Faktencheck

Die unendliche Geschichte der falschen Zitate im Netz

Mal wieder kursieren auf Sozialen Netzwerken falsche Zitate von Politikern und öffentlichen Personen. Viele der Zitate wurden schon vor Jahren als frei erfunden oder falsch offenbart, trotzdem verbreiten sie sich weiter im Internet.

von Cristina Helberg

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Immer wieder kursieren im Netz falsche Zitate, die längst als solche klargestellt wurden. Bild: geralt / pixabay
Behauptung
Diese zehn Zitate würden von Politikerinnen und Politikern stammen.
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Größtenteils falsch
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Größtenteils falsch - Von den zehn Fotomontagen sind drei Zitate richtig, die übrigen sind verkürzt wiedergegeben, teilweise oder ganz falsch, frei erfunden oder es gibt keine Belege für die Aussagen.

Ein privater Nutzer teilte am 8. Januar auf Facebook mehrere Fotomontagen, die unterschiedlichen Politikern und Personen des öffentlichen Lebens vermeintliche Zitate zuordnen. Darüber schrieb er „Abschaum“. Eine Quelle für die Zitate gibt der Nutzer nirgendwo an. Wir haben alle zehn Aussagen geprüft:

1.) Angebliches Zitat von Joschka Fischer (Grüne): „Deutschland muss von außen eingehegt werden und von innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi verdünnt werden.“

Stimmt dieses Zitat? Mit dieser Frage beschäftigte sich 2016 auch die Braunschweiger Zeitung, nachdem sie das vermeintliche Zitat in einem Leserbrief abgedruckt hatte. Die Zeitung veröffentlichte am 2. August 2016 mehrere Leserbriefe zu dem berühmten Satz „Wir schaffen das“ von Angela Merkel. Ein Leser warf Merkel in seinem Brief vor, sich grüner Politik anzunähern und erwähnte in diesem Zusammenhang ein vermeintliches Zitat von Grünen-Politiker Joschka Fischer.

Screenshot des Leserbrief aus dem Jahr 2016 in der Braunschweiger Zeitung, Screenshot: CORRECTIV

Nach Beschwerden von Lesern prüfte die Redaktion das angebliche Zitat und kam zu dem Schluss, dass der Satz nicht von Joschka Fischer stammt: „Als Quelle ist ‘Die Welt’ vom 7. Februar 2005 angegeben. Tatsächlich ist an dem Tag eine Besprechung von Joschka Fischers Buch ‘Risiko Deutschland’ in der Zeitung erschienen, und auch der Satz taucht auf. Aber es sind die Worte der Autorin des Beitrags, Mariam Lau, die damit Joschka Fischers Sorge vor einem – wenn auch demokratisch gefestigten – Deutschland ohne Westbindung und europäischer Integration umschreibt“, schreibt die Braunschweiger Zeitung. Das kann auch jeder Leser selbst nachprüfen. Der Welt Artikel ist online verfügbar. Im letzten Absatz steht der Satz der Autorin Mariam Lau.

Fazit: Der Satz stammt nicht von Joschka Fischer, sondern ist eine Einordnung der Journalistin Mariam Lau.

2.) Angebliches Zitat von Jürgen Trittin (Grüne): „Es geht nicht um Recht oder Unrecht in der Einwanderungsdebatte, uns geht es zuerst um die Zurückdrängung des deutschen Bevölkerungsanteils in diesem Land.“

Auch dieses Zitat hatte die Braunschweiger Zeitung in dem Leserbrief abgedruckt. Doch auch dieser Satz ergab sich nach genauerer Recherche der Redaktion als Fälschung:  „Erschienen ist das angeblich in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) vom 2. Januar 2005. Nach Rücksprache mit den Kollegen im FAS-Archiv hat es dieses Interview nicht gegeben, es handelt sich um kein FAS-Zitat, es ist frei erfunden“, so die Redaktion der Braunschweiger Zeitung. Auch wir konnten keinen Beleg dafür finden, dass Trittin dieses Zitat irgendwann tatsächlich gesagt hat

Fazit: Laut Recherchen der Braunschweiger Zeitung ist das Zitat frei erfunden.

3.) Angebliches Zitat von Daniel Cohn-Bendit (Grüne): „Wir, die Grünen, müssen dafür sorgen, so viele Ausländer wie möglich nach Deutschland zu holen. Wenn sie in Deutschland sind, müssen wir für ihr Wahlrecht kämpfen. Wenn wir das erreicht haben, werden wir den Stimmenanteil haben, den wir brauchen, um diese Republik zu verändern.“

Auch dieses angebliche Zitat ist nicht neu. Im Jahr 2015 hatte die Politikerin Erika Steinbach (zu diesem Zeitpunkt CDU) die Aussage bei Twitter verbreitet. Zuvor kursierte das Zitat bereits auf rechten Seiten. Eine Quelle oder einen Beleg gibt es für das Zitat nicht. Darüber berichteten auch Focus und Der Westen im Jahr 2015.

Fazit: Nach unseren Recherchen gibt es keinen Beleg für dieses Zitat.

4.) Zitat von Çigdem Akkaya (ehemalige stellvertretende Direktorin des Essener Zentrums für Türkeistudien): „Die Leute werden endlich Abschied nehmen von der Illusion, Deutschland gehöre den Deutschen.“

Auf Nachfrage von CORRECTIV erklärt Çigdem Akkaya den Hintergrund dieses Satzes: „Dieses Zitat stammt aus einem Interview mit WAZ gegen Ende 90er Jahre aus Anlass der Novelle des Einbürgerungsgesetzes. Es war aber leider ein unglückliches Interview, da ich mich nicht gut und präzise ausdrücken konnte, und ich leider aus zeitlichen Gründen nicht darauf bestand, das Interview vor dem Druck zu sehen, da es für den Journalisten sehr eilig war. Somit blieb eine Menge Raum für Missinterpretationen.“

Sie betont: „Es ist klar, dass es von meiner Seite aus nicht so gemeint sein kann, wie es für viele, vor allem für rechte Szene als eine ‘Deutschlandseroberungserklärung durch eine Zugewanderte’ verstanden wird. Ich hatte mit illusionierten ‘Leuten’ eigentlich die Rechtsradikalen und deren berühmten Spruch ‘Deutschland gehört den Deutschen’ gemeint. Zur Präzisierung hätte ich das Wort ‘nur’ (‘Deutschland gehört nur den Deutschen’) auswählen und betonen müssen, was mir aber im Nachhinein auffiel.“

Fazit: Çigdem Akkaya hat den Satz nach eigenen Angaben in einem Interview Ende der 90er so gesagt. Allerdings fühlt sie sich falsch verstanden und betont, dass sie meinte, Rechtsradikale müssten sich von der Illusion verabschieden, Deutschland gehöre nur den Deutschen.

5.)Zitat von Renate Schmidt (SPD): „Die Frage, [ob die Deutschen aussterben], das ist für mich eine, die ich an allerletzter Stelle stelle, weil dieses ist mir, also so wie sie hier gestellt wird, verhältnismäßig wurscht.“

Wer Im Internet nach einer Quelle für dieses Zitat sucht, stößt auf das Portal Wikimannia. Dort steht, Renate Schmidt habe den Satz am 14.03.1987 im Bayerischen Rundfunk gesagt. Auf Nachfrage von CORRECTIV bestätigt der Bayerische Rundfunk das Zitat.  

Fazit: Das Zitat ist richtig.

Facebookpost mit teilweise falschen Zitaten vom 8. Januar 2018, Screenshot: CORRECTIV

6.) Angebliches Zitat von Cem Özdemir (Grüne): „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“

Dieses vermeintliche Zitat wird seit Jahren immer wieder im Netz geteilt. 2016 berichtete Der Westen darüber und recherchierte zum Ursprung der Behauptung. „Die einzige Quelle, die Özdemirs Aussage belegen soll, ist ein Videointerview mit Susanne Zeller-Hirzel, einem ehemaligen Mitglied der Widerstandsgruppe ‘Weiße Rose’, aus dem Jahr 2010. Das Interview führte Rechtspopulist Michael Stürzenberger, der auch als Blogger bei der Anti-islamischen Hetzseite PI News aktiv ist“, schreibt die Redaktion. Das Interview ist auf der Seite Gloria.TV weiterhin verfügbar. Ab Minute 1:32 berichtet Susanne Zeller-Hirzel, dass sie einmal gehört habe, wie Özdemir zu einer Gruppe junger Frauen, diesen Satz sagte. Genauere Angaben zu Zeit und Ort nennt Zeller-Hirzel nicht.

Weil Cem Özdemir immer wieder falsche Zitate zugeschrieben werden, hat er auf seiner Homepage eine eigene Rubrik „Dichtung und Wahrheit“ angelegt. Ganz oben steht dort das angebliche Zitat „Wir wollen, dass Deutschland islamisch wird.“ Dort wird zu dem Satz klargestellt: „Er hat ihn weder gesagt noch vertritt er eine solche Ansicht. Es gibt für dieses ‘Zitat’ auch keine Quelle – jedenfalls solange nicht bloße Behauptungen, Hörensagen oder Kettenzitate im Internet als sichere Quelle gelten.“

Fazit: Für das Zitat gibt es keine Belege. Özdemir selbst dementiert eine solche Aussage.

7.) Angebliches Zitat von Claudia Roth (Grüne): „Am Nationalfeiertag der Deutschen ertrinken die Straßen in einem Meer aus roten Türkenflaggen und ein paar schwarzrotgoldenen Fahnen.“

Auch dieses Zitat ist nicht neu und Claudia Roth seit Jahren ein beliebtes Opfer falscher Zitate. Bereits im Jahr 2016 recherchierte Der Westen, woher die Behauptung stammt: „In Wahrheit hat Roth das aber nie gesagt. Das angebliche Zitat ist nur der Ausschnitt aus einem Text der Welt am Sonntag. Roth hatte vorgeschlagen, am 3. Oktober neben dem Tag der deutschen Einheit auch den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu feiern. Daraufhin interpretierte der Autor: Ihre Vision: Am Nationalfeiertag der Deutschen ertrinken die Straßen in einem Meer aus roten Türkenflaggen und ein paar schwarzrotgoldenen Fahnen.“

Fazit: Der Satz stammt nicht von Claudia Roth, sondern von dem Welt-Redakteur Heimo Schwilk.

8.) Angebliches Zitat von Sieglinde Frieß (Die Grünen): „Ich wollte, dass Frankreich bis zur Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.“

Wer im Internet nach Quellen für dieses Zitat sucht, stößt auf einen Artikel des Spiegel aus dem Jahr 1990. Dort steht: „Lieber als ein wiedervereinigtes Deutschland sähen linke Grünen-Abgeordnete wie Siggi Frieß offenbar gar kein Deutschland: ‘Das Beste wäre für Europa’, zitierte sie vor dem Bundestag ein Kabarettistenwort, ‘wenn Frankreich bis an die Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.’ “

Im Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 5. September 1989 können alle Interessierten auf Seite 11758 nachlesen, was Frieß genau gesagt hat. Im Spiegel ist der Zusammenhang nur unvollständig wiedergegeben. Dem Protokoll zufolge sagte Frieß: „Wir fordern erstens die konsequente Absage an jegliche Großmachtsbestrebungen, zweitens die Anerkennung der DDR und der DDR-Staatsbürgerschaft und drittens eine grundsätzlich andere Politik für Immigrantinnen bzw. Immigranten und Flüchtlinge, um in Zukunft das zu verhindern, was derzeit noch Wahres in dem Zitat von Wolfgang Neuss steckt, den ich zum Schluß zitieren will: Das Beste  Es läßt mich nicht ruhen: Wie kann ich wirklich was für Europa tun? Und wenn Du mich einen Landesverräter nennst — das Beste wäre für Europa, wenn Frankreich bis an die Elbe reicht und Polen direkt an Frankreich grenzt.“

Fazit: Frieß zitierte 1989 ein Zitat des deutschen Kabarettisten Wolfgang Neuss und bezeichnete einen Teil davon als etwas „Wahres“, dass es in Zukunft zu verhindern gelte.

9.) Zitat von Christin Löchner (Die Linke): „Es mag Sie vielleicht überraschen, aber ich bin eine Volksverräterin. Ich liebe und fördere den Volkstod, beglückwünsche Polen für das erlangte Gebiet und die Tschech/innen für die verdiente Ruhe vor den Sudetendeutschen.“

Gegenüber Correctiv bestätigt Christin Löchner das Zitat: „Diese E-Mail war eine Reaktion auf einen von einem Verschwörungstheoretiker eingerichteten Verteiler, in dem ich unfreiwillig aufgrund meines politischen Engagements eingetragen wurde und über welchen mehrere E-Mails am Tag mit entsprechendem Inhalt versandt wurden. Als jemand, die sich seit relativ langer Zeit mit rechter Ideologie sowie deren Strukturen auseinandersetzt und in Verbindung mit meiner Persönlichkeitsstruktur, besorgniserregende Realitäten humoristisch zu begegnen, nutzte ich auch in diesem Fall durch die Verwendung entsprechender Begrifflichkeiten und durch die Bedienung ideologischer Stereotype Übertreibung als stilistisches Mittel, rechte Ideologie ad absurdum zu führen. Was daraus folgte war, dass ich eine der ersten war, die im Netz und in der Realität entsprechend heftige Angriffe und Drohungen ertragen musste“.

Fazit: Das Zitat stimmt. Christin Löchner erklärt jedoch, sie habe damit rechte Ideologie „ad absurdum“ führen wollen.

10.) Angebliches Zitat von Ursula von der Leyen (CDU): „Migrantenkinder sind unsere Zukunft.“

Die einzige Quelle für dieses angebliche Zitat ist eine Zwischenüberschrift eines Focus Artikels vom 26. Mai 2008. In dem auf die Überschrift folgenden Absatz wird das Zitat jedoch nicht mehr aufgegriffen. Stattdessen wird Ursula von der Leyen dort folgendermaßen zum Thema Unterstützung von Migranten zitiert: „Ein Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, wie sehr wir diese Kinder brauchen: In 20, 30 Jahren erwarten von diesen Kindern, dass sie innovativ und verantwortungsbewusst dieses Land tragen.“

Ähnlich zitiert die Süddeutsche Zeitung Ursula von der Leyen: „Jedes dritte Kind unter sechs Jahren kommt aus einer Migrantenfamilie. Ein Blick auf die demografische Entwicklung zeigt, wie sehr wir diese Kinder brauchen: Was wir heute in diese Kinder investieren, zahlt sich in der demografisch schwierigen Phase in 20, 30 Jahren aus, wenn meine Generation um die achtzig Jahre alt ist. Wir erwarten dann von diesen Kindern, dass sie innovativ und verantwortungsbewusst dieses Land tragen.

Fazit: Ursula von der Leyen hat sich laut verschiedenen Medien 2008 für eine Förderung von Migrantenkindern ausgesprochen, da diese in Zukunft „das Land tragen“. Das verkürzte Zitat findet sich nur in einer Zwischenüberschrift.  

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