Faktencheck

Heißes Bad gegen Coronavirus? Andres Bircher stellt bei TV-Interview falsche Behauptungen auf

Auf Youtube wird derzeit ein Interview des Schweizer Privatsenders QS24 mit Andres Bircher häufig angeklickt. Darin tätigt der Ganzheitsmediziner verschiedene falsche Äußerungen zum Coronavirus und dessen Behandlung.

von Steffen Kutzner

Screenshot Bircher
Andres Bircher (links) im Interview. (Quelle: Youtube/QS24)
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Größtenteils falsch. Birchers Aussagen widersprechen zum Teil grundlegenden medizinischen Erkenntnissen.

Ein am 16. März hochgeladenes Interview zum Coronavirus mit dem Schweizer Arzt Andres Bircher wurde auf Youtube bereits mehr als 817.000 Mal angesehen. Bircher behauptet darin, das Coronavirus SARS-CoV-2 lasse sich mit heißen Bädern und Schwitzkuren behandeln. Außerdem würden Grippeimpfungen nicht gegen die tatsächliche Grippe wirken, sondern nur gegen eine veränderte Grippe, die bei der Herstellung des Impfstoffs entstünde. Auch behauptet er, das Immunsystem verdopple seine Abwehrkraft mit jedem zusätzlichen Grad Körpertemperatur und Sonnenschutzmittel würden die körpereigene Produktion von Vitamin D3 verhindern. Jede dieser Behauptungen ist falsch.

1. Behauptung: Das Coronavirus gehe bei 40 Grad „kaputt“ und „Überwärmungsbäder“ seien ein „wunderbarer Schutz“ gegen das Virus

Bircher erklärt im Video (ab 02:05), es sei ein Problem der medizinischen Behandlung, dass man das Fieber senke, denn so verpasse man die Chance, die Selbstheilungskräfte des Körpers zu nutzen. „Wenn man gesund ist, macht [der Körper] ein bisschen über 40 Grad Fieber und das vertragen die Viren nicht. Die gehen kaputt.”

Ob sich Bircher hier auf Coronaviren oder auf Viren allgemein bezieht, wird aus seiner Wortwahl nicht klar. Für SARS-CoV-2 gilt laut der US-amerikanischen Seuchenschutzbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC), dass bisher keine konkrete Temperatur genannt werden könne, die die Viren abtöte oder inaktiv werden lasse. Auf derselben Webseite, die häufig gestellte Fragen zum Coronavirus beantwortet, steht die Information, dass die Temperatur auch abhängig von der jeweiligen Oberfläche sei, auf der sich das Virus befände.

Auszug aus einer Webseite des CDC zu häufig gestellten Fragen zum Coronavirus. (Screenshot: CORRECTIV)

So wie sich das Virus nicht durch Trinken heißen Wassers abtöten lässt, wie CORRECTIV schon hier berichtet hat, so haben nach bisherigen Erkenntnissen auch heiße Bäder keinen unmittelbaren Effekt auf die Viren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO klärt auf ihrer Seite darüber auf, dass die Körpertemperatur des Menschen etwa bei 36,5 Grad läge, unabhängig davon, wie heiß man bade oder dusche.

2. Behauptung: Mit jedem zusätzlichen Grad Fieber verdoppele das Immunsystem seine Abwehrkraft

Bircher bestätigt eine Aussage des Moderators. Er behauptet, gelesen zu haben, dass ein Anstieg der Körpertemperatur um ein Grad die Abwehrkraft des Immunsystems verdopple. (ab 02:41

Jürgen Floege, Vorsitzender der deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, schreibt dazu in einer E-Mail an CORRECTIV: „Die Antwort ist aus der Luft gegriffen, da sich die ‘Stärke des Immunsystems’ (was auch immer das sein soll…)  nicht messen lässt“. 

Auszug aus der E-Mail der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. (Screenshot: CORRECTIV)

3. Behauptung: Sonnencreme schade dem Immunsystem, weil sie verhindere, dass UV-Strahlung in die Haut gelangt

Bircher behauptet auch, dass „fast alle [darauf getesteten] Menschen einen ziemlich massiven Vitamin-D3-Mangel“ hätten, weil sich die Menschen zu wenig an der Sonne aufhielten und sich im Sommer mit Sonnenschutzmittel eincremen würden. Das verhindere, dass die UV-B-Strahlung in die Haut gelangen und dort Vitamin D3 produziert werden könne. (ab 10:45)

Jürgen Floege bezeichnet Birchers Aussage als „irreführende[n] Unsinn“. Man könne seinen Vitamin-D-Haushalt in Mitteleuropa ohnehin nur zwei bis drei Monate im Jahr über die Sonneneinstrahlung decken und sei den Rest des Jahres auf Nahrungsmittel oder ergänzende Zusatzpräparate angewiesen. Floege betont auch, dass Vitamin D keinen nachgewiesenen Effekt auf die Fähigkeit des Körpers habe, mit Viruserkrankungen fertig zu werden: „In sehr großen Studien der jüngsten Zeit findet sich übrigens keine Reduktion von Infekten insbesondere Virusinfekten unter Vitamin-D-Gabe.“

Auszug aus der E-Mail der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. (Screenshot: CORRECTIV)

Das Bundesamt für Verbraucherschutz weist zudem darauf hin, dass Sonnencreme nicht gleich Sonnencreme ist: Es gebe verschiedene Arten Sonnenschutzmittel, die durch verschiedene Wirkstoffe unterschiedliche Arten von UV-Strahlen herausfilterten. „Diese Filter schützen entweder vor UV-A-Strahlen, UV-B-Strahlen, oder –als Breitbandfilter– von beiden Strahlenarten“, heißt es dazu auf der Webseite des Bundesamtes. Birchers Aussage, dass Sonnenschutzmittel das Eindringen von UV-B-Strahlen in die Haut verhindere, lässt sich also gar nicht pauschal treffen.

Auch Birchers Aussage, dass „fast alle“ Patienten einen Vitamin-D-Mangel hätten, lässt sich nicht bestätigen. Laut des Sechsten Schweizerischen Ernährungsberichts des Bundesamts für Gesundheit sind 26 Prozent der Erwachsenen in der Schweiz mit Vitamin D unterversorgt. In Deutschland sind es laut Robert-Koch-Institut 56 Prozent der Erwachsenen, wobei der Vitamin-D-Spiegel in unseren Breitengraden „starken saisonalen Schwankungen“ unterliege.

4. Behauptung: Grippeimpfstoffe würden nicht gegen das eigentliche Virus helfen

Andres Bircher behauptet, dass die Wirkstoffe aus Grippeimpfungen nicht wirken könnten. Als Grund dafür nennt er die Herstellung, bei der die Wirkstoffe angeblich mittels „Fremdpassagen in Hühnerembryonen abgeschwächt“ und dabei verändert würden. Das habe zur Folge, dass „der Impfstoff zwar gegen den Impfvirus wirkt aber nicht gegen das native Virus“. (ab 07:12)

Dafür muss man betrachten, wie Impfstoffe genau hergestellt werden. Eine Mitarbeiterin des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen verantwortlich ist, schreibt in ihrer Antwort an CORRECTIV, dass die WHO zunächst eine Empfehlung für bestimmte Grippeimpfstoffe gebe und den Impfstoffherstellern sogenannte Saatviren zur Verfügung stelle. 

Dr. Susanne Stöcker, Pressesprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), erklärte uns telefonisch, dass diese Saatviren danach meistens in Hühnereier injiziiert würden, weil Grippeviren in den meisten Fällen von Vögeln stammen und sie sich deshalb in Geflügelzellen besonders gut vermehren ließen. Diese mit den Grippeviren infizierten Eier würden dann bebrütet. Dieses Verfahren wird auch „Fremdpassage“ genannt. Jedoch wird dabei das Virus nicht verändert, weil sich das so hergestellte Virus laut PEI „nicht von der ursprünglichen Empfehlung“ der WHO unterscheiden dürfe. Deshalb dürfe auch nur eine Passage vorgenommen werden. Das PEI betont jedoch, dass sich das zirkulierende Virus in der Zwischenzeit verändern könne. 

Auszug der E-Mail des Paul-Ehrlich-Instituts. (Screenshot: CORRECTIV)

Birchers Aussage, bei der Fremdpassage würde das Virus verändert, ist also nicht zutreffend. Während des langwierigen Prozesses der Impfstoffherstellung kann das ursprüngliche Virus sich jedoch verändern, sodass die Wirksamkeit des Impfstoffs beeinträchtigt sein könnte.

Fazit: Birchers Aussagen sind zum Teil irreführend oder komplett falsch. So lässt sich die Abwehrkraft des Immunsystems nicht messen, es ist nach aktuellem Stand der Forschung nicht bekannt, ab welcher Temperatur das Coronavirus inaktiv oder abgetötet wird und Vitamin D hat keine nachgewiesene Wirkung bei grippalen Infekten. Impfstoffe werden aus den zirkulierenden Grippeviren hergestellt, bei der Fremdpassage jedoch nicht verändert.