Faktencheck

Keine Belege für „tausende falsch ausgestellte Totenscheine“ zu Covid-19

In einem Blog-Artikel wird behauptet, Ärzte würden Todesbescheinigungen fälschen und Covid-19 eintragen, obwohl die Krankheit nicht die Todesursache sei. Als Beleg dafür wird eine Untersuchung der irischen Wissenschaftlerin Dolores Cahill genannt, die jedoch mutmaßlich nicht existiert. Zudem würden Ärzte in Deutschland, anders als behauptet, nicht von einer solchen Täuschung profitieren.

von Sarah Thust

Symbolbild von Ärzten im Krankenhaus
In einem Facebook-Beitrag wird fälschlicherweise behauptet, dass Ärzte dafür bezahlt werden würden, wenn Sie Covid-19 im Totenschein eintragen. (Symbolbild: picture alliance / Zoonar / Vichaya Kiatying-Angsulee)
Behauptung
Ärzte auf der ganzen Welt würden tausende Totenscheine „fälschen“ und Covid-19 als Todesursache eintragen, weil sie oder andere davon profitieren.
Bewertung
Unbelegt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Ärzte in großer Zahl Todesbescheinigungen fälschen. In Deutschland profitieren sie finanziell nicht davon, eine falsche Todesursache einzutragen.

Auf der Internetseite Laufpass behauptet ein Autor, Ärzte würden „Totenscheine“ fälschen und darauf Covid-19 eintragen und zwar „offenbar in großer Zahl in der ganzen Welt“. Demnach profitierten Kliniken, Ärzte und Verantwortliche in den Gemeinden, Ländern und im Bund angeblich von der „postmortalen Diagnose“ Covid-19. Als Beleg wird eine Untersuchung von Dolores Cahill vom University College Dublin in Irland genannt. Diese habe ergeben, dass nur bei 92 von 1.500 „Covid-Toten“ tatsächlich Covid-19 als Todesursache vorlag.

Der Laufpass-Artikel erschien am 29. Januar und wurde laut dem Analysetool Crowdtangle mehr als 14.000 Mal auf Facebook geteilt (Stand: 11. Februar). Zudem wurde er Hunderttausende Mal im Telegram-Kanal „Eva Herman Offiziell“ angesehen und wurde am 9. Februar ebenfalls auf der Webseite Rubikon veröffentlicht. 

Die als Beleg genannte Untersuchung von Cahill konnten wir bei unseren Recherchen nicht finden. Es gibt auch darüber hinaus keine Hinweise, dass „tausende Ärzte“ fälschlicherweise Covid-19 als Todesursache in Totenscheine eingetragen hätten – weder in Deutschland noch in anderen Ländern.

In einem Facebook-Beitrag wird fälschlicherweise behauptet, dass Ärzte dafür bezahlt werden würden, wenn Sie Covid-19 im Totenschein eintragen.
In einem Facebook-Beitrag wird fälschlicherweise behauptet, dass Ärzte dafür bezahlt werden würden, wenn Sie Covid-19 im Totenschein eintragen. (Quelle: Facebook / Screenshot vom 4. Februar 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Verfasst hat den Text in dem Blog Laufpass ein Autor namens Wolfgang Jeschke. Laut Impressum ist er Geschäftsführer einer Werbeagentur in Hagen im Bremischen im Landkreis Cuxhaven namens „Jeschke. Gesellschaft für Kommunikation mbH“. Eine solche Firma ist laut Handelsregister in Bremerhaven angemeldet. Auf Google Maps ist sie dort auch eingetragen – eine Webseite hat das Unternehmen allerdings nicht.

Dolores Cahill äußert im Video eine Falschbehauptung, die sich seit Anfang des Jahres verbreitet

Wir haben uns die zentrale Quelle im Text von Laufpass angesehen: In dem Bericht ist ein Video-Live-Stream für eine Sitzung der „Stiftung Corona Ausschuss“ verlinkt. Darin befragt Rechtsanwalt Reiner Fuellmich Dolores Cahill (ab Minute 35:41). Fuellmich verbreitet immer wieder falsche und irreführende Behauptungen zur Corona-Pandemie.

Cahill ist laut der Webseite des University College Dublin Medizinerin und Expertin für die Entwicklung von Proteomic-Technologie. Das College hat sich laut eines Berichts der Irish Times jedoch bereits 2020 von ihren Aussagen zum Coronavirus distanziert. 

In dem Video spricht sie zwar von einem Netzwerk „forensischer Labore“ überall in der Welt (ab Minute 50:44) und davon, dass es das Virus SARS-CoV-2 nicht mehr geben würde, die Welt habe Immunität erreicht (ab Minute 51:54), aber sie spricht nicht explizit über Todesbescheinigungen. Cahill erzählt vielmehr (ab Minute 52 im Video) von einer angeblichen Untersuchung von 1.500 positiven PCR-Testproben [positiv auf SARS-CoV-2, Anm. d. Red.]. Sie seien sequenziert worden und hätten sich alle als Grippeviren Influenza A und B herausgestellt. Sie sagt jedoch nicht, dass sie diese Untersuchung selbst durchgeführt habe – die Ergebnisse dieser Auswertung seien „berichtet, aber nicht veröffentlicht“ worden. 

Cahills Behauptung erinnert stark an eine Falschinformation, die wir bereits im Januar überprüft haben: Damals wurde in einer Art Kettenbrief in Sozialen Netzwerken behauptet, der US-amerikanische Wissenschaftler Robert Oswald habe exakt eine solche Untersuchung durchgeführt. Oswald dementierte jedoch.   

Journalisten von AFP und dem irischen Medium The Journal haben diese und andere Aussagen von Cahill zur Corona-Pandemie zudem bereits inhaltlich nachrecherchiert und kommen zu dem Schluss, dass sie irreführend seien. 

Dolores Cahill antwortet auf Fragen von Reiner Fuellmich.
Dolores Cahill antwortet auf Fragen von Reiner Fuellmich. (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Behauptung, dass Ärzte von der Todesursache Covid-19 profitieren würden, baut Laufpass hauptsächlich auf dieser angeblichen Untersuchung von Cahill auf. Im Text steht: „Profesor (sic) Dolores Cahill, Professorin an der Universität Dublin, untersuchte 1.500 Fälle, bei denen in den Totenscheinen als Todesursache Covid-19 angeben wurde. Sie ließ sich die Patientendaten zur Prüfung geben und stellte fest, dass von den 1.500 angeblichen ‘Covid-Toten’ nur 92 Personen möglicherweise ausschließlich Covid-19 als Todesursache aufwiesen. Die anderen Verstorbenen hatten nachweislich andere Todesursachen.“

Das hat Cahill in dem verlinkten Video aber nicht gesagt. Auch bei einer Google-Suche finden sich dazu keine Treffer. Wir haben Cahill kontaktiert und gefragt, ob sie eine solche Aussage je getroffen hat. Bisher haben wir darauf jedoch keine inhaltliche Antwort erhalten (Stand: 11. Februar 2021). 

Es gibt keine Hinweise darauf, dass Ärzte Totenscheine absichtlich falsch ausstellen 

In dem Text von Laufpass heißt es also ohne Belege, dass Ärzte „Totenscheine falsch ausgestellt haben, indem sie (z.T. auf Druck der Behörden oder auf Vorgaben der Regierungen – wie z.B. in Belgien) die falsche Todesart eingetragen haben“. Es wird zudem behauptet, die Ärzte würden davon „profitieren“.

In Bezug auf Belgien berichteten die Faktenchecker der Nachrichtenagentur AFP jedoch bereits, dass Ärzte dort keine Prämie für einen Covid-19-Todesfall erhalten. 

Wir haben die Behauptung zudem mit Bezug auf Deutschland geprüft und ebenfalls keine Belege dafür gefunden. 

Deutsche Gesellschaft für Pathologie: Bei 86 Prozent der untersuchten Patienten war Covid-19 die wesentliche oder alleinige Todesursache

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie und die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie haben Ende August eine Auswertung von 154 klinischen Obduktionen an 68 pathologischen Instituten veröffentlicht. Demnach sei bei 86 Prozent der untersuchten Patienten in Deutschland Covid-19 die wesentliche oder alleinige Todesursache gewesen. 

Das bestätigte uns auch der Leiter der Kommission Obduktion der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, Johannes Friemann, per E-Mail. Eine Aktualisierung der Daten vom August 2020 liege noch nicht vor. „Über einen finanziellen oder sonstigen Anreiz, Covid-19 als (Haupt-)Todesursache anzuführen, ist uns nichts bekannt“, schrieb Friemann. 

Für Ärzte in Deutschland kann ein Fehler beim Ausfüllen der Todesbescheinigung zudem strafrechtliche Konsequenzen haben, wie das Ärzteblatt berichtet

Kurz erklärt: Leichenschau, Todesbescheinigung und Todesursache in Deutschland

Es hilft zunächst, wenn man versteht, wie eine Leichenschau abläuft. Verstirbt ein Patient, muss ein Arzt die ärztliche Leichenschau durchführen. Dabei beurteilt er anhand äußerer Zeichen, wann und woran die Person gestorben ist. Und er überprüft die Identität des Verstorbenen. Anders als bei einer Obduktion, die von Pathologen oder Rechtsmedizinern durchgeführt wird, wird die Leiche dabei nicht geöffnet. Nach der ärztlichen Leichenschau stellt der Arzt den Tod des Verstorbenen fest und dokumentiert alle wichtigen Informationen in einer Bescheinigung. 

Wie so eine Bescheinigung aussieht, zeigt eine Vorlage zur Leichenschau der Bayerischen Landesärztekammer. Eine Seite der Todesbescheinigung wird demnach an das Standesamt übermittelt. Angegeben werden darin vorrangig die Umstände des Todes also Zeitpunkt, Ort und Todesart (natürlich / ungeklärt / nicht natürlich). Die Todesursache wird nicht abgefragt. 

Die zweite Seite wird an das Gesundheitsamt verschickt. Dort lassen sich fünf Todesursachen eintragen: die unmittelbar zum Tode führende Krankheit, zwei vorangegangene Ursachen und zwei weitere Krankheiten. Dieselben Optionen würden übrigens auch in einem Obduktionsschein zur Auswahl stehen, der an das Gesundheitsamt und das Statistische Landesamt geschickt wird (Seite 6 und 7).

Ausschnitt einer Todesbescheinigung für das zuständige Gesundheitsamt in Bayern
Ausschnitt einer Todesbescheinigung für das zuständige Gesundheitsamt in Bayern (Quelle: Bayerische Landesärztekammer / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ärzte erhielten 2020 keine zusätzliche Vergütung, wenn sie Covid-19 als Todesursache eintragen

In den Sozialen Netzwerken hält sich das Gerücht, dass Ärzte oder Kliniken in irgendeiner Form davon profitieren würden, wenn sie Covid-19 als (hauptsächliche) Todesursache eintragen. Dass das falsch ist und Ärzte dafür keine zusätzliche Vergütung erhielten, haben wir bereits im September 2020 berichtet.

Ein Sprecher des Bundesministeriums für Gesundheit schrieb uns damals: „Eine wie auch immer geartete ‘Prämie’ für die Diagnose bzw. die Todesfeststellung Covid-19 gibt es weder seitens des Bundes noch seitens der GKV [Gesetzlichen Krankenversicherung, Anm. d. Red.].“ 

Auch der Pressesprecher der Bundesärztekammer teilte uns mit: „Die Vergütung der Leichenschau richtet sich nach der Gebührenordnung für Ärzte und ist selbstverständlich nicht an bestimmte Todesursachen gebunden.“ 

Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) regelt die Abrechnung privatärztlicher Leistungen. Darüber lassen sich unter anderem „aufwändige Hygienemaßnahmen“ abrechnen, jedoch nicht unbedingt bei der Leichenschau. Lediglich ein erhöhter (Zeit-)Aufwand bei besonderen Todesumständen ist demnach eventuell berechnungsfähig (Abschnitt 8).

Krankenhäuser rechnen Fallpauschalen für Diagnosen ab

In Krankenhäusern erfolge die Abrechnung von Behandlungen nach dem Fallpauschalensystem, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Webseite. Die Todesursache spielt für die Berechnung aber keine Rolle. Denn: Wie viel Geld ein Krankenhaus für eine Leistung erhalte, werde „insbesondere durch die Diagnose, den Schweregrad der Krankheit sowie die erbrachten Leistungen des Arztes bestimmt“. Das geht auch aus dem Abschlussbericht zur Weiterentwicklung des Fallpauschalen-Systems für 2021 hervor (Seite 5).

Für das pauschalierende Vergütungssystem in Deutschland ist die Inek-GmbH zuständig. Eine Sprecherin der Inek schrieb uns im Januar per E-Mail: Welche Vergütung Krankenhäuser für Fälle mit Covid-19 erhalten, könne nicht pauschal beantwortet werden, da es bei der Berechnung immer auf den konkreten Fall ankomme. 

Auch im Ausland keine Hinweise auf gefälschte Totenscheine

Auch in anderen Ländern fanden wir keine Hinweise darauf, dass Totenscheine gefälscht werden. Google-Suchen nach den Begriffen „Fake death certificates covid“ oder „falsche Todesbescheinigung Covid“ führen zu mehreren Faktenchecks US-amerikanischer Redaktionen, die ähnliche Behauptungen widerlegen. 

Aus der Tatsache, dass viele der Menschen, die an Covid-19 sterben, zusätzlich Vorerkrankungen hatten, wurde in der Vergangenheit bereits häufiger abgeleitet, Covid-19 sei nicht die Todesursache gewesen. Dafür gibt es jedoch keine Belege, wie wir beispielsweise in einem Faktencheck im September 2020 recherchiert hatten. 

Fazit

Laufpass zitiert eine Quelle falsch und konstruiert daraus eine unbelegte Behauptung. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Ärzte absichtlich Covid-19 statt der eigentlichen Erkrankung in Totenscheine eintragen. 

Die Behauptung, dass Ärzte von einer falschen „postmortem Diagnose“ profitieren würden, ist zudem falsch. Ärzte erhalten keine zusätzliche Bezahlung, wenn sie Covid-19 im Totenschein eintragen. Bei der Vergütung von Ärzten oder Krankenhäusern spielt die im Totenschein eingetragene Todesursache keine Rolle; es zählen neben der Diagnose (Schwere der Krankheit) lediglich der Zeitaufwand der Behandlung, das Alter des Patienten oder die Verweildauer auf einer Station.

Redigatur: Alice Echtermann, Uschi Jonas

Update, 12. Februar: Wir haben im Text ergänzt, dass der Artikel von Laufpass etwas später auch bei Rubikon erschienen ist. 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: 

  • Pressemitteilung der Deutsche Gesellschaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie „Klinische Obduktion bei Covid-19-Erkrankung“ vom 20. August 2020: Link
  • Regeln zur Durchführung der ärztlichen Leichenschau, Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin: Link
  • Vorlage Todesbescheinigung Freistaat Bayern: Link
  • Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte: Link
  • Hinweise zur Krankenhausfinanzierung vom Bundesgesundheitsministerium: Link
  • Abschlussbericht zur Weiterentwicklung des DRG-Systems (Fallpauschalen) für 2021: Link