NRW: Schlechteste U3-Versorgung bundesweit
Viele Eltern in NRW bangen derzeit um einen Betreuungsplatz für ihr Kleinkind. Grundsätzlich besteht ein Rechtsanspruch auf eine U3-Betreuung. In der Praxis ist das nicht so einfach. Besonders in NRW. Unser Bundesland hat die schlechteste Betreuungsquote bundesweit. Hinzu kommen widersprüchliche Statistiken, undurchsichtige Verfahren und viele offene Fragen. Am Montag, 14. Mai, wollen wir darüber diskutieren.
Der 14. Mai ist der bundesweite Tag der Kinderbetreuung. Ein gutes Datum, um sich den Fragen zu widmen, die zurzeit viele Eltern in NRW beschäftigen. Denn gerade für berufstätige Eltern ist ein Betreuungsplatz für ihr Kind entscheidend. Doch in NRW ist der nicht so einfach zu bekommen.
Themenkomplex U3-Betreuung
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Wie ist die Situation in NRW?
Nirgendwo in Deutschland werden so wenig unter Dreijährige betreut wie in Nordrhein-Westfalen. Nur 26,3 Prozent der U3-Kinder gehen hier in die Kita oder zu Tageseltern. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt sind mit 57 Prozent mehr als doppelt so viele Kinder in Betreuung, das ist der Spitzenplatz in Deutschland. NRW hat in Sachen U3-Betreuung also Nachholbedarf.
Auf der Seite der Landesregierung klingt die Situation anders: „Nordrhein-Westfalen ist ein Land für Familien. Hier bekommen Eltern wichtige Unterstützung bei ihrer Bildungs- und Erziehungsaufgabe. Dazu gehört, dass es ausreichend Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren gibt.“ Ein paar Zeilen darunter nennt die Landesregierung für das Kindergartenjahr 2017/2018 die Zahl von 179.472 angemeldeten Betreuungsplätzen für U3-Kinder. „Dies entspricht einer Versorgungsquote von rund 37,5 Prozent für unter Dreijährige“, so die Landesregierung.
Woher kommen die unterschiedlichen Zahlen?
Vier Monate Zahlenspielerei für bessere Statistiken
Während die NRW-Landesregierung eine U3-Betreuungsquote von 37,5 Prozent lobt, bemängelt das Institut der deutschen Wirtschaft eine Quote von 26,3 Prozent. Für das gleiche Bundesland, für die gleichen Kinder. Die Zahl der Landesregierung ist gut 40 Prozent größer als die des IW.
Das Statistische Bundesamt, auf dessen Zahlen der Bericht des IW beruht, und die Landesregierung ermitteln durch unterschiedliche Erhebungen verschiedene Zahlen. Die statistischen Einzelheiten sind kompliziert. Doch es geht dabei um viel Geld.
Denn für jedes betreute Kind zahlt das Land NRW eine jährliche sogenannte Kindpauschale an die Träger der Einrichtung. Für Kinder unter drei Jahren variieren diese Jahrespauschalen zwischen 4.689,45 und 16.636,96 Euro. Für Kinder über drei Jahren gibt es deutlich weniger Geld, zwischen 3.461,01 und 7.404,64. Der Gedanke dahinter: Jüngere Kinder müssen aufwändiger und in kleineren Gruppen betreut werden. Wieviele Kinder in der Statistik U3 oder Ü3 sind, entscheidet also über hohe Summen.
Der richtige Geburtstag des Kindes ist dabei nicht allein entscheidend. Es kommt nämlich auf den Erhebungszeitraum für die Altersbemessung an. Und der unterscheidet sich beim Statistischen Bundesamt und der Landesregierung. Damit fallen auch die Statistiken unterschiedlich aus.
Für das aktuelle Kindergartenjahr, das am 1. August beginnt, betrachtet die Landesregierung die ersten drei Monate. Alle Kinder, die einen Betreuungsplatz haben und bis zum 1. November unter drei Jahre alt sind, fließen in ihre Zählung ein. Das Statistische Bundesamt dagegen betrachtet den Zeitraum bis zum 28. Februar. Das heißt, der Zeitraum, in dem die Kinder das dritte Lebensjahr erreichen und damit aus der Statistik herausfallen können, ist um vier Monate länger. Somit erfasst das Statistische Bundesamt weniger Kinder, die sich im laufenden Kindergartenjahr in einer U3-Betreuung befinden.
Die Landesregierung schreibt dazu lapidar: Die Zahlen „beruhen auf unterschiedlichen rechtlichen Vorschriften, beziehen sich auf unterschiedliche Sachverhalte und erfüllen unterschiedliche Funktionen.“
Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen Zahlen?
Da die absolute Zahl der U3-Kinder in der Gesamtbevölkerung gleich bleibt, verbessert sich natürlich die Betreuungsquote, wenn man mehr Kinder in den Kitas als U3-Betreuungen erfasst. Die Statistiken der Landesregierung sehen durch diese Vier-Monats-Zahlenspielerei besser aus. Hinzu kommt: Das Land zahlt für diese Kinder damit auch zwölf Monate die höhere Pauschale. Dadurch erhalten die Träger deutlich mehr Geld.
Betreuungslücke: 78.000 Kinder ohne Platz
Eine andere Zahl sagt noch mehr über die aktuelle Betreuungssituation aus: die sogenannte Betreuungslücke. Also die Zahl der Kinder ohne Betreuungsplatz, obwohl sich die Eltern einen Platz wünschen. Für einen bedarfsgerechten Ausbau sind diese Zahlen elementar. Denn nur wenn klar ist, wie viele Eltern sich einen Platz wünschen, können auch genügend geschaffen werden.
Doch diese Daten erheben die Statistischen Bundesämter gar nicht. Für die aktuelle Berechnung der gewünschten Plätze muss eine Befragung von Familien im Auftrag des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2016 herhalten. Nur: Diese Daten sind weder aktuell, noch besonders genau. Im Jahr 2016 wurden pro Bundesland rund 2.300 Eltern befragt. Diese Ergebnisse werden hochgerechnet. Sie sind deshalb „mit einer gewissen statistischen Unsicherheit behaftet“, so das Institut der deutschen Wirtschaft in seinem Bericht. Deshalb lassen sie sich auch nur bis auf Länderebene berechnen. Konkrete Zahlen für Kreise oder gar Städte – Fehlanzeige.
Für NRW ergibt sich daraus laut IW-Bericht eine Betreuungslücke von 15,6 Prozent für Kinder unter drei Jahren. Das sind rund 78.000 Kinder, die keinen Betreuungsplatz haben, für die sich ihre Eltern aber einen wünschen. Dahinter stehen zehntausende Geschichten von Eltern, die auf zwei Gehälter angewiesen sind, aber ohne fehlenden Platz nicht beide arbeiten können. Alleinerziehende, die keine Alternative haben. Sie alle konkurrieren um viel zu wenig Plätze.
Chaos auf kommunaler Ebene
Wie werden die vorhandenen Plätze verteilt? Diese Frage ist eine zentrale für Eltern. Denn die Vergabe-Kriterien sind undurchsichtig. Wie entscheidet man, welches Kind einen Betreuungsplatz dringender benötigt? Sind berufstätige Eltern vorzuziehen? Sollten Geschwisterkinder bevorzugt werden? Dürfen die Kindergärten nach Sympathie aussuchen, nach Namen, Herkunft, Einkommen der Eltern oder soll am Ende nur das Glück entscheiden?
Ein landesweit einheitliches Vergabesystem gibt es nicht. Eltern müssen sich stattdessen zwischen Wartelisten, elektronischer Platzvergabe und überforderten Behörden einen Platz erkämpfen.
Jede Stadt hat ihr eigenes Konzept für die Vergabe der Plätze. Geplant wird das Vorgehen in den kommunalen Jugendhilfeausschüssen.
Es sind komplexe Fragen, die auch juristisch relevant sind. Denn viele Eltern versuchen ihren Anspruch vor Gericht durchzusetzen. In diesen Verfahren stehen dann auch die Vergabekriterien auf dem Prüfstand.
Diskussionsabend „Fehlende Kitaplätze in NRW“
Am Montag, 14. Mai, dem bundesweiten Tag der Kinderbetreuung, wollen wir diese Fragen mit Ihnen und Vertretern der Eltern und des Landes diskutieren und darüber hinaus auch die Möglichkeit bieten, direkt Fragen zu rechtlichen Ansprüchen und Schritten zu stellen.
Unsere Gäste:
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Manfred Walhorn, Leiter der Familien- und Kinderabteilung des Familienministeriums NRW.
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Matthias Neufeld, Landeselternbeirat NRW und Elternbeirat in der Stadt Essen
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Henning Schulte im Busch, Anwalt aus Münster, der Eltern bei Kitaplatz-Klagen vertritt.
Eine Anmeldung ist nicht nötig, aber erwünscht. HIER KLICKEN. Und für die Facebook-Veranstaltung HIER KLICKEN.
Ort: Der CORRECTIV Buchladen | Akazienallee 10| Essen
Beginn: ab 19:00 Uhr