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Das neue Crystal Meth

Sie sind das neue Crystal Meth: Neue Psychoaktive Substanzen, sogenannte NPS, sind auf dem Vormarsch. Sie werden auch im Drogenbericht der Bundesregierung an diesem Donnerstag als besondere Gefahr genannt werden. 2013 starben noch fünf Menschen an diesen Substanzen, im vergangenen Jahr waren es laut Bundeskriminalamt schon 25. Und die Politik kommt nicht hinterer. 32 neue „Kräutermischungen“ oder „Badesalze“ hat die Regierung zuletzt verboten – gleichzeitig sind jedoch mehr als 80 neue Mischungen auf den Markt gekommen.

von Karen Grass

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Die getarnten synthetischen Drogen werden meist in Asien produziert und können problemlos über das Internet bestellt werden. „Wir haben immer mehr Klienten, die früher Cannabis konsumiert haben, aber wegen der Illegalität und Problemen etwa mit dem Führerschein oder Bewährungsauflagen auf Kräutermischungen ausgewichen sind“, sagt Benjamin Löhner, Sozialpädagoge bei der Drogenhilfe mudra in Nürnberg. Dabei wirken viele dieser vermeintlich harmlosen Substanzmischungen viel stärker als etwa Cannabis. „Die Leute bekommen akut Herzrasen, Schwindel oder krasse Muskelkrämpfe oder Wahnvorstellungen“, sagt Löhner.

Wie viele Menschen Neue Psychoaktive Substanzen konsumieren, ist unklar – denn viele der wichtigen Drogenstudien fragen die Substanzen immer noch nicht ab. Immerhin zeigte der Epidemiologische Suchtsurvey für 2012, dass die Substanzen überhaupt konsumiert werden, in etwa so oft wie LSD. Angeblich wurde jedoch nach veralteten Substanzmischungen gefragt. Deshalb könne man das wahre Risiko nicht abschätzen.

Die Substanzmischungen basieren meist auf so genannten Research Chemicals, also auf Abfallprodukten der Pharmaforschung. Diese können molekulare Abwandlungen bereits bekannter Stoffe wie Cannabis sein – oder völlig neue chemische Strukturen haben. Das macht sie so gefährlich.

Neue Produkte im Wochentakt

Das Hauptproblem, selbst für erfahrene Konsumenten: Die Anbieter verändern ihre Produkte ständig, ungefähr im Wochentakt. Die Zusammensetzung und auch die Dosierung der Wirkstoffe variiert so stark, dass die Leute die Risiken des Konsums häufig falsch einschätzen. „Wir haben beobachtet, dass Konsumenten zwei Mal vermeintlich das selbe Produkt gekauft, aber vollkommen unterschiedliche Wirkungen erlebt haben“, sagt Dieter Müller von der Uniklinik Göttingen.

Müller und seine Kollegen vom Göttinger Giftinformationszentrum Nord arbeiten aktuell an einer Studie zum Konsum und zu den Wirkungen Neuer Psychoaktiver Substanzen. „Diese ständigen Veränderungen machen den Konsum Neuer Psychoaktiver Substanzen so heikel, weil ein Konsument nie weiß, was er nimmt“, so Müller. Die Forscher wollen Ärzten helfen, mit Patienten umzugehen, die vollkommen neue Vergiftungssymptome zeigen. Denn bisher ist zu den Wirkungen einzelner Stoffe und spezifischer Dosen kaum etwas bekannt. Ärzte können so nur unzureichend reagieren können. „Wir wissen, dass es in einigen Fällen zu unerwarteten akut toxischen Wirkungen kommt“, sagt Müller. Zum Beispiel habe ein synthetisches Cannabinoid bei einem Konsumenten schon einmal vollkommen unvorhergesehen Hirnfunktionsstörungen hervorgerufen. Dabei können dauerhafte Schäden entstehen.

Die ständigen Veränderungen der Stoffe stellen auch die auf Verbote ausgerichtete deutsche Drogenpolitik vor ein großes Problem: Sie kommt mit dem Verbieten kaum hinterher. 2014 erklärte die Bundesregierung 32 Substanzen für illegal. Doch die Hersteller reagieren schnell und verändern die Zusammensetzung ihrer Produkte so, dass sie nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Laut Drogenbericht tauchten allein 2013 insgesamt 81 neue Substanzen auf. Gegen diese Mischungen kann die Strafverfolgung ohne gesetzliche Basis nicht vorgehen.

Onlinehandel kann die Politik nicht regulieren

Angesichts dessen sehen auch die Experten vom Giftinformationszentrum Nord nur eine mögliche Strategie gegen die neuen Drogen: „Wir müssen ein Risikobewusstsein bei den Konsumenten erreichen“, sagt Dieter Müller. Die Konsumenten müssten die Kompetenz aufbauen, die Gefahren des Konsums für sich selbst einzuschätzen und sich dann gegebenenfalls gegen die „Jamaica-Mischung“ zu entscheiden, deren Inhalt sie nicht genau kennen. Anders könnten die Menschen nicht geschützt werden, denn:  „Den Onlinehandel kann die Politik nicht regulieren, denn die Hersteller reagieren auf Verbote mit dem Angebot immer neuer, bisher nicht regulierter Wirkstoffe“, sagt Müller.

Konsumkompetenz. Das ist etwas, das Sozialarbeiter im Suchtbereich wie Benjamin Löhner schon lange fordern. Politiker halten das aber bisher meist nur mit Blick auf legale Suchtmittel für möglich. Um Konsumkompetenz aufzubauen, wäre gute Prävention nötig. Doch die gibt es nach Wahrnehmung von Benjamin Löhner fast gar nicht. Das liegt laut Löhner zum einen an befristeten, auf einzelne Projekte beschränkten Fördergeldern. So könne vor allem personell keine Kontinuität aufgebaut werden. Zum anderen existiere bisher kaum Transfer aus der Wissenschaft. „Da müssen jetzt auf jeden Fall mehr Gelder freigemacht werden, damit Wissen auch für uns bereitgestellt werden kann, sodass wir vernünftig beraten können“, sagt der Diplomsozialpädagoge.

Kaum Forschung

Bisher stützen sich die Erkenntnisse über Wirkungen von NPS größtenteils auf individuelle Erfahrungsberichte von Konsumenten. Das Bundesgesundheitsministerium förderte zwischen 2004 und 2014 laut einer Übersicht über alle Förderprojekte insgesamt drei Forschungsvorhaben, die sich direkt mit dem Thema Neue Psychoaktive Substanzen beschäftigen. Die Fördergelder beliefen sich insgesamt auf 215.000 Euro. Immerhin beschäftigt sich ein aktuelles Vorhaben am Universitätsklinikum Freiburg genau mit dem Transfer, den Benjamin Löhner sich wünscht: Das EU-Projekt Spice II Plus untersucht Risikoverhalten der Konsumenten und Toxizität der Stoffe. Das Projekt soll Ansätze für die Prävention entwickeln.

„Ein Ziel sollte sein, dass wir die jungen Leute mit Information erreichen müssen, statt nur Verbote auszusprechen“, sagt Dieter Müller von der Universität Göttingen. Doch bis das erfolgreich umgesetzt wird, scheint es noch ein langer Weg zu sein.


Karen Grass ist Rudolf Augstein Datenfellow bei CORRECTIV. Ihre Arbeit wird möglich gemacht durch die Rudolf Augstein Stiftung.

In einem Themenschwerpunkt veröffentlichen wir mehrere Beiträge zur deutschen Drogenpolitik. Karen Grass hat dafür mehrere Monate lang in allen Bundesländern recherchiert und einen umfassenden Report zusammengestellt.

Redaktion: Daniel Drepper
Foto: Ivo Mayr