Bundesverwaltungsgericht: Pläne Martin Sellners zur „Remigration“ sind verfassungswidrig
Im Juni 2025 hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins aufgehoben. Nun liegt die Begründung des Urteils vor. Darin bewertet das Gericht das „Remigrationskonzept“ des Rechtsextremisten Martin Sellner, das auch beim Geheimtreffen in Potsdam Thema war, als „menschenwürdewidrig“.

Es war ein umstrittener Schritt der damaligen Innenministerin Nancy Faeser (SPD), das rechtsextreme Magazin Compact zu verbieten. Als das Bundesverwaltungsgericht im Juni das Verbot aufhob, feierte sich der Gründer von Compact, Jürgen Elsässer, noch im Gerichtssaal, indem er sich in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Bundesregierung Besieger“ zeigte.
Nun hat das Gericht die schriftliche Begründung zum Urteil veröffentlicht. Das Gericht zeigt darin, warum ein Verbot des gesamten Magazins zwar nicht gerechtfertigt sei, aber bestimmte Inhalte des Magazins, vor allem die Beiträge Martin Sellners zur „Remigration“, verfassungswidrig sind.
Bemerkenswert ist, wie intensiv das Gericht auf das „Remigrationskonzept“ des Rechtsradikalen Martin Sellner eingeht und es eindeutig als „menschenwürdewidrig“ einstuft. Sellners Konzept, so das Gericht, verletze die Gleichheit der Bürger, weil es sich auch auf Staatsbürger beziehe. Für AfD-Politiker, die „Remigration“ fordern, könnte die Begründung des Urteil Konsequenzen haben.
Der Grund, warum das Gericht ausführlich auf Sellner eingeht, liegt darin, dass er sein Konzept in mehreren Videos, aber auch in Texten auf der Compact-Seite vorgestellt hat. Zudem haben sich andere Autoren, auch der Compact-Gründer Elsässer, immer wieder auf das „Remigrationskonzept“ bezogen.
Gleiche Bewertung wie bei der Potsdam-Recherche
Das Gericht nennt klare Anhaltspunkte, die die Verfassungswidrigkeit von Sellners Ideen zeigen würden. Zentral ist folgender Satz: „Nach alledem erweist sich das auf die Bewahrung einer ‚ethnokulturellen Identität‘ ausgerichtete sogenannte ‚Remigrationskonzept‘ Martin Sellners in Bezug auf die deutschen Staatsangehörigen als nicht egalitär und daher menschenwürdewidrig“.
Das Konzept der „Remigration“ von Sellner wurde einer breiten Öffentlichkeit durch die CORRECTIV-Recherche Geheimplan gegen Deutschland bekannt. CORRECTIV hatte im Januar 2024 beschrieben, dass Sellner in Potsdam vor hochrangigen AfD-Funktionären, Rechtsextremisten und Vertretern des rechten bürgerlichen Lagers im Rahmen der Vorstellung eines „Masterplans“ die „Remigration“ auch für „nicht-assimilierte Staatsbürger“ über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ als „Jahrzehnteprojekt“ zur Abwehr der „ethnischen Wahl“ vorgeschlagen habe. Diese Elemente entsprechen auch denen, die Sellner in seinen Videos auf Compact geteilt hat.
In der Einordnung des Konzeptes kommt das Bundesverwaltungsgericht nun zu den gleichen Bewertungen, wie sie auch CORRECTIV in dem Text Geheimplan gegen Deutschland vorgenommen hatte. An der Einordnung durch CORRECTIV gab es immer wieder Kritik, etwa von Übermedien aber auch der Zeit, sie sei übertrieben; der Teilnehmer des Potsdam-Treffens, Ulrich Vosgerau, hat – anders als Martin Sellner – zudem mehrere Klagen gegen CORRECTIV und andere Medien angestrengt, die über die Recherche berichtet hatten.
Sellners Masterplan: „Remigration“ auch für „nicht-assimilierte Staatsbürger“
Die Richter werfen den Herausgebern des Compact-Magazins vor, dass diese als Reaktion auf die CORRECTIV-Recherche das Konzept Sellners in einer Ausgabe verteidigt hätten: „Sellners Überlegungen werden dort auch – in verharmlosender Art und Weise als ‘gewaltfrei und rechtsstaatlich’ beschrieben – inhaltlich unterstützt.“ Die schriftliche Begründung des Gerichts führt detailliert auf, dass diese Einschätzung falsch ist.
So betonen die Richter, dass die Menschenwürde der „oberste Wert des Grundgesetzes ist und unverfügbar“ bleibt. Sie definieren die Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit: „Die Ablehnung weiterer Zuwanderung offenbart eine verfassungsfeindliche Haltung, wenn deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund Rechte abgesprochen oder wohlerworbene Rechte rechtsstaatswidrig aberkannt werden sollen.“
Die Richter sehen diese Grenzüberschreitung in Sellners Plänen. Sie zitieren seine Vorträge zur „Remigration“ auf dem YouTube-Kanal von Compact zwischen November 2023 und Dezember 2023. In der Begründung heißt es: „Ausdrücklich bezieht Martin Sellner – neben „Asylanten“ sowie „Nichtstaatsbürger[n] und Ausländer[n]“ – auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund in seine Überlegungen mit ein. Schon in den einleitenden Worten seiner Videoreihe erklärt er, dass es nicht nur um die ‚Abschiebung von Illegalen‘ gehe, sondern seine ‚Remigrationspläne‘ umfassender angelegt seien und ’nicht assimilierte Staatsbürger‘ einschlössen.“
Und weiter: „Er plant explizit eine Rückabwicklung des Migrationsgeschehens, ungeachtet einer zwischenzeitlich verliehenen oder „sogar“ durch Geburt“ erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit, sofern es an einer hinreichenden „Assimilation“ dieser Staatsangehörigen mangele.“ Die Richter gehen auf einen Videovortrag im November ein, den Sellner wenige Tage vor der oben beschriebenen Veranstaltung in Potsdam gehalten hat, bei der er das Konzept der „Remigration“ für verschiedene Gruppen, darunter „nicht-assimilierte Staatsbürger“ vorgeschlagen hatte.
Gericht: „Remigration“ widerspricht der rechtlichen Gleichheit
Weiter zitiert das Urteil ein Video kurz vor Neujahr 2024: „Unter den ca. 12,2 Millionen deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund befänden sich 5 bis maximal 6 Millionen Staatsbürger, die „möglicherweise für eine Remigrationspolitik in Frage kämen, weil sie sich nicht assimilieren wollen oder können.“
Die Richter beschreiben, wie Sellner das erreichen will: „für die deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund, die sich als ‚Belastung‘ erwiesen, sieht Sellner ein Bündel an Maßnahmen vor, die langfristig zu ihrer ‚Remigration‘ führen sollen. (..) Dazu gehöre es, dass fremde Kulturen im öffentlichen Raum nicht mehr stattfinden dürften, auch keine fremden Speisegebote, keine fremden Feiertage und keine fremden Sprachen.“
Die Richter stellen fest, dass Sellners Pläne die rechtliche Gleichheit der Staatsbürger in Frage stellen: „Sellners Pläne gehen von einem Vorrang der ethnisch-kulturell Deutschen aus, denen das Heimatrecht in Deutschland exklusiv zusteht. (…) deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund wird kein uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. Sie haben den Status von Staatsbürgern zweiter Klasse“.
Die Richter sehen auch die Religionsfreiheit durch Sellners Konzept bedroht: „Die ‚De-Islamisierung‘ deutscher Staatsangehöriger muslimischen Glaubens zielt darauf ab, dass diesen elementare Freiheitsgrundrechte – etwa die Freiheit der Religionsausübung, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit – vorzuenthalten“.
Gericht: Sellners Pläne zur „Remigration“ bedeuten Ausbürgerung
Die Richter gehen auch auf den Begriff „ethnische Wahl“ ein, den Sellner verwendet. „Sellner bezeichnet die ‚ethnische Wahl‘ explizit als Problem. Diese müsse unterbunden werden, weil dadurch der Stimme eines ethnisch-kulturell Deutschen immer weniger Gewicht zukomme“, schreiben die Richter und zitieren Sellner: „Die Demografie frisst die Demokratie“.
Die Richter sehen dahinter einen Plan, der sich gegen das Demokratieprinzip richtet: „Die politischen Pläne sind erkennbar auch dadurch motiviert, den Einfluss der Gruppe von Deutschen mit Migrationshintergrund bei Wahlen und Abstimmungen zu schmälern. Das widerspricht dem Anspruch aller deutschen Staatsangehörigen auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung.“
Die Verbindung zwischen „Remigration“ und der „ethnischen Wahl“ bewerten die Richter des Bundesverwaltungsgerichts letztlich als eine Ausbürgerung: „Dieses Konzept sieht Ausbürgerungen als Mittel zur Schaffung eines ethnisch-deutschen Volkes auch vor dem Hintergrund künftiger Wahlen und Abstimmung vor. Sellner bezeichnet die „ethnische Wahl“ explizit als Problem“.
Anwalt des Compact-Prozesses will Sellners „Remigrationskonzept“ in Potsdam nicht gehört haben
Das Magazin Compact wurde in dem Verfahren von dem Juristen Ulrich Vosgerau vertreten, der wiederum als Teilnehmer des Potsdamer Treffens CORRECTIV verklagt hatte, unter anderem wegen der Verwendung des Begriffs „Ausbürgerungsidee“. Der Gründer von Compact, Jürgen Elsässer, und seine Frau, so das Gericht, „äußerten sich nach den bereits erwähnten Veröffentlichungen von CORRECTIV zu einem Treffen in Potsdam, bei dem Martin Sellner als Hauptredner aufgetreten war und sein „Remigrationskonzept“ vorgestellt hatte, zustimmend zu den Sellnerschen Plänen. Beide haben es gegenüber Kritik verteidigt.“ Ulrich Vosgerau und sechs weitere Teilnehmer hatten im Februar 2024 versichert, dass Sellner in Potsdam zu „zu keinem Zeitpunkt eine Remigration von Menschen mit deutschem Pass gefordert oder geplant haben“.
Mögliche Konsequenzen für die Identitäre Bewegung und die AfD
Die Richter stellen klar, dass es bei dem „Remigrationskonzept“ nicht nur um Einzelfälle gehe. Die Versuche der Anwälte von Compact, dies zu beweisen, seien wenig glaubhaft. „Die (…) relativierenden und verharmlosenden Einlassungen der Klägerseite erweisen sich als bloß prozesstaktisches, nicht glaubhaftes Vorbringen.“
Obwohl die Richter das in dem Compact-Magazin propagierte „Remigrationskonzept“ von Sellner als verfassungswidrig ansehen, hoben sie das Verbot des Innenministeriums auf, da dieses Konzept nicht „prägend“ für das Magazin sei. Doch das Urteil könnte Konsequenzen für die Identitäre Bewegung haben. „Remigration“ im Sinne Sellners ist ein prägender Teil der Ideologie der Identitären Bewegung. Das Urteil könnte daher als Vorlage für ein Verbot für die Identitäre Bewegung dienen. Die Richter schreiben zudem, dass die Nutzung des Wortes „Remigration“ darauf schließen lasse, dass damit eigentlich das Konzept von Sellner gemeint sei. Das kann als Warnung an viele AfD-Politiker verstanden werden, von denen sich etliche immer wieder wohlwollend zu dem Konzept der „Remigration“ äußern.
Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah zitierte einige Passagen aus dem Urteil auf der Plattform X und warnt die AfD vor einem möglichen Verbot, wenn sie sich nicht von Sellners Plänen zur „Remigration“ distanziere: „Finger weg von Staatsbürgern!“, schreibt der AfD-Bundestagsabgeordnete aus Sachsen.