Faktencheck

Große Verschwörung zum Coronavirus? Wie Ken Jebsen mit irreführenden Behauptungen Stimmung macht

In einem millionenfach aufgerufenen Youtube-Video verbreitet der Blogger Ken Jebsen neben Verschwörungstheorien auch teils falsche Behauptungen über das Handeln der Polizei, Bill Gates, die WHO und eine angeblich geplante Impfpflicht.

von Till Eckert , Alice Echtermann

Ken Jebsen
Der Blogger Ken Jebsen in seinem Video „Gates kapert Deutschland!” vom 4. Mai. (Quelle: Youtube, Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Jebsen verbreitet nicht belegbare Verschwörungstheorien gepaart mit falschen Behauptungen.

Ken Jebsen ist sichtlich wütend: In dem rund 30-minütigen Youtube-Video „Gates kapert Deutschland!“ vom 4. Mai mit fast drei Millionen Aufrufen kritisiert der Blogger die deutsche Regierung, die Polizei, den Kapitalismus – und Bill und Melinda Gates. Sie hätten es angeblich geschafft, die Bundesrepublik zu „hacken“, die Gesundheitsbehörden zu unterwandern und würden nun nahezu allein über das Wohl der Gesellschaft entscheiden.

Ein Ehepaar aus den USA soll also Jebsen zufolge wegen seiner Initiative zu einer globalen Geberkonferenz für den Kampf gegen das Coronavirus, sowie Geldzuwendungen für die Impfstoffforschung oder Medienunternehmen die totale Kontrolle über Weltgesundheit, Angela Merkel und die deutsche Regierung innehaben.

Diese zentrale Behauptung in dem Video von KenFM (etwa Minute 8:00 bis 16:00) kann als Verschwörungstheorie bezeichnet werden: Sie eignet sich nicht für einen Faktencheck, da sie durch Fakten nicht belegbar oder widerlegbar ist. Zudem äußert Jebsen an vielen Stellen seine Meinung und ruft in der zweiten Videohälfte hauptsächlich dazu auf, demonstrieren zu gehen.

Er stellt in seinem Video aber auch einige konkrete Tatsachenbehauptungen auf. Vier davon haben wir geprüft. Das Ergebnis unserer Recherche: Ken Jebsen führt seine Zuschauer in die Irre.

1. Behauptung: Die Bill & Melinda Gates Stiftung finanziere die WHO zu mehr als 80 Prozent

Diese Behauptung stellt Jebsen im Video ab Minute 2:30 auf. Sie ist falsch. 

Die Bill & Melinda Gates Stiftung ist laut WHO zwar der zweitgrößte Spender nach den USA – die Zuwendungen machen aber 11,41 Prozent der Finanzierung aus. Spenden der Gavi Impfallianz entsprechen 6,49 Prozent. 

Die Gavi Impfallianz wird selbst zu einem großen Teil von der Gates-Stiftung finanziert (von 2016 bis 2020 zu etwa 17 Prozent; Tabelle „Annual Contributions 31 December 2019“). Doch selbst wenn man sie zusammen nähme, machen die Spenden der beiden Akteure nicht annähernd 80 Prozent der WHO-Finanzierung aus.

Gavi Alliance
Auszug aus der Tabelle der Spender für die Gavi Alliance, Stand 31. Dezember 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Das Programm-Budget der WHO für 2018/2019 lag insgesamt bei rund 4,4 Milliarden US-Dollar (Seite 5), und für 2020/2021 bei rund 4,8 Milliarden (Seite 6). 

In den Jahresberichten der WHO wird der Anteil der Bill & Melinda Gates Stiftung deutlich: 2018 spendete sie rund 229 Millionen Dollar für den „General Fund“ der WHO (PDF, Seite 6). 2017 waren es rund 325 Millionen Dollar (PDF, Seite 7). 

Bill Gates Spenden an WHO
Auszug aus der interaktiven Datenbank zur Finanzierung der WHO. (Screenshot am 8. Mai 2020: CORRECTIV)

2. Behauptung: Die Berliner Polizei habe bei Hygienedemos Menschen festgenommen, „weil sie das Grundgesetz bei sich trugen“

Jebsen behauptet unter anderem, die Berliner Polizei habe bei den sogenannten Hygienedemos Menschen „verhaftet, weil sie dieses Grundgesetz offen bei sich trugen“. Die Polizei habe „Menschen aufgefordert, das Grundgesetz herunter zu nehmen, weil es, Zitat: „eine unerlaubte politische Meinungsäußerung“ sei (ab Minute 4:50). Das sei in anderen Videos auf seinem Youtube-Kanal zu sehen. 

Jebsen meint damit offenbar ein Video vom 30. April; dort ist (ab Minute 9:30) zu sehen, wie ein Polizeibeamter eine Frau auffordert, ein selbst geschriebenes Schild herunter zu nehmen, jedoch kein Grundgesetz. Es handele sich um „eine Meinungsäußerung auf einer Versammlung“, so viel ist im Video zur Begründung des Beamten zu verstehen. In anderen Szenen werden Menschen von Polizeibeamten aus dem Bereich gebracht.

Kriminaloberkommissarin Sara Dieng von der Polizei Berlin erklärt auf Anfrage von CORRECTIV telefonisch genauer, aus welchem Grund Menschen von Hygienedemos entfernt oder festgenommen wurden: „Es ist zunächst zwischen genehmigten und ungenehmigten Versammlungen zu unterscheiden. Einige der sieben Hygienedemos seit dem 28.3. waren angemeldet und genehmigt, andere nicht.“ 

Bei den nicht genehmigten Demos sei laut Dieng teils vorher im Netz dazu aufgerufen worden, Grundgesetze mitzuführen und zu verteilen. Wenn Menschen mit Grundgesetzen auf solchen Demos entfernt oder festgenommen worden seien, dann laut Dieng, weil sie sich auf einer nach der Berliner Eindämmungsverordnung nicht genehmigten Veranstaltung befunden hätten. Die Verteilaktionen seien dann nicht genehmigt gewesen. Die Berliner Verordnung mit dem temporären Verbot von Demonstrationen stand laut Medienberichten in Kritik.

Dieng sagt auch: Außerhalb des Bereichs der verbotenen Veranstaltung gelte dies nicht – Menschen könnten natürlich Grundgesetze offen mit sich tragen.

Jebsens Behauptung, die Polizei habe Menschen festgenommen, weil sie das Grundgesetz bei sich trugen, ist demnach falsch.

3. Behauptung: Es sei „eine Impfpflicht durch die Hintertür“ in Planung

Jebsen spricht im Video außerdem davon, dass Angela Merkel eine „Impfpflicht durch die Hintertür“ plane, durch einen sogenannten Immunitätsausweis für geheilte Corona-Patienten (ab Minute 6:00). Eine Behauptung, die mehrfach im Netz kursiert, so auch hier

Als vermeintlicher Beleg wird dabei ein erster „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (PDF) des Bundeskabinetts angegeben. Es geht dabei vor allem um Paragraph 28, der laut dem Entwurf geändert werden solle.

Tatsächlich wurde darin eine Änderung vorgeschlagen, in der es hieß, es könne geprüft werden, ob bei der Anordnung und Durchführung von Schutzmaßnahmen Personen davon ausgenommen werden könnten, die einen „Impfschutz“ oder eine „bestehende Immunität“ nachweisen können. Diese müsse dann durch eine „Impf- oder Immunitätsdokumentation“ oder ein ärztliches Zeugnis nachgewiesen werden (Seite 2 und  Seite 21). 

Der Begriff „Impfpflicht“ oder „Impfzwang“ kommt nicht in dem Gesetzentwurf vor. Auf CORRECTIV-Anfrage beim Bundesgesundheitsministerium, ob der Entwurf eine Impfpflicht vorsehe oder bei Verabschiedung eine Möglichkeit schaffe, eine solche einzuführen, antwortet eine Sprecherin per E-Mail: „Nein.“ 

Auf die Frage, ob die Schutzmaßnahmen, die in Paragraf 28 des Infektionsschutzgesetzes genannt werden, auch Impfungen einschließen könnten und alle, die keine Immunität nachweisen könnten, zwangsgeimpft würden, antwortet die Sprecherin: „Nein. Im Übrigen will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit dem geplanten 2. Bevölkerungsschutzgesetz nicht mehr über einen Immunitätsausweis entscheiden und daher entfallen die §§ 22, 28 IfSG (Immunitätsnachweis).“ 

E-Mail des Bundesgesundheitsministeriums
E-Mail des Bundesgesundheitsministeriums. (Screenshot: CORRECTIV)

Eine Impfpflicht war also laut Bundesgesundheitsministerium nie geplant – und ein angedachter Immunitätsausweis sei jetzt vom Tisch.

Im Gesetzentwurf vom 5. Mai, der aktuell auf der Webseite des Ministeriums verlinkt ist, ist die Änderung von Paragraph 28 tatsächlich nicht mehr zu finden.  

4. Behauptung: Bei Covid-19 habe man es mit einer „relativ harmlosen Grippe“ zu tun

Ab Minute 12:40 seines Videos sagt Ken Jebsen: „Wir haben Glück, dass wir es bei Covid-19 mit einer relativen harmlosen Grippe zu tun haben, die nicht so schlimm ist, wie es immer prophezeit wird.“ Die Krankheit sei „eh nur ein trojanisches Pferd“.

Die Behauptung, das Coronavirus sei wie eine Grippe oder nicht gefährlicher als eine solche, haben bereits in anderen Faktenchecks geprüft. Sie ist irreführend: Es ist richtig, dass beide Virentypen Atemwegserkrankungen auslösen und schnell von Person zu Person übertragbar sind. Abgesehen davon seien SARS-CoV-2 und die saisonalen Grippeviren aber „sehr unterschiedlich“, schreibt das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC)

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) verbreitet sich Influenza wegen ihrer kürzeren Inkubationszeit schneller als Covid-19. Gleichwohl deuteten die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse an, dass es bei Covid-19 mehr schwere Infektionsverläufe gebe als bei einer Influenza-Infektion. 

Hinzu kommt laut WHO, dass es im Gegensatz zu Influenza gegen Covid-19 keine Impfstoffe und kein Behandlungsmittel gibt. Da es ein neuer Virus sei, sei außerdem niemand gegen die Krankheit immun, schreibt das ECDC. Das bedeute: „Theoretisch ist die gesamte menschliche Bevölkerung potenziell für eine Infektion mit Covid-19 anfällig.“

Die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit Covid-19 kann sich laut RKI zu einer schweren Lungenentzündung (bei 2,8 Prozent der Patienten) entwickeln, die zum Tod führen kann. Das Coronavirus mit einer „harmlosen Grippe“ zu vergleichen, greift deshalb zu kurz. 

Update, 12. Mai:

Mehrere Leser haben uns auf ein Youtube-Video des Kanals „Jörg Hensel“ hingewiesen, bei dem es sich offenbar um die Szene handelt, auf die Jebsen in seinem Video anspielte. Ein Polizeibeamte erklärt der betroffenen Frau, dass sie „an Ort und Stelle keine politische Meinung äußern“ dürfe und das durch das Grundgesetz tue, weil es eine „gewisse Message“ verbreite. Unser Faktencheck sowie die Bewertung bleiben unverändert, da die Berliner Polizei uns das Vorgehen bei nicht genehmigten Demonstrationen bereits erklärte.

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