Faktencheck

Die Anzahl der Todesfälle durch das Coronavirus lässt sich nicht mit anderen Todesursachen vergleichen

Auf Instagram wurde ein Bild mit der Aufstellung angeblicher Opferzahlen durch verschiedene Todesursachen im ersten Quartal 2020 veröffentlicht. Die Zahlen basieren jedoch auf Schätzungen und sind teilweise veraltet. Die Statistiken sind nicht vergleichbar.

von Steffen Kutzner

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Dieses Bild mit einer Übersicht von Todeszahlen wurde auf Instagram geteilt. (Screenshot: CORRECTIV)
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Unbelegt. Die Zahlen zu den verschiedenen Todesursachen sind unbelegt und nicht mit denen durch Covid-19 vergleichbar.

Auf Instagram wurde am 17. April vom Account „The Truth Hunters“ ein Bild mit einer Liste geteilt, in der angebliche Opferzahlen durch verschiedene Todesursachen aufgezählt werden. Sie enthält Zahlen zu Malaria, Verkehrsunfällen und Hunger. Auch Zahlen zum Coronavirus sind dort angegeben. Der Zeitraum, aus dem die Zahlen stammen, soll der 1. Januar bis 1. April 2020 sein. 

Als Quelle wird die Webseite „Worldometer“ genannt. Es finden sich für alle in der Liste aufgeführten Todesursachen Zahlen auf der Webseite. Die Aufstellung auf Instagram ähnelt einem im April auf Whatsapp und Facebook geteilten Bild, das ebenfalls die Zahlen verschiedener Todesursachen mit denen von Covid-19 verglich. Wir haben dazu einen Faktencheck veröffentlicht. 

Die Aufstellung der Zahlen zu verschiedenen Todesursachen auf Instagram. (Screenshot: CORRECTIV)

Auf der Webseite „Wordometer“ werden vermeintliche Echtzeitzähler zu unterschiedlichen Themen aufgelistet, etwa zur Weltbevölkerung, verbrauchter und hergestellter Energie, oder Umweltthemen. Die Webseite hat keine Archivfunktion und die Betreiber der Seite haben bis zur Veröffentlichung nicht auf unsere Anfrage geantwortet, deshalb konnten wir nicht überprüfen, ob die angegeben Zahlen tatsächlich am 1. April auf der Webseite zu finden waren. 

Eine Ausnahme bildet die Angabe für die Coronavirus-Todesfälle. Am 1. April waren es laut „Worldometer“ 49.233 Fälle. Als Quelle dafür werden zum Beispiel offizielle Berichte von Regierungen und regionalen Medien genannt. Die WHO gibt abweichend davon für den 1. April 40.598 Tote an. Laut dem auf Instagram geteilten Bild lag die Zahl der Todesfälle durch das Coronavirus am 1. April bei 46.491, also zwischen den offiziellen Zahlen der WHO und denen von „Worldometer“. 

Die Übersicht der Opferzahlen für das Coronavirus auf der Seite „Worldometer“. (Screenshot: CORRECTIV)

In der Auflistung von „The Truth Hunter“ werden Todesursachen miteinander in Beziehung gesetzt, die nichts gemeinsam haben. Die einzigen Virus-Erkrankungen in der Aufstellung neben Covid-19 sind die saisonale Grippe und Aids. Zudem ist das Coronavirus die einzige Todesursache, die neuartig ist und deren Opferzahlen deshalb stark steigen.

Unsere Recherche ergibt zudem: Die Daten zu den anderen Todesursachen sind nicht aktuell. „Worldometer“ legt seine Berechnungsmethode nicht offen, sondern erklärt auf seiner Webseite, die Daten würden aus offiziellen Quellen stammen, aber nicht in Echtzeit erhoben. Sie würden lediglich auf Basis von teilweise mehrere Jahre alten Zahlen geschätzt: „Wir analysieren die verfügbaren Daten, führen statistische Analysen durch und erstellen unseren Algorithmus, der die Echtzeitschätzung liefert.

Auszug aus der FAQ-Seite von „Worldometer“. (Screenshot: CORRECTIV)

Abtreibung

Im Bild werden 10.670.908 Todesfälle durch Abtreibung genannt. Ob damit die abgetriebenen Föten gemeint sind oder die bei einer Abtreibung verstorbenen Schwangeren, ist nicht klar. Als Quellen gibt „Worldometer“ eine Übersichtsseite der WHO an, auf der sich die Information nicht findet und einen nicht funktionierenden Link zur Webseite „Society Of Obstetricians And Gynaecologists Of Canada“, einer kanadischen Vereinigung, die sich um Frauengesundheit und Familienplanung kümmert.

Die WHO gibt an, dass weltweit zwischen 2010 und 2014 pro Jahr durchschnittlich 56 Millionen Abtreibungen durchgeführt wurden. Dabei sterben pro 100.000 Abtreibungen – abhängig von der Region – 30 bis 520 Frauen.

Ausgehend von den Zahlen der WHO lassen sich die im geteilten Bild angegebenen 10,67 Millionen Opfer von Abtreibungen im ersten Quartal 2020 nicht nachvollziehen. Bezieht sich die Zahl auf die durchgeführten Abtreibungen, wären es pro Quartal 14 Millionen, nicht 10,67 Millionen. Und falls sich die Zahl auf die Frauen bezieht, die bei Abtreibungen sterben, müsste sie nach Angaben der WHO zwischen 4.200 und 72.800 pro Quartal liegen. 

Hunger

In der Liste auf dem Instagram-Bild ist zu lesen, dass im ersten Quartal 2020 2,81 Millionen Menschen an Hunger starben. Wir können diese Zahl nicht verifizieren. Es gibt hierzu keine aktuellen Daten. 

„Worldometer“ gibt drei Quellen für die Hungertoten pro Tag und seit Jahresbeginn an: Die Hunger Map des World Food Programme von 2019, auf der jedoch keine Zahlen für Hungertote genannt werden. Eine Übersichtsseite der WHO für den World Health Report 2013, auf der ebenfalls keine Zahlen genannt werden. Und die Seite von UNICEF, die Links zu den jährlichen Berichten zum Status von Unterernährung und Armut bei Kindern bietet. Auch dort werden keine Zahlen zu Hungertoten genannt. 

Wir konnten in den Berichten der Vereinten Nationen, der WHO, der Welthungerhilfe, des FSIN und UNICEF keine aktuellen Zahlen finden. Presseanfragen an die WHO und die Welthungerhilfe wurden mit Verweis auf die Berichte beantwortet. Die Welthungerhilfe und die FAO schrieben uns, es lägen keine aktuellen Zahlen vor. Eine Pressesprecherin der WHO teilte uns mit, man wüsste von keinen jährlichen Berichten, die Angaben zu Hungertoten machten.

Auszug aus der Antwort-E-Mail der WHO auf die Frage, ob Zahlen zu Hungertoten bekannt seien. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Hilfsorganisation Mercy Corps gibt auf ihrer Webseite „mehr als neun Millionen Tote“ pro Jahr durch Hunger an, die Quelle für diese Zahl ist jedoch unklar. Auf das Quartal heruntergerechnet wären das 2,25 Millionen.

Krebs

Krebstote laut Aufstellung der WHO aus dem Jahr 2018. (Screenshot: CORRECTIV)

„Worldometer“ gibt als Grundlage für ihren Schätzwert der Krebs-Todesfälle eine Übersichtsseite der WHO an. Dort findet sich aber lediglich der gerundete Wert von 9,6 Millionen Krebstoten für das Jahr 2018. Das wären 2,39 Millionen pro Quartal. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. 

Für die 2,06 Millionen Todesfälle, die im Bild genannt werden, fanden wir also keine Belege. 

Rauchen

„Worldometer“ gibt als Quelle für die durch das Rauchen verursachten Todesfälle eine Seite der WHO an, auf der jedoch keine jährlichen Opferzahlen genannt werden. Aktuelle Zahlen aus 2020 liegen hierzu nicht vor, deshalb kann die Zahl von 1,25 Millionen, die in dem Instagram-Bild genannt wird, nicht überprüft werden. 

Im Jahr 2016 starben laut dem von der amerikanischen Krebsgesellschaft herausgegebenen ‘Tabakatlas’ weltweit 7,1 Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens. Die WHO spricht auf einer zuletzt im Mai 2020 aktualisierten Webseite von mehr als acht Millionen pro Jahr. Daraus ergeben sich für das Quartal rund 1,78 bis 2 Millionen Tote weltweit. 

Aids

Angeblich sind laut der Aufstellung im ersten Quartal diesen Jahres 422.032 Menschen an Aids gestorben. „Worldometer“ nennt als Quelle das AIDS-Programm der Vereinten Nationen UNAIDS, auf deren Webseite sich die Zahl von 770.000 Todesfällen durch Krankheiten in Verbindung mit Aids im Jahr 2018 finden lässt. Es handelt sich jedoch um eine Schätzung, die Variable wird mit 570.000 bis 1,1 Millionen angegeben.

Screenshot aus dem Aids-Bericht der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2019. (Screenshot: CORRECTIV)

Die im auf Instagram geteilten Bild angegebene Zahl von 422.032 bisher im Jahr 2020 ist nicht nachvollziehbar. 

Verkehrsunfälle

Für die behauptete Zahl von 338.886 Verkehrstoten im ersten Quartal 2020 gibt es keine direkte Quelle. Als Berechnungsgrundlage nennt „Worldometer“ eine Pressemitteilung der WHO aus dem Jahr 2011, in der für das Jahr 2020 1,9 Millionen Tote durch Verkehrsunfälle vorausgesagt wurden.

Dem Global Status Report On Road Safety der WHO aus dem Jahr 2018 zufolge sind in jenem Jahr 1.354.840 Menschen bei Verkehrsunfällen gestorben, Fußgänger und Radfahrer mit eingeschlossen. Heruntergerechnet entspricht das 339.000 Fällen pro Vierteljahr. Die Zahl der Verkehrstoten weltweit steigt seit Jahren.

Suizid

Als Quelle für die Selbstmorde pro Tag und seit Jahresbeginn gibt „Worldometer“ eine Übersichtsseite der WHO zu Suizidraten an, auf der von „close to 800.000 people“ pro Jahr gesprochen wird.

Die aktuellsten Zahlen, die die WHO zu Todesfällen durch Suizid erhoben hat, stammen aus dem Jahr 2016. Die Schätzung geht von 793.000 Suiziden weltweit aus. Auch im von der WHO herausgegebenen Bericht World Health Statistics 2019 wird sich noch darauf bezogen (Seite 31), allerdings sind es hier 800.000 Todesfälle durch Selbstmord. 

Selbst wenn die Zahl auf 2020 übertragbar wäre, wären es etwa 198.000 Fälle pro Quartal. Die im Bild angegebene Zahl von 269.209 ist also mit diesen Daten nicht nachvollziehbar. 

Malaria

Laut der Aufstellung sind im ersten Quartal diesen Jahres angeblich 246.250 Menschen an Malaria gestorben. Diese Zahl ist unbelegt. „Worldometer“ verweist als Quelle für die Zahl pro Tag und seit Jahresbeginn auf eine Übersichtsseite der WHO, auf der die Zahlen für Malaria-Tote jedoch nicht genannt werden.

Der World Malaria Report 2019 der WHO gibt für das Jahr 2018 weltweit schätzungsweise 405.000 Gestorbene an. Aktuellere Zahlen gibt es bisher nicht. Heruntergerechnet auf ein Quartal ergibt sich damit eine ungefähre Zahl von 101.000 Toten. 

Verunreinigtes Trinkwasser

Zu dieser Todesursache gibt es auf „Worldometer“ keine Angabe. Es ist jedoch denkbar, dass damit die Todesfälle durch Krankheiten gemeint sind, die mit Wasser in Verbindung stehen. Dass damit jedoch verunreinigtes Trinkwasser gemeint ist, wird auf „Worldometer“ nicht gesagt. Laut des geteilten Bildes lag die Zahl am 1. April bei 211.416 und laut „Worldometer“ am 27. Mai bei etwa 340.000.

Screenshot der Daten, die „Worldometer“ für Wasser zur Verfügung stellt. (Screenshot: CORRECTIV)

Als Quellen werden auf „Worldometer“ zwei Webseiten der WHO zum Thema Wasser genannt, auf denen erklärt wird, dass verunreinigtes Wasser Krankheiten wie Cholera, Diarrhö, Ruhr, Hepatitis A, Typhus und Polio auslösen kann. Im World Water Development Report 2020 der Vereinten Nationen heißt es, dass verunreinigtes Wasser und mangelnde Hygienebedingungen vorsichtig geschätzt jährlich knapp zwei Millionen Leben kosten (Seite 71). 

Die Quelle dafür ist ein WHO-Bericht, der schon aus dem Jahr 2008 stammt. Die Zahl von zwei Millionen verstorbenen Menschen ist dort allerdings nicht zu finden. Zu den 211.416 Toten durch verunreinigtes Trinkwasser in der geteilten Aufstellung gibt es keine Quelle. Die Angabe auf „Worldometer“ bezieht sich auf Todesfälle durch Krankheiten, die mit Wasser in Zusammenhang stehen, nicht explizit auf verunreinigtes Wasser. Die verlinkte Quelle schließt zudem mangelnde Hygienebedingungen mit ein. 

Saisonale Grippe

Die Angabe der im Bild genannten 122.062 Toten durch die saisonale Grippe seit Anfang 2020 ist nicht nachvollziehbar. „Worldometer“ gibt als Quelle für die Schätzung eine Pressemitteilung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC aus dem Jahr 2017 und eine Pressemitteilung der WHO aus demselben Jahr an.

Die WHO schätzt laut einer Übersichtsseite aus dem Jahr 2018 weltweit 290.000 bis 650.000 Grippetote pro Jahr. Auch die Johns-Hopkins-Universität geht von schätzungsweise 291.000 bis 646.000 Todesfällen pro Jahr aus. Die beiden Pressemitteilungen, auf die sich „Worldometer“ bezieht, nennen dieselben Zahlen. 

 

Fazit

Die Zahlen der auf Instagram verbreiteten Aufstellung sind unbelegt. Wir fanden, bis auf den Zahlen zu Covid-19, keine Quellen mit aktuellen Daten, anhand derer wir die Werte von „Worldometer“ nachvollziehen könnten. 

Darüber hinaus gibt es zwei Probleme mit der Grafik.

Zum einen überschneiden sich die Zahlen der Aufstellung teilweise: So wird etwa eine Zahl für Krebstote angegeben und auch eine Zahl für Tote durch Rauchen. Raucher sterben aber zumindest zum Teil an Krebs. Das Deutsche Krebsforschungszentrum geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle auf das Rauchen zurückzuführen seien. 

Zum anderen werden in der Übersicht Zahlen nebeneinander gestellt, die teilweise geographische Schwerpunkte haben. Von den 405.000 offiziellen Malaria-Toten des Jahres 2018 sind zum Beispiel sind 380.000 in Afrika gestorben. Ähnliches gilt für Hunger: Im April 2020 veröffentlichte das Global Network Against Food Crises einen Report. Dieser verortet mehr als die Hälfte der von Hunger betroffenen Menschen in Afrika.

Grafik aus dem Global Report On Food Crises 2020. (Screenshot: CORRECTIV)

In der Aufstellung der Todeszahlen werden also Todesursachen, die vor allem die afrikanischen Länder betreffen, neben Todesursachen gestellt, welche die ganze Welt betreffen. 

Die Vergleiche der Zahlen führen insgesamt in die Irre. Dass mehr Menschen zum Beispiel bei Verkehrsunfällen sterben, bedeutet nicht, dass das Coronavirus ungefährlich ist.

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