Russlands Verbindungsmann in Mecklenburg-Vorpommern
In kaum einem Bundesland sind die deutsch-russischen Verflechtungen so dicht und tief wie in Mecklenburg-Vorpommern. Zentrale Figur über Jahre war der Leiter des Wirtschaftsbüros der Russischen Botschaft. Seine Spuren zeigen, wie strategisch Russland seine Beziehungen ausbaute.

Nord Stream steht heute exemplarisch für die verfehlte deutsche Russland-Politik und den Weg in die Energieabhängigkeit. „Das war ein Fehler“, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) jüngst bei dem Besuch am 05. Juni in Washington während des öffentlichen Treffens mit dem US-Präsidenten Donald Trump.
In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Pipeline-Röhren aus der Ostsee in Deutschland ankommen, waren deutsch-russische Verflechtungen in Politik und Wirtschaft so ausgeprägt wie in sonst keinem Bundesland. Diese Verstrickungen sind Ergebnis jahrelanger und zielgerichteter Lobbyarbeit Russlands.
Eine wichtige Rolle dabei kam nach Recherchen von CORRECTIV und iStories dem Leiter des Handels- und Wirtschaftsbüros bei der Russischen Botschaft zu: Andrej Zverev. Mit ihm hat Russland ein politisches Schwergewicht auf die Position gesetzt. Der einstige Vize-Finanzminister der Sowjetunion hatte ab 2012 an Dutzenden Treffen mit Vertretern der Landesregierung teilgenommen und sich aktiv in deutsch-russische Arbeitsgruppen eingebracht.
Zverev gründete ein Institut mit dem früheren Superminister der Bundesrepublik Wolfgang Clement (SPD) und machte Geschäfte mit einem Anwalt, der als Vertreter russischer Interessen in Deutschland auftritt. Durch die Beziehungen und Abhängigkeiten sollten die deutschen Reaktionen nach dem Überfall auf die Ukraine ab 2014 offenbar abgefedert werden.
Die Fußspuren von Zverev zeigen auf, wie strategisch Russland dabei vorging – und wie bereitwillig man sich in Mecklenburg-Vorpommern und anderen Orten auf die Dienste von Moskaus Verbindungsmann einließ, der nach Berichten sogar als Agent agiert haben soll.
Nord Stream und das Ostinstitut
Am 11. Dezember 2009 versammeln sich auf Initiative eines Professors der Hochschule Wismar 32 Menschen im Zeughaus. Sie gründen einen Verein mit einem langen Namen, wie es im Versammlungsprotokoll heißt: „Gründung eines Vereins zur Förderung der Ausbildung … auf dem Gebiet von Recht, Wirtschaft, Handel und Politik im Ostseeraum, insbesondere Russland“ . Der Verein, so lautet die Satzung, soll unter anderem „Kooperationen zwischen Unternehmen, Wissenschaft, Kultur, Medien und Politik der Ostseestaaten, der Russischen Föderation und Deutschland“ fördern, sowie Kontakte herstellen.
Die Vereinsgründung fällt in eine Zeit des Aufschwungs deutsch-russischer Wirtschaftskooperationen. Es gilt das Motto „Handel durch Wandel“, nach der Finanzkrise wollen beide Wirtschaften profitieren. Für Verfechter dieser Russlandpolitik gab es gute Nachrichten: Das Pipeline-Projekt Nord Stream nimmt kurz nach dem Treffen eine wichtige Hürde: Am 21. Dezember 2009 erteilen Behörden in Stralsund und Hamburg die Genehmigungen für Arbeiten im Küstenmeer und in der deutschen Wirtschaftszone.
Der Verein, der sich bis heute als „Ostinstitut“ bezeichnet, hat namhafte Initiatoren. Prominentester Kopf auf deutscher Seite ist der inzwischen verstorbene Ex-Bundesminister Wolfgang Clement. Ausgerechnet – Clement ist einer der Masterminds der deutschen Energiepolitik. Der frühere Ministerpräsident von NRW wurde erster „Superminister“ des ersten Kabinetts von Gerhard Schröder und vereinigte das Wirtschafts- und Arbeitsministerium. Seine Verbindungen zu den führenden Gasimporteuren Deutschlands waren immer eng. Clement setzte sich entscheidend für die Fusion von E.on mit Ruhrgas ein. Ruhrgas selbst stand hinter allen russischen Gasdeals der Bundesrepublik seit der Zeit Willy Brandts und der neuen Ostpolitik.
Auch war es Clement, der die Verantwortung für die Erteilung jener deutschen Staatsbürgschaft für einen Kredit über bis zu einer Milliarde Euro an den russischen Energiekonzern Gazprom für Nord Stream übernommen hatte. Die Staatsbürgschaft selbst hatte den Bau der Anlage erst ermöglicht. Wenige Wochen nach dem Ausscheiden aus seinem Amt als Bundeskanzler wurde Gerhard Schröderin den Aufsichtsrat des Konsortiums gewählt, das später auch hinter Nord Stream 2 stecken sollte.
Zum Präsidenten des Vereins wird Wolfgang Clement gewählt. Unter den Gründungsmitgliedern sind Professoren verschiedener Hochschulen, Juristen renommierter Kanzleien – und mit Andrej Zverev ein Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation. Seine Unterschrift ist im Protokoll aufgeführt. In den Folgejahren wird er zum wichtigen Verbindungsmann.
Die Netzwerkarbeit beginnt
Andrej Zverev ist ein erfahrener Staatsdiener. Er war einer der letzten Vorsitzenden der sowjetischen Staatsbank, im November 1991 wurde er zum ersten stellvertretenden Finanzminister der UdSSR ernannt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte er zahlreiche Positionen in Regierungs- und Verwaltungsstellen der Russischen Föderation inne. Im Jahr 2009 wurde er schließlich als Leiter des Handels- und Wirtschaftsbüros in die Russische Botschaft in Berlin entsandt – eine Position, in die traditionsgemäß Geheimdienste Russlands Agenten entsenden.
Auch zu Zverev berichtete der Focus 2022 über eine entsprechende Zugehörigkeit zum Auslandsnachrichtendienst SVR. Mit einer entsprechenden Verwendung taucht sein Name auch in einem Dossier auf, das in Berlin kursiert. Es lässt sich nicht unabhängig überprüfen, ob Zverev Agent des Auslandsnachrichtendienst SVR ist.
Im Jahr 2011 gründete Zverev den „Verband der russischen Wirtschaft in Deutschland“ mit, einen Verein mit Sitz in Berlin. Er taucht auch in den „deutsch-russischen Zukunftsforen“ auf, die regelmäßig auf Schloss Wackerbarth bei Dresden abgehalten wurden. Gegründet 2008 von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und gesponsert von dem Leipziger Gaslieferanten VNG, traf sich dort regelmäßig ein pro-russisches Lobbynetzwerk. CORRECTIV hatte über das Treffen als Teil der „Gazprom-Lobby“ berichtet.
Es ist der Beginn seiner Netzwerkarbeit, die sich bald auch nach Mecklenburg-Vorpommern verlagerte, wo sie unter anderem mit dem Ostinstitut besonders viel Wirkung entfaltete. Beispielsweise 2014, als die Landesregierung den „Russlandtag“, ein mecklenburgisch-russisches Unternehmertreffen, ins Leben rief – mit eifrigem Zutun des Ostinstituts und von Zverev.
Der Russlandtag
Wie aus internen Dokumenten der Staatskanzlei hervorgeht, war es das Ostinstitut, das im August 2013 gegenüber der Landesregierung ein erstes Konzept vorlegte. Im Vordergrund traten die Wismarer Hochschulprofessoren Andreas Steininger und Hans-Joachim Schramm auf. Doch auch Zverev war als Verbindungsmann nach Russland aktiv. Hinsichtlich einer Voraussetzungen für die Durchführung des Russlandtages – dass genügend russische Teilnehmer gewonnen würden –, so heißt es in einem Vermerk zu einem späteren Treffen, stehe Steininger in Kontakt mit Zverev.
Später wird es offizieller: Der damalige Chef der Staatskanzlei und spätere Energieminister Christian Pegel bat Zverev per offiziellem Brief, Mitveranstalter zu werden. Neben der Akquise von Unternehmern und Politikern auf der russischen Seite sei man auch für Hilfe bei der Finanzierung dankbar – „sei es direkt oder durch die Vermittlung von Sponsoren“, so Pegel.
Auf Anfrage bestätigte der Sprecher der Landesregierung, dass „die erste Anregung“ für den Russlandtag vom Ostinstitut ausging. Zverev sei in seiner Funktion als Leiter des Handels- und Wirtschaftsbüros einer der Ansprechpartner der Landesregierung bei der Vorbereitung gewesen, das Büro jedoch bei keinem der Russlandtage Mitveranstalter. Auch sei „nicht erkennbar, dass über Herr Zverev Sponsoren eingeworben wurden“.
Mit jeweils 10.000 Euro hatten sich an dem ersten Russlandtag unter anderem die Betreibergesellschaft Nord Stream AG und Gazprom Germania GmbH beteiligt.
Mitten in die Planungen fiel die Annexion der Krim durch Russland im März 2014 sowie der Abschuss des Passgierflugzeugs MH17 über der Ostukraine im Juli desselben Jahres, bei dem alle 298 Menschen an Bord starben. Doch die Landesregierung hielt an ihrem Plan fest und führte den Russlandtag erstmals im Herbst 2014 durch. Später bezeichnete man das Treffen als „voller Erfolg“. Das Ziel der Wirtschaftskonferenz, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, sei erreicht worden.
Zwei Jahre später sollte es den zweiten Russlandtag geben – und wieder war Zverev dabei. „Zverev steht für einen aktiven Part zur Verfügung“, hieß es in der internen Abstimmung der Landesregierung. Im Workshop unter dem Titel „Erfolgreiche Geschäfte auch in schwierigen Zeiten“ übernahm Zverev die Moderation einer Diskussionsrunde – inzwischen in der Funktion als “Bevollmächtigter des Verbandes russischer Industrieller und Unternehmer in der Bundesrepublik Deutschland”, womit der von ihm 2011 mitgegründete Verein gemeint sein dürfte. Während der Veranstaltung forderte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) das Ende der internationalen Sanktionen gegen Russland.
Die Kontakte intensivieren sich
Auch als er offiziell nicht mehr im Auftrag der Botschaft unterwegs war, tummelte sich Zverev unter Entscheidungsträgern aus Deutschland. Zusammen mit dem deutsch-französischen Anwalt Bertrand Malmendier, den er unter anderem von den „Zukunftsforen“ in Wackerbarth seit Jahren kennt, gründete er 2016 die Bazecon GmbH, eine Firma, die unter anderem Politik-, Wirtschafts- und Unternehmensberatung anbot, aber auch Finanzierungsberatung im In- und Ausland.
Im November 2016 trat Bazecon als Mitverantstalter einer Konferenz auf, die im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin abgehalten wurde. Unter dem Motto „Stand und Entwicklung des russischen Unternehmertums“ konnte Zverevs Bazecon den früheren brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) oder den damaligen Justizminister von Sachsen, Sebastian Gemkow (CDU), gewinnen. Die Kontakte zur Botschaft blieben eng: Im Anschluss an die Konferenz wurde zu einem Empfang in der Russischen Botschaft geladen.
Eng blieben auch die Kontakte in die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern: Allein für den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern, Stefan Rudolph, sind zwischen 2012 und 2021 dreizehn Termine mit Zverev dokumentiert. Drei mit Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU). Im Jahr 2017 wurde Zverev von Glawe sogar zum „Wirtschaftsbotschafter“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Russland ernannt.
Man tauscht sich zu Ideen zum Russlandtag aus, bereitet Russland-Reisen vor oder führt Investorengespräche. Nach dem zweiten Russlandtag konstituierte sich unter der Leitung von Staatssekretär Rudolph die deutsch-russische Arbeitsgruppe „Industrie und Wirtschaft“, an der auch Zverev teilnahm.
Bei den Treffen ging es unter anderem um ein Helikopter-Projekt. Nach den damaligen Plänen sollte spätestens 2020 in Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit russischen Unternehmen unbemannte Kleinhubschrauber produziert werden. Dabei kooperierte das Rostocker Unternehmen Luratec mit einem Tochterunternehmen von Russian Helicopters, das wiederum zu Rostec gehört, einer staatlichen Holding, unter der praktisch die gesamte Rüstungsindustrie aufgehängt ist. Für das Projekt hatte selbst Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) in Moskau geworben.
Die Netzwerke bleiben
Mit dem russischen Angriffskrieg endete zumindest für Zverev das Kapitel in Deutschland. Seine Lobby-Firma Bazecon wurde im Dezember 2022 umbenannt und nach Litauen verkauft. Das Netzwerk besteht aber fort: Sein Co-Geschäftsführer Malmendier vertritt heute die Interessen des russischen Ölkonzerns Rosneft, dessen Anteile in Deutschland unter der Treuhandaufsicht der Bundesregierung sind. Über den Verkauf dieser Anteile sowie über Nord Stream soll im Rahmen eines amerikanisch-russischen Deals verhandelt werden, heißt es aus Verhandlerkreisen.
Netzwerker wie Matthias Platzeck, den Zverev 2016 im Russischen Haus empfing, reisten zuletzt nach Baku, um die Gesprächskanäle aufrecht zu erhalten. Das Ostinstitut führt seine Veranstaltungsreise der „wirtschaftspolitischen Gespräche fort“. Bei der letzten Veranstaltung im April 2024 wurde unter der Fragestellung diskutiert: „Wie funktionieren die Sanktionen gegenüber Russland und funktionieren sie überhaupt?“
Update, 11. Juni 2025 um 16.55 Uhr: Wir haben eine Stellungnahme des Sprechers der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern ergänzt und die damalige Funktion von Christian Pegel als Chef der Staatskanzlei korrigiert.
Redigatur: Marcus Bensmann, Justus von Daniels
Faktencheck: Marcus Bensmann
Titelgrafik: Ivo Mayr