Neuer Unmut über TTIP
Durch TTIP sollen technische Standards vereinheitlicht werden – um überflüssige Doppel-Zulassungen zu vermeiden. Aber: Über Standards und Normen entscheiden in den USA häufig gar nicht Bundesbehörden, sondern die Einzelstaaten. Europäischen Verhandlern wird zunehmend klar, dass ein zentrales Versprechen von TTIP nicht eingehalten werden kann
Dieser Artikel erschien auch in der Pforzheimer Zeitung.
Am 15. März debattierte der TTIP-Beirat im Berliner Wirtschaftsministerium darüber, dass es mit der versprochenen Vereinheitlichung von Standards große Probleme gebe. Kurz darauf wurde nach Informationen des Recherchezentrums CORRECTIV auch Wirtschaftsminister Gabriel darüber informiert und fand es nach Angaben von Wirtschaftsverbänden „hochinteressant.“ Denn wie dem Ministerium offenbar erst jetzt klar wird, gibt es in den USA nicht einen zentralen TÜV, sondern 17 Anbieter, die technische Zertifikate vergeben. Eine Zertifizierung wiederum heißt nicht, dass das geprüfte Gerät automatisch in Betrieb genommen werden darf – diese Entscheidung bleibt regionalen Behörden überlassen. In Extremfällen kann es dazu kommen, dass ein Sheriff oder ein Feuerwehrhauptmann über die Zulassung einer Schleifmaschine entscheidet.
Dabei sind nicht nur die Zertifikate unterschiedlich, sondern auch die Normen. Volker Treier, Chef der Außenwirtschaft bei der DIHK, gibt ein Beispiel: „Für Maschinen ist in jedem US-Staat eine andere Farbe für Strom-, Luft- und Wasserkabel vorgeschrieben, so dass Exporteure sie aufwändig anpassen müssen“.
Will ein deutscher Hersteller Geräte in die USA exportieren, fallen Extrakosten für die Zertifizierung an. Es muss dort erneut geprüft werden. Diese Hürden sollen eigentlich durch TTIP abgebaut werden, so lautet bis heute die werbende Botschaft der europäischen Regierungen, um gerade mittelständische Unternehmer für das Handelsabkommen zu gewinnen.
Doch wie gesagt: Den US-Verhandlern fehlt ein solches Verhandlungsmandat. Die 17 technischen Prüfstellen werden zwar von einer staatlichen Behörde akkreditiert, unterstehen aber nicht der Autorität der amerikanischen Regierung.
Dieser fragmentierte Markt bereitet europäischen Exporteuren seit langem Sorgen. In einem internen EU-Protokoll, das CORRECTIV vorliegt, werden etwa die Sorgen der europäischen Maschinenbauer festgehalten: „Sie merkten die starke Divergenzen im regulatorischen Ansatz in den USA an, vor allem was die Verbindlichkeiten angeht. (…) Deren größte Sorge bereiten lokalen Aspekte (örtliche Inspektionen und Regulierungen), die Komplexität des regulatorischen Systems in den USA, Zölle und Kosten der Zertifizierung.“ Laut dem Protokoll fasste ein Kommissionsbeamter das Gespräch mit den Industrievertretern wie folgt zusammen: „Die amerikanische Zertifizierungsindustrie ist ein zentraler Akteur; es wird schwer den status quo zu ändern.“
Auch der Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft warnt. „Die gegenseitige Anerkennung ist eine Einbahnstraße“, sagt Verbandspräsident Mario Ohoven und fürchtet, dass es dadurch zu einer Wettbewerbsverzerrung zur Lasten der Europäer kommt. Denn während die Amerikaner sich weiterhin nur an eine einheitliche europäische Richtlinie halten müssen, gibt es auf der anderen Seite das besagte Dickicht von Zertifikaten und Normen.
Der Verband der deutschen Elektroindustrie (ZVEI) hat vorgeschlagen, dass die Amerikaner die weltweit verbreiteten ISO- und IEC-Standards anerkennen. Konzerne wie Siemens unterstützen diesen Vorschlag.
Bis heute sind die USA eines der wenigen Länder, die nur einen kleinen Anteil der internationalen Normen übernommen haben. Was auch erklärt, warum Standards und Normen bei TTIP bisher eine so wichtige Rolle spielen.