Wie viel Stasi steckt im BSW?
Das Bündnis Sahra Wagenknecht beteuert, seine Mitglieder besonders sorgfältig auszusuchen. Insofern erscheint auffällig, dass nach Recherchen von CORRECTIV mehrere von ihnen in Stasi-Strukturen tätig waren. Der Thüringer Landesverband kündigt eine Prüfung an.
Man will langsam und kontrolliert wachsen, heißt es beim Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die „Kinderkrankheiten“ anderer junger Parteien solle das BSW nicht bekommen, sagte Generalsekretär Christian Leye im Januar beim ersten Parteitag des Bündnisses. Dafür setze man auf persönliche Netzwerke und verpflichtende Kennenlerngespräche. So lässt sich erklären, dass die Partei trotz beflügelnder Umfragewerte und Zehntausender Unterstützer insgesamt nur rund 840 Mitglieder zählt. Die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien haben dagegen zwischen 30.000 und 390.000 Mitglieder.
Umso bemerkenswerter ist es, dass sich unter den vergleichsweise wenigen Mitgliedern auch Parteianhänger finden, die in Stasi-Strukturen tätig waren. Das ist mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen interessant. Denn Politikforscher urteilen: Bei jenen, die sich zu DDR-Zeiten bewusst für diesen Weg entschieden, sei es wahrscheinlich, dass sie die ideologische Nähe zu Russland noch heute in sich tragen. Das BSW positioniert sich im Vergleich zu anderen Parteien deutlich für die Politik Wladimir Putins.
Nach Recherchen von CORRECTIV zählen zu den Mitgliedern mit Stasi-Vergangenheit mindestens fünf Personen, darunter zwei Gründungsmitglieder des Thüringer Landesverbands sowie zwei sächsische Landtagskandidaten. In Sachsen rangiert das BSW derzeit je nach Umfrage zwischen 11 und 15 Prozent.
Die BSW-Mitglieder und ihre Stasi-Tätigkeit zu DDR-Zeiten konnten von der Redaktion über öffentlich verfügbare Informationen wie das Vereinsregister und die offiziellen Listen der Kandidierenden ausgewertet werden. Alle Personen wurden vor Veröffentlichung mit den Ergebnissen konfrontiert. Das gestern von CORRECTIV offengelegte Datenleck beim Bündnis Sahra Wagenknecht spielte bei der Recherche keine zentrale Rolle.
Gegenüber den Wählerinnen und Wählern wurde die Stasi-Vergangenheit teils entscheidender Personen durch die Partei bislang nicht offen gelegt – und neue Mitglieder wurden auch nicht von der Partei dazu gefragt. Aus Sicht des DDR-Forschers Jens Gieseke könnte das BSW im Milieu der ehemaligen DDR-Sicherheitselite sogar Wählerpotenzial sehen. Zumindest wirft der Umgang der Partei mit der Stasi-Vergangenheit ihrer Mitglieder Fragen nach den Aufnahmekriterien und nach dem Verhältnis der Partei zur DDR-Vergangenheit auf.
Ein Polizeioberrat mit einem fragwürdigen DDR-Dienst
Ein BSW-Politiker mit Verbindungen zur Staatssicherheit ist Wolfhard Hack. Er kandidiert bei der Wahl für den sächsischen Landtag auf Listenplatz 18. Wenn das BSW gut abschneidet, könnte es gerade so reichen für ihn. Der gebürtige Chemnitzer hat ab 1990 bei der Polizei Karriere gemacht, arbeitete sich zum Leiter der Polizeifachschule hoch, dann zum Kommandoführer des Spezialeinsatzkommandos (SEK) der sächsischen Polizei. Inzwischen ist er im sächsischen Innenministerium tätig.
Mit Sicherheit und Bewachung hatte Hack aber bereits vor der Wende zu tun. Sein Name taucht auf der Liste hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter auf, die nach der Wende publik wurde und deren Authentizität als gesichert gilt. Dort ist die Abteilung Kader und Schulung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit im damaligen Karl-Marx-Stadt aufgeführt.
Auf Anfrage von CORRECTIV teilte Hack mit, dass er von 1985 bis 1988 einen Wehrdienst in der Wacheinheit des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt) geleistet habe. Die Aufgabe bestand in der Bewachung verschiedener Dienstobjekte. Als Stasi-Tätigkeit will er das allerdings nicht sehen, betont eine rein formale Zugehörigkeit. Hack verweist darauf, dass bei seiner Verbeamtung seinerzeit keine Bedenken festgestellt worden sind. Die heutige Bewertung seines Wehrdienstes sei nicht so einfach, aber: „Durch meine nun 34 Jahre im Polizeidienst hat der Rechtsstaat bei mir einen enormen Stellenwert“, so Hack.
Vom Wachregiment ins BSW
Deutlich bessere Chancen auf einen Einzug in den sächsischen Landtag hat Ulf Lange aus dem Erzgebirge, der auf Platz 14 der Landesliste steht. Auf dem Landesparteitag versuchte er als „Kind der DDR“ zu punkten. Laut Leipziger Volkszeitung gab er an, die Deutsche Demokratische Republik hätte ihn positiv geprägt, „da ich diese Zeit eher als behütet, denn als restriktiv empfand.“ Kurz vor der Wende traf er nach Recherchen von CORRECTIV die Entscheidung, seinen Wehrdienst im Wachregiment Feliks Dzierzynski zu absolvieren. Wer sich dort verpflichtete, war in einer soldatischen Einheit direkt dem MfS unterstellt und das für drei Jahre statt nur für den DDR-Grundwehrdienst von 18 Monaten.
Wie für Hack ist auch für Lange der Dienst „weit entfernt von einer Stasi-Tätigkeit“. Ähnlich argumentiert auf Anfrage auch der sächsische BSW-Landesverband. Als junger Mensch sei er in der Berufsschule überzeugt worden, in dem Regiment den Wachdienst zu absolvieren, erzählt Lange am Telefon gegenüber CORRECTIV. Heute wäre die Entscheidung anders ausgegangen. „Ich bin kein überzeugter Kämpfer für kommunistische Themen“, sagt Lange.
Nahezu zeitgleich zu Lange absolvierte auch Tilo Kummer aus Thüringen seinen Dienst als Zeitsoldat im Wachregiment Feliks Dzierzynski. Die Tätigkeit des langjährigen Landtagsabgeordneten für die Linke war in der Vergangenheit bereits mehrfach medial thematisiert worden. Das hinderte das BSW nicht daran, Kummer zum Geschäftsführer des Thüringer Landesverbands zu ernennen. Auch Kummer pocht darauf, dass sein Wehrdienst in keiner Abgeordnetenüberprüfung als hauptamtliche Tätigkeit für die Staatssicherheit gewertet wurde.
„Grundsätzlich ist der Wehrdienst beim MfS-Wachregiment Feliks Dzierzynski nicht gleichzusetzen mit einer Stasi-Tätigkeit als hauptamtlicher Mitarbeiter oder Informant“, sagt Jens Gieseke vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung. Diese Personen hatten mit dem geheimpolizeilichen Kern der Staatssicherheit wenig Berührung. „Gleichwohl war der Dienst als Zeitsoldat beim ‚Feliks‘ kein gewöhnlicher Wehrdienst, sondern beruhte auf der Freiwilligenmeldung als Unteroffizier für drei Jahre. Damit hatte man zum Beispiel bessere Aussichten auf einen Studienplatz“, so Gieseke.
Thüringer Landesverband kündigt Prüfung von BSW-Gründungsmitglied an
Bei der Gründungsversammlung des Thüringer Landesverbandes am 15. März dieses Jahres waren im Protokoll 43 Mitglieder gelistet, deren Anwesenheit erwartet wurde. Darunter ist neben Kummer auch der frühere Linken-Politiker Sven Weber, der aber offenbar nicht erschienen ist. Sein Name findet sich in Übereinstimmung mit seinem Geburtsdatum ebenfalls auf der Liste hauptamtlicher Mitarbeiter, Abteilung Funkabwehr/Funkaufklärung der Zentrale des MfS in Berlin. Fragen dazu beantwortete Weber nicht.
BSW-Spitzenkanditat Steffen Quasebarth vom Landesverband Thüringen kündigte auf Anfrage von CORRECTIV eine „gründliche Prüfung“ von Sven Weber an.
Ein weiterer Kommunalpolitiker des BSW aus Sachsen-Anhalt, der mit Namen und Geburtsdatum als hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter gelistet ist, antwortete ebenfalls nicht auf eine Anfrage.
„Das BSW beansprucht ja, genau zu kontrollieren, wer Mitglied in der Partei werden darf. Die hauptamtliche Mitarbeit beim MfS gehört offenbar nicht zu den Ausschlusskriterien“, sagt Jens Gieseke. Mit Bezug auf hauptamtlich tätige Stasi-Mitarbeiter ist für ihn entscheidend, was in ihren Köpfen passiert, ob sie weiterhin ein Ressentiment gegen den Westen und die Wiedervereinigung gepflegt hätten und eine Affinität zu Putin haben.
Ähnlich urteilt Thomas Jäger von der Universität zu Köln: „Wir müssen natürlich in solchen Fällen immer den Einzelfall betrachten, aber generell kann man sagen, dass Menschen, die bei der Stasi waren, in der Regel eine hohe Identifikation mit dem Staat DDR hatten und deshalb den Untergang bedauert haben. Zumal der russische Präsident Wladimir Putin für die meisten bis heute ein Genosse ist.“
Ob Parteimitglieder für das MfS tätig waren, überprüfe das BSW nicht, schreibt ein Pressesprecher der Partei auf Anfrage. Auf hauptamtliche Stasi-Tätigkeit mehrerer BSW-Mitglieder angesprochen, heißt es, dass diese bereits eine staatliche Überprüfung durchlaufen hätten. Etwa weil sie „Mitglied eines Landtages, eines Kommunalparlaments oder Bürgermeister waren“. In allen Fällen sei „nichts beanstandet“ worden.
Seit der Wende werden Abgeordnete in Parlamenten immer wieder auf eine Stasi-Vergangenheit hin überprüft. Dabei geht es um das breite Spektrum von hauptamtlichen und inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern, aber auch das ehemalige Wachregiment der Stasi, das mehr als 10.000 Soldaten umfasste.
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Die Redaktion von CORRECTIV bleibt am Thema dran. Über diese Kontaktwege können Sie das Recherche-Team Stella Hesch, Alexej Hock und Jonathan Sachse direkt erreichen oder den anonymen Briefkasten nutzen.
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Recherche: Marcus Bensmann, Martin Böhmer, Stella Hesch, Alexej Hock, Jean Peters, Jonathan Sachse, Leon Ueberall
Redaktion: Anette Dowideit, Gesa Steeger
Faktencheck: Elena Kolb
Update, 29. August 2024 um 12:23 Uhr: Nach Veröffentlichung erreichte uns der Hinweis, dass auch der Brandenburger Hans-Jürgen Scharfenberg, Fraktionschef des BSW-Ablegers Bündnis für Vernunft und Gerechtigkeit (BfV) im Potsdamer Stadtrat, eine Stasi-Vergangenheit aufweist. Seit vielen Jahren ist über den früheren Linken-Politiker bekannt, dass er von 1978 bis 1986 als inoffizieller Mitarbeiter (IM) mit dem Decknamen „Hans Jürgen“ für die Stasi gespitzelt hatte. Zum Jahresende 2023 verkündete er seinen Austritt aus der Linkspartei und schloss sich in den Folgemonaten dem BSW an.