Künstliche Intelligenz

Eine Hoffnung für den KI-Standort Deutschland – mit Sitz im Steuerparadies

Der Bund möchte Deutschland als Standort für künstliche Intelligenz stärken. Doch eine Firma, die sich besonders als Vorreiter für KI in Deutschland hervortut, sitzt in Wahrheit in einer Steueroase – und lebt von Investitionen aus China.

von Jean Peters

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Wie die KI Software allzuoft eine Blackbox ist, sind es häufig auch die Firmenkonstrukte, die sie herstellen. Foto:unsplash.com / kommers

In den schicken Büros des Start-ups Nyonic in Berlin-Mitte herrscht Aufbruchsstimmung. Die Gründer sind nicht nur in der deutschen KI-Szene bekannt, will man ihnen glauben, dann schreibt selbst die Regierung aufmerksam mit, wenn sie im Raum sind: Im Interview mit der ZEIT im März sagte Feiyu Xu, eine der Gründerinnen von Nyonic, sie habe Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Jahr auf Schloss Meseberg persönlich beraten. Daraufhin hätten „alle drei, Scholz, Habeck und Lindner” auf ihrer Pressekonferenz betont, KI in Deutschland stärker entwickeln zu wollen. 

Genau das ist auch das erklärte Ziel des Start-ups: Ihre Gründer wollen den Standort Europa für künstliche Intelligenz aufbauen. Mit Nyonic wollen sie in Deutschland eine generative KI für Unternehmen entwickeln. Eine Art europäisches ChatGPT, speziell für den Businessbereich. Das Team setze sich „für die Schaffung leistungsfähiger Basismodelle für Europa ein, die hohen ethischen und rechtlichen Standards entsprechen“, heißt es auch auf ihrer Webseite. Es wolle eine „bessere Zukunft für Europa“ schaffen.

Ultimate Lenovo Limited: ein Ableger auf den Britischen Jungferninseln

Schaut man sich die Strukturen an, wirkt die Firma allerdings weniger daran interessiert, sich europäisch zu verankern. Denn die hundertprozentige Gesellschafterin der Nyonic GmbH ist die Holding reinventAI Co. Ltd. auf den Cayman Islands. Der bisher einzig bekannte Investor ist laut der Geschäftsführerin Vanessa Cann die Ultimate Lenovo Limited, eine Investment-Gesellschaft der Lenovo Gruppe mit Sitz auf den Britischen Jungferninseln. Sie halte etwa elf Prozent der Anteile an deren Holding.

Der größte Aktionär von Lenovo ist mit 33.94% Prozent die Legend Holdings. Diese widerum hat  größtenteils staatliche chinesische Besitzstrukturen: mit 63.11% Beteiligung an der betreffenden Klasse von Anteilen und 29.04% an den insgesamt ausgegebenen Anteilen durch die Holding der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS Holding). Lenovo ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Hongkong, deren zwei Hauptquartiere sich in Beijing und Morrisville, North Carolina befinden.

Zusammen mit ihrem Mann und Nyonic-Mitgründer Hans Uszkoreit werbe Xu auf Fachkonferenzen, bei Unternehmen und in der Politik dafür, dass sich Europa beim Thema KI nicht von amerikanischen Konzernen abhängig mache, schrieb die ZEIT in dem Porträt der beiden. Damals war ihre neue Firma noch nicht gegründet. „Europa kann es sich nicht leisten, die Verbindung zu diesem riesigen Volk aufzugeben, egal, wer dort regiert“, wird Uszkoreit dort zitiert. „Wenn wir den Kontakt zu China verlieren, werden wir Schlimmes erleben.“ Die Mitgründerin Cann schreibt dazu, dass ein in Asien registrierter Investor gewählt wurde, um Abhängigkeit von US-Konzernen zu vermeiden, sei eine Unterstellung, die sich nicht unterfüttern lasse. Auch Investitionen aus den USA seien willkommen, wenn die Bedingungen stimmten. 

„Das sieht nach reiner Steuervermeidung aus. Ich kann mir keinen anderen Grund für eine solche Konstruktion vorstellen“, sagt Gerhard Schick vom Verein Finanzwende. „Die Cayman Islands sind aufgrund niedriger Steuern und Verschwiegenheit ein typischer Standort für Briefkastenfirmen, in die Gewinne geschoben werden, um sie im Heimatland nicht versteuern zu müssen.“ Das gehe etwa über Kredite zwischen den verschiedenen Unternehmen oder Lizenzgebühren.

Steueroasen-Abwehrgesetz: ein Papiertiger

Den Firmensitz in einer Steueroase wie den Cayman Islands zu haben sei bei Fonds „sehr üblich“, sagt Cann im Gespräch mit CORRECTIV. Sie führt an, „dass es auf den Caymans einfacher und reibungsfreier läuft“, das liege an einem „aufgeprägten Ökosystem“. Per Mail schreibt Cann später, das Konstrukt „würde mit keinerlei steuerlichen Vorteilen einhergehen.“ Zugleich hätten aber Finanzexperten ihrer Firma geraten, ihre Holding in den Cayman Inseln anzusiedeln, da dies internationale Investitionen und Zahlungsflüsse vereinfache und es die Attraktivität des Unternehmens für globale Investoren steigere, die durchaus steuerliche Vorteile bei der Investition haben können. Nahezu alle Stimmrechte seien im Besitz der Gründer und damit im Besitz von deutschen Staatsbürgern, schreibt Cann weiter. 

„Für globale Risikokapitalgeber kann es steuerliche Vorteile haben, in Firmen zu investieren, die ihren Sitz in den Caymans haben“, schreibt Cann in einer weiteren Mail an CORRECTIV. „Für uns als deutsche GmbH hat die Holding in den Caymans daher allein den Vorteil, dass wir für internationale Investmentfonds attraktiver sind.“ Dabei bezieht sie sich explizit auf das „Abkommen zum automatischen Informationsaustausch von 2014“ und das „Steueroasen Abwehrgesetz“.

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Finanzexpertin Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit sagt dazu: „Das Steueroasen-Abwehrgesetz ist ein Papiertiger, weil es für die wichtigsten Oasen wie die Cayman-Inseln gar nicht gilt.“ Und auch der automatische Informationsaustausch reiche nicht, um fragwürdige und ungerecht besteuerte Investitionen zu stoppen. „Denen öffnen solche Briefkästen weiter Tür und Tor.“

Cayman Island: ein Grund für Finanzermittlungen?

Cann wurde im August diesen Jahres auch in den Vorstand des KI-Bundesverbands gewählt, einem Lobbyverein mit rund 400 Mitgliedern. Wie der Verein mit Schachtelfirmenkonstruktionen, Gesellschaftern auf Steueroasen und speziell mit der Rolle von Vanessa Cann als Geschäftsführerin von Nyonic in diesem Zusammenhang umgehen wolle, habe sich er bisher noch nicht befasst, schrieb sein Geschäftsführer Daniel Abbou.

Dabei sind intransparente Firmenkonstrukte mit Bezug zu Steuerparadiesen in der KI-Branche keine Seltenheit in Deutschland. Auch die Dresdener Robotik-Firma Wandelbots oder die Waffenfirma Helsing, die Waffensysteme mit künstlicher Intelligenz verbindet, haben jeweils Gesellschafter auf den Cayman-Inseln. Die Firma IDNow, die Software zur Identitätsprüfung herstellt, hat Gesellschafter im Steuerparadies Gibraltar, die Firmen Scoutbee und Twaice auf Guernsey, Celus auf Jersey. Die sechs Firmen gehören zu den zehn investmentstärksten KI-Firmen mit Sitz in Deutschland.

In einer anderen Branche, deren Markt aktuell ähnlich stark wächst – dem Markt für verflüssigtes Erdgas, als LNG bekannt – hatte erst kürzlich das Ostseebad Binz Finanzermittler des Bundes eingeschaltet. Der Grund: Kapitalströme aus Cayman Islands.

Bund fördert trotz Gesellschafter in Steuerparadiesen

Doch das scheint die Bundesregierung nicht davon abzuhalten, solche Firmen zu fördern. Wandelbots und Celus haben beispielsweise erhebliche öffentliche Gelder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bekommen. Auf Anfrage schreibt das Ministerium: „Bei der Prüfung von Förderanträgen werden bei gewerblichen Unternehmen wesentliche Angaben zum Unternehmen eingefordert. Dazu gehört die Abfrage, ob ein ausländischer Mehrheitsbesitz über eine direkte oder indirekte Beteiligung besteht. Ist dies der Fall, wird geprüft, ob eine auf Dauer in Deutschland angelegte Forschungstätigkeit besteht, eine Verwertung innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz realistisch ist.“

Das BMBF prüfe weiterhin, ob die Achtung der Wissenschafts- und Forschungsfreiheit, der Schutz des geistigen Eigentums und die zivile Nutzung der Projektergebnisse gesichert seien. Der Hauptsitz müsse aber nicht in Deutschland liegen – es müsse nur eine Betriebsstätte oder Niederlassung in Deutschland vorhanden sein. Gegen ein hundertprozentiges Besitzverhältnis durch eine Briefkastenfirma auf einer Steueroase spricht also scheinbar nichts.

1,6 Milliarden für deutsche künstliche Intelligenz 

Am 23. August dieses Jahres hat die Bundesregierung ihr Aktionspaket für künstliche Intelligenz präsentiert, wonach über die laufende Legislaturperiode insgesamt 1,6 Milliarden Euro in künstliche Intelligenz vom Bund investiert werden sollen. „Deutschland und Europa sollen in einer Welt ‘Powered by AI’ eine Spitzenposition einnehmen und technologische KI-Souveränität erreichen”, heißt es auf der Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

In der Branche herrsche eine Art Goldgräberstimmung, sagt Kristian Kersting, Professor für Informatik und Anteilinhaber an der KI-Firma Aleph Alpha. „So wie sich plötzlich alle Firmen mit Blockchain-Technologie beschäftigten, labeln sich jetzt viele Firmen als KI-Firma um.“ Kein Wunder: Vor kurzem bekam die französische Firma Mistral über 100 Millionen Euro Investment, ohne ein Produkt vorgelegt zu haben – vorwiegend aus den USA und Europa.

Aktualisierung: wir haben die Anteile der Shareholder von Legend Holdings sowie die Wahl der chinesischen Investoren durch die Nyonic Gründer und die Bedeutung der Caymans für die Geschäftsführerin Vanessa Cann präzisiert.