Wem gehört die Stadt?

Ein Grundstück für 40 Millionen Euro

Die Stadt Hamburg verkauft ein Grundstück zum Höchstpreis an eine Vonovia-Tochter. Wenn die Stadt Grundstücke vergibt, soll das beste Konzept den Ausschlag geben, um für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Doch bei jedem vierten verkauften Grundstück entschied 2017 der Preis.

von Justus von Daniels , Jonathan Sachse

© REUTERS / Leonhard Foeger
Ein Wohnhaus der Immobilienfirma Buwog, die mittlerweile zum Vonovia-Konzern gehört. Foto: REUTERS / Leonhard Foeger

Noch ist es ein Sportplatz im Ortskern des Hamburger Stadtteils Stellingen. Durch das Viertel zieht sich die A7, der Autolärm ist dort seit Jahren Thema. Ebenso wie die Bebauung der Ortsmitte. Es fehlt dem Viertel ein echter Kern. Nun sollen dort ein Stadtteilzentrum gebaut werden, Begegnungsstätten für Bürger und rund 600 Wohnungen, ein großer Teil davon von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga und die Hälfte öffentlich gefördert.

Soweit, so gut. Aber für einen Teil des Sportplatzes hat die Stadt im Februar 2018 einen erstaunlichen Deal gemacht. Für 40 Millionen Euro bekam nach einer Ausschreibung die Buwog den Zuschlag für den Bau von 177 Wohnungen. Der Preis für das Grundstück entspricht etwa dem Dreifachen des Verkehrswertes, den die Stadt für die Fläche vor dem Verkauf geschätzt hatte.

Die Buwog, die mittlerweile zum Vonovia-Konzern gehört, hat allerdings nicht bei der Konzeptbewertung am besten abgeschnitten.

Der Senat betont immer wieder, dass Grundstücke vor allem nach der Qualität des Baukonzeptes vergeben werden. In diesem Fall zählte am Ende der Preis, bei dem der Baukonzern andere Bieter deutlich überbot, obwohl diese ein besseres Konzept und einen Preis anboten, der sich am von der Stadt geschätzten Verkehrswert des Grundstückes orientierte.

Es ist nicht der erste Fall, bei dem ein Bieter den Zuschlag für ein städtisches Grundstück in Hamburg erhielt, weil sie ein Kaufangebot deutlich über dem geschätzten Verkehrswert lieferten. In mindestens drei weiteren Fällen vergab die Stadt im Jahr 2017 Grundstücke an Bieter, die nicht das beste Konzept abgaben, aber mit Abstand den höchsten Preis boten. Das zeigen interne Unterlagen, die das Recherchezentrum CORRECTIV einsehen konnte. Erstmals ist es möglich im Detail nachzuvollziehen, wie die Stadt in konkreten Fällen Kaufangebote berechnet. Die Auswertung zeigt keinen Verstoß der Stadt gegen die selbst aufgestellten Regeln, offenbart aber Schwächen in der viel gelobten Konzeptausschreibung.

Im Jahr 2017 vergab die Stadt nach eigenen Angaben 22 Grundstücke über ein Konzeptverfahren. In jedem vierten Fall erhielten allerdings Bieter den Zuschlag, „obwohl sie nicht das beste Konzept geboten haben“, sagte ein Sprecher der Finanzbehörde. „In 73 % der Konzeptausschreibungen erhielten die Bieter mit dem besten Konzept den Zuschlag.“

Der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Jörg Hamann, findet es erstaunlich, dass der Senat in dieser Höhe Grundstücke an Bieter verkaufte, die nicht das beste Konzept abgaben:  „Bisher hat der Senat das immer verneint, jetzt wird das Gegenteil bewiesen. Da gibt es Klärungsbedarf.“ Auch die Linke kritisiert das Vorgehen. „Wer mit Grundstücksverkäufen die Haushaltskassen füllen will, ist kurzsichtig und fördert Spekulation und Mietenexplosion“, sagt Heike Sudmann, wohnungspolitische Sprecherin der Linken in der Bürgerschaft.

Offiziell hat die Stadt in den letzten Jahren ihren Kurs bei dem Verkauf von Grundstücken für große Bauprojekte geändert. „Bei der Vergabe städtischer Grundstücke geben wir dem Konzept Vorrang vor dem Preis”, betonte die Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt im September diesen Jahres beim Hamburger Immobilienkongress. So wolle die Stadt „die Grundstückspreise begrenzen.” Ende November äußerte sich Stadtentwicklungs-Staatsrat Matthias Kock gegenüber dem Hamburger Abendblatt ähnlich: „Wir vergeben Grundstücke über Konzeptausschreibungen, deswegen bekommt längst nicht derjenige das Grundstück, der den höchsten Preis bietet, sondern derjenige, der das beste Konzept vorlegt“. Für ihn sei der Preis nicht maßgeblich.

Die Stadt hat dafür ein eigenes Bewertungsschema entwickelt: Investoren müssen Pläne vorlegen, inwiefern soziale Einrichtungen entstehen, ob sie ökologisch bauen und ob sie für eine sozial ausgewogene Aufteilung der Wohnungen sorgen. Das Konzept wird mit 700 Punkten bewertet, der Preis mit 300 Punkten. Wichtig zu wissen: der Preis wird dann zum entscheidenden Hebel, wenn das Konzept vieler Bieter ähnlich bewertet wird. Wer einen doppelten so hohen Verkaufspreis wie die Konkurrenz bietet, erhält auch die doppelte Anzahl an Punkten und setzt sich so in den Gesamtpunkten ab.

Wenn die Konzepte „qualitativ nur geringfügig“ auseinanderlägen, könne es „vorkommen, dass der gebotene Kaufpreis den Ausschlag dafür gibt, wer den Zuschlag enthält“, sagt die Stadt auf Anfrage zu der Bedeutung des Kaufpreises.

Im Fall des Stellinger Ortskerns war vor allem der Preis entscheidend. Nach der Bewertung der Konzepte lag die Buwog auf Platz drei von elf Bewerbern. Die Hamburger Finanzbehörde ließ sich von dem überwältigenden Angebot der Buwog AG überzeugen. Sie selbst hatte zunächst intern den Verkehrswert für das Baugrundstück im Vorfeld auf 13,5 Millionen Euro berechnet. Die Kommission für Bodenordnung stimmte dem Verkauf für 40,5 Millionen Euro im Februar zu. Die Stadt selbst sieht darin kein Problem. Auf Anfrage sagte ein Sprecher der Finanzbehörde, dass sie den Verkehrswert mit dem späteren Kaufpreis gleich setze. „Daher entspricht der von der BUWOG gebotene Kaufpreis dem Verkehrswert.“ Der Kauf soll bis zum Baubeginn abgewickelt werden, den Buwog für den Herbst 2019 plant.

Die Buwog geht davon aus, dass ihr Konzept den Ausschlag gegeben habe: „Aus unserer Sicht war unser differenziertes Nutzungskonzept mit unterschiedlichen Wohnformen ausschlaggebend“, schreibt der Sprecher der Buwog auf Anfrage.

Dabei hatte ein anderer Mitbewerber ein besseres Konzept vorgelegt und einen Preis angeboten, der am Verkehrswert orientiert war. CORRECTIV konnte die Bewertungen der Konzepte einsehen. Danach gab es ein Unternehmen, das nach dem Konzept der Bebauung auf Platz zwei lag und auch beim Preis das zweitbeste Angebot gemacht hatte.  Die Buwog lag nach dem Konzept dahinter auf dem dritten Platz.

Mit dem Angebot von 40 Millionen Euro für den Sportplatz bekam das Unternehmen mit Abstand die volle Preispunktzahl und zog an den beiden vorderen Plätzen vorbei. Anstatt das Angebot zu bevorzugen, dass leicht über dem Verkehrswert lag und ein besseres Konzept vorlegte, entschied sich die Stadt für den Geldsegen der Buwog, die mehr als doppelt so viel wie der Zweitplatzierte bot.

Zu den Details der Entscheidung äußerte sich die Stadt nicht.

Mehrere Hamburger Bauunternehmer sprechen von ähnlichen Erlebnissen bei Ausschreibungen, bei denen sie mitboten. Der Preis sei immer noch ein wichtiges Kriterium. Grundstücke würden immer wieder an die Höchstbietenden gehen, sagt Stefan Wulff, Chef der Otto Wulff Immobilien. Seine Firma habe bei Grundstücksverkäufen der Stadt ähnliche Erfahrungen gemacht: „Die Konzepte gleich sich, und am Ende ist doch der Preis oft entscheidend. Das ist unsere Erfahrung.“

Zwei Monate vor der Entscheidung hatte der Wohnungsriese Vonovia schon öffentlich gemacht, dass er die etwa 48.000 Wohnungen der Buwog übernehmen wolle. Mittlerweile gehört Buwog dem Wohnungsriesen Vonovia. Die Stadt selbst habe erst drei Wochen nach der Vergabe „über die Ankündigung, dass das Unternehmen Vonovia die Buwog AG übernehmen will, Kenntnis erlangt“, sagt ein Sprecher der Finanzbehörde. Die 200 geplanten Wohnungen werden somit Teil des größten deutschen Wohnungskonzerns, an dem Investoren wie Black Rock als Anteilseigner beteiligt sind und der allein in Hamburg rund 11.000 Wohnungen besitzt.

Ein weiteres Detail bei der Vergabe fällt auf: Die Stadt bei der Ausschreibung darauf verzichtet, dass der künftige Investor Sozialwohnungen bauen muss. Das bestätigt die Finanzbehörde auf Anfrage, fügt aber hinzu, das Unternehmen müsse auf dem gekauften Grundstück ein „Stadtteilhaus“ errichten. Nebenan baut die Saga mehrere hundert Wohnungen.

Die Vergabe an die Buwog in Hamburg-Stellingen ist nicht der einzige Fall, bei dem die Stadt Hamburg dem Höchstbietenden ein Grundstück gab, obwohl dieser nicht das beste Konzept geboten hat.

CORRECTIV konnte weitere interne Unterlagen aus der Finanzbehörde einsehen, darunter dutzende Grundstücke, die über die Konzeptvergabe verkauft wurden. In den überwiegenden Fällen lief alles nach der neuen Strategie: der Höchstbietende bekam nur dann den Zuschlag, wenn er auch das beste Konzept angab.

Anders im Pergolenviertel im Hamburger Stadtteil Winterhude. Im Oktober 2017 vergab die Kommission für Bodenordnung Grundstücke für rund 1.400 Wohnungen. Im Viertel ist ein breiter Mix aus unterschiedlichen Wohnformen geplant. 60 Prozent der Wohnungen sollen öffentlich gefördert werden. Dementsprechend groß war der Antrag bei der Grundstücksvergabe. Unter anderem verkaufte die Stadt an die Saga, verschiedene Genossenschaften und private Unternehmen. Bei drei Grundstücken profitierten die Firmen, die mehr als das Doppelte des Verkehrswertes boten, den die Stadt errechnet hat. Dabei lagen sie bei den Konzepten hinter anderen Bietern.

Darunter war auch wieder die Buwog. Die Stadt entschied sich für das Wohnungsunternehmen, obwohl sieben andere Bieter ein von der Stadt besser bewertetes Konzept abgaben. Mit 13,3 Millionen Euro bot die Buwog deutlich mehr als alle anderen Bieter. Zum Vergleich: ein Konkurrent legte das zweitbeste Konzept vor, bot mit acht Millionen Euro fast drei Millionen Euro über dem geschätzten Verkehrswert der Stadt und war dennoch unterlegen. Die Finanzbehörde bestätigt die Vergabe, äußert sich aber nicht zu Details.

Diese Veröffentlichung ist Teil der Rechercheserie „Wem gehört Hamburg“ zu den Eigentümern von Wohnungen.

Eine leicht gekürzte Fassung dieses Artikels erschien auch im Hamburger Abendblatt.

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