Russland/Ukraine

Ölraffinerie in Schwedt: Staatssekretär Kellner empfiehlt Enteignung russischer Anteile

Russland und die USA verhandeln über Deutschlands Energieinfrastruktur. Der scheidende Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner, schlägt Alarm: Er warnt vor einer Spaltung Europas und empfiehlt der kommenden Regierung die Verstaatlichung der russischen Anteile an der Ölraffinerie in Schwedt.

von Marcus Bensmann , Alexej Hock , David Schraven

PCK-Raffinerie
Ungeklärte Besitzverhältnisse: Die Mehrheitsnteile von Rosneft Deutschland an der PCK Schwedt stehen unter Treuhandverwaltung des Bundes – bisher. Foto: Patrick Pleul/picture alliance

Seit mehr als zwei Jahren befindet sich das Schicksal der Raffinerie PCK Schwedt am Rande Brandenburgs im Schwebezustand. Das liegt an Russland: Die Mehrheit der Anteile hält Rosneft Deutschland, eine Tochter des russischen Mineralölkonzerns. Aufgrund des russischen Angriffskrieges stehen diese Anteile seit Herbst 2022 unter Treuhandverwaltung des Bundes, russisches Öl darf nicht mehr nach Schwedt importiert werden.

Bisher gab es keine Lösung, was mit dem russischen Anteil an der Raffinerie geschehen soll. Doch nun kommt Bewegung in die Sache. Im für Energiefragen zuständigen Bundeswirtschaftsministerium kommen Zweifel am bisherigen Kurs auf. Der parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner (Grüne), zweiter Mann hinter Wirtschaftsminister Robert Habeck und im Haus mit der Situation in Schwedt befasst, schlägt vor, der deutsche Staat soll die russischen Anteile fest übernehmen.

Die Ölraffinerie ist strategisch bedeutsam: Konkret geht es um rund 1200 Arbeitsplätze und um die Versorgung von Berlin, Brandenburg und ihrem Flughafen mit Kraftstoffen.

Aber es geht auch um Weltpolitik sowie um die europäische Solidarität. Neben Nord Stream wird derzeit um die Zukunft der Raffinerie verhandelt – und damit um deutsche Energieinfrastruktur, die vor dem Überfall auf die Ukraine mit russischem Gas und Öl betrieben wurde. Der Ausgang der Verhandlungen könnte richtungsweisend für Deutschlands künftiges Verhältnis zu Russland, den USA und seinen europäischen Nachbarn sein.

Ausweg aus einer verfahrenen Lage gesucht

Die ungeklärten Besitzverhältnisse an der PCK Schwedt, das Ölembargo sowie Sanktionen gegen Russland erschweren einen wirtschaftlichen Betrieb. In den Ausbau alternativer Versorgungswege investieren will niemand: weder Rosneft noch die anderen Anteilseigner wie der Konzern Shell, der seine 37,5 Prozent schon länger loswerden will. Eine vom Wirtschaftsministerium in Berlin angetriebene grüne Transformation kommt nicht voran. Für alle ist klar: Das kann kein Dauerzustand sein.

Für die Bundesregierung galt als bevorzugter Weg aus der verfahrenen Situation bislang ein Verkauf der russischen Anteile an Dritte. Erst war Qatar im Gespräch. Ende vergangenen Jahres warf Russlands Präsident Wladimir Putin Kasachstan als Kandidat ein. Zuletzt kamen offenbar potentielle Investoren aus den USA als Interessenten ins Spiel, das berichteten CORRECTIV und Istories Mitte März.

Ein möglicher russisch-amerikanischer Energiedeal ließ Teile der Bundesregierung nun offenbar von der bisherigen Position abrücken. Der scheidende Wirtschaftsstaatsekretär Michael Kellner hat sich gegenüber CORRECTIV für eine Verstaatlichung der Anteile ausgesprochen: „Meine Empfehlung an die nächste Regierung wäre eine Enteignung.“ Seine Befürchtung ist, dass der Deal zwischen den USA und Russland zu Lasten von Europa ausfallen könnte.

Eine Quelle aus dem amerikanisch-russischen Verhandlerkreis hatte gegenüber CORRECTIV die Bedeutung der Gespräche so beschrieben: „Da klatschen sich zwei in die Hände, die Russen und Amerikaner. Der eine verkauft Rohstoffe, der andere transportiert. Beide kriegen Geld dafür, und die Europäer zahlen die Zeche“.

Ein fernes Szenario – oder nicht?

Anders als bei Nord Stream ist der Name des US-Interessenten für Schwedt in der Bundesregierung noch nicht einmal bekannt. In der EU gilt ein Embargo für russisches Öl. Bei dem skizzierten Szenario geht es daher weniger um Geschäfte von heute auf morgen, sondern um langfristige Weichenstellungen.

Sollte es zu einem Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine kommen, könnten Sanktionen zur Disposition stehen. Wenn sich die US-Interessen mit denen Russlands treffen, gäbe es gleich von zwei Seiten mächtige Hebel: Sanktions- und Zollpolitik auf der einen Seite, billige Energie auf der anderen. Die jüngst verhängten Zölle sind ein Beispiel für die brachialen Methoden des US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump.

In Deutschland sollte niemand einem Energiedeal zwischen Russland und USA den Mund reden, sagt Kellner. Europäische Infrastruktur müsse in europäischen Händen bleiben. Der Politiker warnt: Die EU fliege auseinander, falls es zu solch einer Einigung über die Köpfe von Polen und der baltischen Staaten hinweg kommen würde.

Die Ölpipeline Druschba, über die bis 2022 russisches Öl nach Schwedt gepumpt wurde, verläuft über Polen, die Ölraffinerie PCK beliefert den Westen des Landes mit Kraftstoffen. Polen und die baltischen Staaten waren strikte Gegner von Nord Stream 2, weitere osteuropäische Staaten sahen das Projekt mindestens kritisch. Ein entsprechender Energiedeal wäre laut Kellner daher der „größte Gefallen, den man Putin tun könnte”.

Bisher scheute die Bundesregierung den Schritt zur Enteignung

Rosneft Deutschland besitzt auch Anteile an den süddeutschen Raffinerien Bayernoil und Miro. Die Treuhandverwaltung durch die Bundesnetzagentur betrifft auch diese Anteile. Der Bund hat in der Funktion als Treuhand bei den Verhandlungen des russischen Mutterkonzerns kein Mitsprache- oder Vetorecht. Rosneft kann sich seinen Käufer selbst aussuchen.

Bisher scheute die Bundesregierung den Schritt zu einer Enteignung. Die Möglichkeit schwebte als letztes Mittel immer über den Verhandlungen, doch bislang wurde die Treuhandverwaltung immer wieder verlängert, zuletzt im März für weitere sechs Monate.

Ein Grund war die Angst vor möglichen Gegenmaßnahmen Russlands. Man fürchtete um deutsche Vermögenswerte in Russland. Daher hatte sich die Bundesregierung auf Rosneft zubewegt. Wie das Handelsblatt berichtete, trafen sich Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums und des Bundeskanzleramtes Anfang 2024 in Istanbul mit Rosneft-Chef Igor Setschin, der als Putin-Vertrauter gilt. Man einigte sich auf eine Art Stillhalteabkommen: Rosneft lässt laufende Klagen gegen die Bundesregierung ruhen, während es einen Käufer sucht.

Kellner konnte das anfängliche Zögern bei der Frage nach einer Verstaatlichung verstehen. Im vierten Kriegsjahr fallen für ihn diese Bedenken aber inzwischen weg, jetzt sei eine Verstaatlichung richtig, sagt Kellner. Bei einer Enteignung müsste die Bundesregierung eine Entschädigung an Rosneft zahlen, allerdings müsste dann auch geklärt werden, ob das Geld wegen des Kriegs auf ein Sperrkonto gehen müsste. Eine solch schwerwiegende Entscheidung überlässt die scheidende Regierung jetzt ihren Nachfolgern.

In Schwedt bahnt sich Protest an

In der Belegschaft der PCK hatte die Aussicht auf einen Deal zwischen den USA und Russland Hoffnung gemacht. Zuletzt mehrten sich die Stimmen, die einen erneuten Anschluss an russisches Öl forderten. Die AfD ist dafür, das BSW auch. Im Mai wollen sie unter dem Motto „Schieber auf!“ demonstrieren – diese Worte sagte Walter Ulbricht im Dezember 1963 beim ersten Ölfluss durch die Druschba-Pipeline.

Auch der Ministerpräsident von Brandenburg, Dietmar Woidke (SPD), schloss zuletzt eine Rückkehr zu Öl aus Russland für die Raffinerie nicht aus – nach einem Friedensschluss. Sollte es zum Schritt der Enteignung der PCK kommen, könnte sich also Protest anbahnen.

Und auch die russische Seite dürfte sich nicht zufriedengeben – ein jahrelanger Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit und die Höhe der Entschädigung wäre wahrscheinlich.

Redigatur: Justus von Daniels
Faktencheck: Gabriela Keller

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