„Reinigen ist ein schönes, angenehmes Arbeiten“
Auch in NRW verführt das Ehegattensplitting Frauen in Minijobs und macht sie finanziell abhängig von ihren Ehemännern. Zum Beispiel Susanne Rülfing aus Recklinghausen. Aber sie sagt, es sei gut so, sie sagt: „Ich kenne niemanden, der unglücklich mit seinem Minijob ist“
An Susanne Rülfings linker Hand presst ein goldener Ehering ihren Finger zusammen. 34 Jahre ist es her, dass er ihr angesteckt wurde, seitdem hat sie ihn nicht abgenommen. Ihr Finger veränderte sich, der Ring blieb, wo er war. Und klemmt nun dort die Haut ein. Ringe sind ein Symbol, auch hier. Die Ehe gab den Rahmen vor, Susanne Rülfing hat sich arrangiert.
Jeden Tag um 17 Uhr stülpt sie sich Gummihandschuhe über und putzt die Verwaltung einer Müllverbrennungsanlage in Recklinghausen. „Mein Bereich sind 17 Büros, zwei Besprechungsräume, eine Küche, Toiletten, die Podeste von zwei Treppenhäusern, ein Flur, zwei Kopierräume“, sagt sie. Zwei Stunden hat sie Zeit, pro Tag, dann muss alles sauber sein. Macht zehn Stunden die Woche und 40 pro Monat. Das ist ihr Minijob. Rülfing wird nach Tarif bezahlt und verdient zehn Euro in der Stunde, brutto wie netto.
Wer Susanne Rülfing kennenlernt, lernt das Ruhrgebiet kennen. Dunkle kurze Haare, Jeans, auf der Hülle ihres Smartphones fliegt ein Vogelschwarm gen Himmel. Ihr Vater war Bergmann, die Mutter SPD-Ratsmitglied. Der Ehemann ist Kraftfahrer. Sie haben ein Einfamilienhaus in Recklinghausen mit kleinem Garten, alles noch nicht abbezahlt. Die vier Kinder haben Abitur gemacht und dann Ausbildungen. Wenn Rülfing in Rente geht, werden ihr die Erziehungsjahre angerechnet und die kurze Zeit, in der sie „auf Steuerkarte“ gearbeitet hat.
„Viel wird das nicht sein“, sagt sie. „Vielleicht 200 Euro.“ Aus einem Minijob entstehen kaum Rentenansprüche. Aus einer Ehe schon eher. Wenn ihr Mann sich scheiden lässt, hat Rülfing Anspruch auf die Hälfte seiner Rente. Etwas über 1200 Euro wird er bekommen – für ein Leben zu zweit gerade genug. Abhängig fühlt sie sich trotzdem nicht. „Ich treffe hier im Haus die Entscheidungen“, sagt sie. Er bringt das Geld, sie verwaltet es. Das ist die Abmachung: „In einer Ehe muss jeder was von seinem Ego wegstecken.“
Das Wegstecken begann nach ihrer Ausbildung zur Friseurin. Der Betrieb übernahm sie nicht, ein Jahr lang bekam sie Arbeitslosengeld. Irgendwann wollte sie nicht länger auf eine freie Stelle in einem Friseursalon warten. „Dann haben wir gesagt, dass wir jetzt auch eine Familie gründen können.“ Rülfing war 21, als ihr erster Sohn zur Welt kam.
„Ich kenne niemanden, der unglücklich mit seinem Minijob ist“, sagt sie. „Im Job ist alles okay. Das Reinigen ist ein schönes, angenehmes Arbeiten.“ Ein Tarifvertrag, bezahlter Urlaub und Kollegen, die einen guten Feierabend wünschen. „Nur das Drumherum könnte besser sein.“
Besonders in den ländlichen Regionen in NRW ist der Minijob häufig der einzige Job, den die Frau macht: Im Kreis Olpe bleiben 16,5 Prozent der Frauen länger als fünf Jahre im Minijob. Die Erklärung: Das traditionelle Familienbild ist auf dem Land noch stärker ausgeprägt. Der Mann ernährt, die Frau verdient hinzu.
Marissa Klockner, Beraterin bei der Agentur für Arbeit im Sauerland, bestätigt das: Viele Frauen blieben dort für die Kindererziehung bis zu 15 Jahre lang zuhause. Frauen, die danach wieder einsteigen wollen, können Maßnahmen und Weiterbildungen machen. „Aber wenn jemand sich auf dem Minijob ausruht und damit zufrieden gibt, dann können wir auch nichts tun“, sagt Klockner. Zudem sind auf dem Land oft die Fahrtzeiten länger, kommen die Busse seltener – vor allem Frauen haben dann keine Zeit für eine Teilzeitstelle, weil sie sich um die Kinder kümmern müssen, anstatt im Linienbus zu sitzen.
Neben dem Sofa und im Flur des Hauses, in dem Susanne Rülfing seit 15 Jahren wohnt, hängen Bilder der vier Kinder, von denen zwei schon ausgezogen sind. Am linken Arm, zwischen Ellenbogen und Handgelenk, hat Rülfing sich ein Tattoo stechen lassen: Ein Herz, drumherum ranken sich die Namen und Geburtsdaten der Kinder. David, Patrick, Sarah, Kimberly. Sie sind ihr Lebenswerk. „Erziehung hört nicht nach drei Jahren auf“, sagt sie. Wenn Kindererziehung bei der Rente mehr anerkannt werden würde, wäre sie ein bisschen weniger auf ihren Mann angewiesen.
Für Männer können Minijobs das Sprungbrett in eine Vollzeitstelle sein. Für Frauen hingegen sind Minijobs Treibsand. In Deutschland machen mehr als zwei Millionen Frauen zwischen 25 und 65 ausschließlich einen Minijob. Gegenüber rund 800.000 Männern. Zudem bleiben Frauen deutlich länger in ihren Minijobs. Frauen, die ausschließlich einen Minijob haben, sind oft verheiratet. Er hat das Haupteinkommen, sie verdient etwas dazu.
So haben die Frauen Zeit für die Kindererziehung, machen sich allerdings finanziell abhängig. „Ein Minijob hat kurzfristige Vorteile, aber langfristige Nachteile“, sagt die Arbeitsmarktforscherin Karin Jährling von der Universität Duisburg-Essen. „Man erwirbt keine eigenen Ansprüche in der Alterssicherung, nur über die Ehe.“ Aus einem Minijob entstehen keine Rentenansprüche, außer man zahlt freiwillig in die Rentenkasse ein. Doch bei einem monatlichen Gehalt von etwa 450 Euro sind die wenigsten bereit, noch etwas davon abzugeben.
Wenn sich Teilzeitarbeit nicht lohnt
Für viele Frauen lohnt es sich nicht, eine Teilzeitstelle anzunehmen und damit eigene Rentenansprüche zu bekommen. Schuld ist das Ehegattensplitting. Susanne Rülfings Kinder sind alle erwachsen. Sie hätte Zeit für eine Halbtagsstelle, für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Könnte, wie sie es nennt, „auf Steuerkarte arbeiten“. Doch da fängt das Problem an – bei den Steuern.
In Deutschland gilt das Ehegattensplitting: Der Partner, der weniger verdient, hat die schlechtere Steuerklasse. Als Rülfing einmal ihre Stunden aufstockte, musste sie von den rund 900 Euro, die sie verdiente, etwa 400 Euro für Versicherungen und Steuern abgeben. Damit blieb ihr kaum mehr Netto als bei ihrem im Minijob. „Da habe ich die Notbremse gezogen“, sagt sie. „Ich habe meiner Chefin gesagt, dass ich von der Steuerkarte wieder runter will.“
Susanne Rülfing erinnert sich an eine Rede der Bundeskanzlerin im Fernsehen. Angela Merkel sagte, dass sich Leistung in Deutschland wieder lohnen solle. Rülfings Leistung hatte sich nicht gelohnt.
Ihren derzeitigen Minijob macht Rülfing seit sechs Jahren. Viele Frauen bleiben über Jahre hinweg Minijobberinnen. In der Statistik der Arbeitsagentur sieht die Lage besser aus, dort ist die durchschnittliche Verweilzeit im Minijob etwa 900 Tage. Weil darin nur erfasst wird, wie lange jemand bei seinem jeweiligen Arbeitgeber angestellt ist.
Alle paar Jahre schreibt die Firma, deren Büros Rülfing putzt, den Reinigungsdienst neu aus. Personaldienstleister können dann ein Angebot machen, das beste bekommt den Auftrag. Danach erhalten alle Reinigungskräfte eine Kündigung vom bisherigen Personaldienstleister, anschließend einen neuen Arbeitsvertrag vom neuen. Die Arbeit bleibt dieselbe, die Frauen bleiben dieselben – doch in der Statistik sieht es aus, als hätten die Minijobberinnen den Absprung geschafft. Dabei bedeutet jeder neue Arbeitsvertrag eine neue Probezeit, kürzere Kündigungsfristen, Vertrauensverlust. Letztes Jahr wurde eine von Rülfings Kolleginnen in der Probezeit gekündigt – nach 17 Jahren im gleichen Job.
Mitarbeit: Tania Röttger, Sandhya Kambhampati
Datenvisualisierung: Simon Wörpel