TTIP

TTIP-Ersatz für die Pharmaindustrie

Seit der US-Wahl liegt das transatlantische Handelsabkommen TTIP auf Eis. Die Verhandler wollen für die Pharmabranche bereits erreichte Verhandlungsergebnisse retten und ein Spezialabkommen schliessen. Dieser Plan liegt CORRECTIV exklusiv vor.

von Justus von Daniels , Marta Orosz

Zur Not klappt die gegenseitige Anerkennung der Medikamentenproduktion auch ohne TTIP. Das plant die EU.© Ivo Mayr

Ende Juli glauben die TTIP-Verhandler noch, dass das Handelsabkommen mit den USA möglich ist. Die Verhandlungsgruppe „Pharma“ schreibt am 28. Juli einen Vorschlag auf, jetzt schon erste Teilergebnisse umzusetzen. „Zwischenabkommen“ nennen sie es.

Fünf Monate später, nach dem Wahlsieg von Donald Trump, ist den Unternehmen klar, dass der künftige Präsident TTIP auf absehbare Zeit nicht unterstützen wird – auch wenn Obama und Merkel in dieser Woche weiter für TTIP geworben haben.

Was passiert jetzt aber mit den halbfertigen Ergebnissen der Verhandlungen, was mit den Hoffnungen der Industrie auf einen vereinfachten Handel?

Die Pläne für eine spezielles Pharmaabkommen, die CORRECTIV vorliegen, sollten zeigen, dass TTIP funktioniert. Die USA würden „einem Vorschlag für ein Zwischenabkommen zustimmen“, steht in dem 6-seitigen Papier. Es soll nach den TTIP-Regeln umgesetzt werden. Jetzt hat sich der Wind gedreht, die TTIP-Regeln wird es – wenn überhaupt – so schnell nicht geben. Dieses Zwischenabkommen könnte nun ein Rettungsanker für die Pharmafirmen sein – um wenigstens einen Teil der bisherigen Verhandlungsergebnisse zu sichern. Denn die geplante Vereinbarung könnte auch ohne TTIP beschlossen werden. Auch für andere Branchen könnten solche Spezialabkommen zum Vorbild werden.

Aus der EU-Kommission heißt es auf unsere Anfrage, dass beide Seiten bis zu der „natürlichen Pause“ beraten, wie „die bisherigen Fortschritte gesichert werden können. Das technische Abkommen wird Teil dieser Beratungen sein.“

Bei zig Lobbytreffen mit der EU-Kommission, deren Protokolle CORRECTIV vorliegen, wiederholte die Pharmaindustrie in den vergangenen vier Jahren gebetsmühlenartig ihre Wunschliste für TTIP. Ganz oben steht die Forderung, doppelte Inspektionen der Medikamentenproduktion abzuschaffen.

Kann losgehen

Intern schlagen die europäischen Verhandler im Juli vor, schon mal ein Ergebnis für den Pharmabereich umzusetzen, weil dort praktisch alle Probleme ausgeräumt seien. Es reiche doch, wenn die europäischen Behörden die Pillenfabriken prüften, dann müssten die Amerikaner dass doch nicht noch einmal machen. Oder umgekehrt. Auch die Prüfbehörden wollen diesen Mehraufwand vermeiden.

Der interne Vorschlag der EU-Kommission (in Abschrift):

Behörden und Industrie haben 1998 schon einmal versucht, Prüfungen wechselseitig anzuerkennen. Doch damals herrschten in der EU noch zu viele nationale Standards und die US-Behörden hätten erst mit einzelnen EU-Mitgliedsstaaten verhandeln müssen. Das Abkommen wurde nie umgesetzt. Das umfassende Freihandelsabkommen TTIP sollte dann der Rahmen sein, um große Lösungen zu schaffen. Die Verhandler konnten immerhin auf diesen Vorarbeiten aufbauen und früher als andere Verhandlungsgruppen einen Erfolg verkünden.

Unerfüllte Wünsche

Die Wunschliste der Pharmaverbände für TTIP ist zwar deutlich länger. Die Firmen wollen Kosten sparen bei klinischen Tests, mehr Einfluss auf die Preisgestaltung von Medikamenten und längere Patentlaufzeiten. Das rückt nun in weite Ferne.

Das jetzt geplante „Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung“ ist im Stil bisheriger, statischer Abkommen gehalten, die Standards in einzelnen Bereichen regeln. Die Hoffnung der Industrie, so ein Abkommen fortlaufend anpassen und verändern zu können, würde sich aber in Luft auflösen, wenn es TTIP nicht gäbe. Jetzt könnte das kleine Abkommen immerhin eine Minimallösung sein, um die bestehenden Ergebnisse umzusetzen, ohne einen Abschluss des gesamten Freihandelsabkommens abwarten zu müssen.

Ist das ein Sieg der Industrielobby zulasten der Bürger? Nein, sagt Beate Wieseler vom Gesundheitsinstitut IQWIG. Die Inspektionen anzuerkennen, sei lange überfällig. Prüfbehörden könnten dadurch künftig gemeinsam mehr Produktionsstätten oder Studienzentren inspizieren und so insgesamt die Sicherheit erhöhen.

Minimalziel

Auch für andere Branchen könnten solche Zwischenabkommen eine Lösung sein. Die Europäische Allianz für öffentliche Gesundheit (EPHA), ein Zusammenschluss von Gesundheitsexperten und Patientenvereinigungen, würde das begrüßen. Es wäre gut, „wenn auch für andere Industrien rein technische Vereinbarungen geschlossen würden“, sagt EPHA-Handelsexperte Zoltán Massay-Kosubek. Ihm behagt nicht, dass das Pharma-Kapitel in TTIP weit über technische Anerkennungen hinausgehen soll.

Ein Nachteil von solchen technischen Abkommen, so Massay-Kosubek, könnte sein, dass die für die Öffentlichkeit weniger interessant und verständlich sind. Während bei TTIP oder CETA die kritischen Kampagnen dazu geführt haben, dass auch versteckte Details des Vertrages bekannt wurden, finden Absprachen über technische Abkommen kaum den Weg in die Öffentlichkeit.  

Solche Mini-Absprachen könnten jetzt vor allem für die Auto-, Chemie- und Maschinenbaubranche interessant werden. Die Behörden könnten jetzt schon ohne großen Aufwand vereinbaren, welche Standards Autogurte haben müssen oder welche Prüfverfahren bei neuen Chemieprodukten anzuwenden sind. Sondergerichte oder Gremien, die neue Gesetze vorschlagen können, gäbe es bei diesen Abkommen nicht.

Nur ein Schatten

Von dem großen Ziel aber, mit TTIP den Handel zwischen den Kontinenten zu vereinfachen, enger miteinander zu kooperieren, Standards gemeinsam zu entwickeln – bliebe mit den jetzt kleinen Spezialabkommen nur ein Schatten.

Noch mehr interessiert? Hier geht’s zu unserer Recherche-Seite über TTIP und CETA