem Institut für Journalistik der TU Dortmund erstellt. Die Autoren Björn Bernitt, Linda Fischer, Anastasiya Polubotko und Daniela Weber sind Studierende bei Professor Holger Wormer. Assistenz: Maximilian Doeckel
Quellen
- Office of the Special Advisor on Gender Issues and Advancement of Women: Gender Mainstreaming: Strategy for Promoting Gender Equality. United Nations, 2001; pdf.
- Stiegler, Barbara: Gender Mainstreaming. Postmoderner Schmusekurs oder geschlechterpolitische Chance? Argumente zur Diskussion. Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn 2003. S. 5
- Gender Mainstreaming. Best-Practice-Beispiele aus den Kommunen Deutscher Städtetag, 2003. S. 13; pdf.
- Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies. Berlin 2010, S. 9