Faktencheck

Israel: Nein, ein Bericht des Israeli People’s Committee belegt keine erhöhte Sterblichkeit durch Covid-19-Impfungen

Es stimmt nicht, dass „führende Gesundheitsexperten“ in Israel nachgewiesen hätten, dass Corona-Impfungen zu einem Anstieg der Sterblichkeit führten. Daten zeigen: Es ist eher das Gegenteil der Fall. Die Sterblichkeit stieg parallel zu steigenden Corona-Fallzahlen und sank nach Einführung der Impfungen. 

von Alice Echtermann

Pfizer coronavirus vaccine
In Israel werden Menschen seit Mitte Dezember 2020 gegen das Coronavirus geimpft (Symbolbild: Picture Alliance / Empics / PA)
Behauptung
Ein Bericht „führender Gesundheitsexperten“ aus Israel zeige, dass noch nie ein Impfstoff so viele Menschen „geschädigt“ habe wie der Covid-19-Impfstoff. Die Sterblichkeit in Israel sei im Zusammenhang mit den Impfungen stark gestiegen.
Bewertung
Falsch. Der Bericht belegt keinen solchen Zusammenhang. Es handelt sich um eine Sammlung unbestätigter Meldungen. Die Übersterblichkeit in Israel Anfang des Jahres 2021 korreliert mit einem starken Anstieg der Corona-Fallzahlen. 

In den Blogs Reitschuster, TKP und auf der Webseite Epoch Times wird ein Bericht einer Organisation namens Israeli People’s Committee (IPC) zitiert. Er soll angeblich einen Anstieg der Sterblichkeit durch die Covid-19-Impfungen in Israel belegen. In allen Berichten wird das IPC als „Gremium aus führenden israelischen Gesundheitsexperten“ bezeichnet. Die Artikel wurden laut dem Analysetool Crowdtangle insgesamt mehr als 13.000 Mal auf Facebook geteilt.  

Die Berichte suggerieren nach unseren Recherchen falsche kausale Zusammenhänge.

Das IPC hat zwar tatsächlich Meldungen über angebliche Nebenwirkungen und Todesfälle nach Covid-19-Impfungen in Israel gesammelt und einen Bericht dazu veröffentlicht. Die Bezeichnung „Gremium von führenden Gesundheitsexperten“ ist jedoch irreführend. Die Verantwortlichen sind laut der Webseite ein Psychiater, drei Rechtsanwältinnen, eine Familienärztin, eine Finanzwissenschaftlerin, zwei Kriminologen und ein Medizinstudent. Lediglich eine Person habe einen Master of Public Health in Biologie und Epidemiologie. Sowohl die Webseite als auch die Facebook-Seite des IPC wurden nach unseren Recherchen im März 2021 neu gegründet. 

Die Fälle, über die das IPC berichtet, sind zudem nicht verifiziert; ein Zusammenhang mit Impfungen ist nicht belegt. Es gibt keine Belege für einen Zusammenhang zwischen Covid-19-Impfungen und einem Anstieg der Sterblichkeit in Israel. Vielmehr korreliert die erhöhte Sterblichkeit dort mit der Corona-Welle seit Mitte Dezember. 

Die israelischen Faktenchecker von The Whistle haben bereits einen ausführlichen Faktencheck zu dem IPC-Bericht verfasst. Insgesamt stimmen sie zwar der Kritik zu, dass die Daten des Gesundheitsministeriums nicht transparent genug seien – doch die Behauptungen des IPC seien mit großer Vorsicht zu betrachten und hätten zahlreiche Lücken. 

Bericht des Israeli People’s Committee belegt keinen Zusammenhang zwischen Todesfällen und Impfungen

Auf der Webseite des IPC findet sich ein Bericht über Todesfälle und Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen. Er wurde in mehrere Sprachen übersetzt. In der englischen Zusammenfassung von April 2021 heißt es, die Organisation habe 288 Berichte über Todesfälle in zeitlicher Nähe zur Impfung gesammelt. Das seien wesentlich mehr als die 45, die das israelische Gesundheitsministerium offiziell nenne. 

Ob die Fälle, die das IPC gesammelt hat, echt sind, lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Sie umfassen mit Stand 25. April etwas mehr als 300 Todesfälle und alle möglichen Krankheiten, von Schlaganfällen und Herzinfarkten über Tinnitus und hohen Blutzucker bis hin zu bakteriellen Infektionen oder Aids. Fest steht, dass ein Zusammenhang zur Impfung bei all diesen Meldungen nicht belegt ist. Das schrieb das IPC sogar selbst auf seiner Facebook-Seite. Todesfälle oder andere Ereignisse können nach Impfungen auch zufällig auftreten, ohne durch den Impfstoff verursacht zu sein. Aids ist nachweislich eine Krankheit, die durch HI-Viren (HIV) ausgelöst wird. 

Das IPC verweist in seinem Bericht zum Beispiel auch auf die US-Datenbank VAERS (Vaccine Adverse Event Reporting System) als angeblichen Beleg, dass noch nie so viele Menschen durch Impfungen „geschädigt“ worden seien. In der Datenbank werden unerwünschte Ereignisse nach Impfungen dokumentiert. Wie wir jedoch bereits in Faktenchecks erklärt haben, handelt es sich dabei um nicht-verifizierte Meldungen von Verdachtsfällen, nicht um bestätigte Nebenwirkungen.

Während die Corona-Fallzahlen stiegen, erhöhte sich auch die Sterblichkeit in Israel

Eines der Hauptargumente im Bericht des IPC ist, dass es von Januar bis Februar 2021, „mitten in der Impfkampagne“, einen Anstieg der Gesamtsterblichkeit in Israel um 22 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben habe. Es gebe eine „starke Korrelation“ zwischen der Zahl der Impfungen und der Zahl der Todesfälle pro Tag. 

Diese Behauptungen werden in den Artikeln bei Reitschuster und Epoch Times fast wörtlich wiedergegeben. Im Artikel von TKP wird behauptet: „Die Impfkampagne in Israel hatte nicht nur zu steigenden Covid-Todesfällen geführt, sondern auch zu einer klaren Übersterblichkeit sowohl in der Altersgruppe über 65 als auch in der Kohorte zwischen 45 und 64 Jahren.“ 

Das stimmt nicht. Es gibt keine Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und Übersterblichkeit. 

Laut den israelischen Faktencheckern von The Whistle sind die vom IPC genannten Zahlen zwar fast korrekt – insgesamt habe es im Januar und Februar 2021 nach Berechnungen von The Whistle einen Anstieg der Sterbefälle um 17,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Der Anstieg der Todesfälle sei jedoch auf Covid-19 zurückzuführen gewesen.  

Impfschutz setzt erst nach zwei Wochen ein 

Die Impfungen begannen in Israel am 19. Dezember 2020 mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer. Die Corona-Fallzahlen und Todesfälle sind dennoch seit Mitte Dezember 2020 stark gestiegen. Der Grund ist, dass die Impfungen noch nicht sofort wirksam gegen SARS-CoV-2 schützen.

In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Immunologie von Anfang Januar 2021 hieß es zum Biontech-Impfstoff: „Der Impfschutz beginnt frühestens 14 Tage nach der ersten Impfung und die hohe Effizienz von 94 Prozent bzw. 95 Prozent wurde erst ab Tag 7 bzw. 14 nach der zweiten Impfung dokumentiert.“ Weil der Impfschutz erst etwa zwei Wochen nach der ersten Dosis zu wirken beginnt, hätten die Impfungen den Anstieg der Corona-Fälle im Dezember in Israel nicht verhindern können.

Phasen der Übersterblichkeit korrelieren mit Corona-Todesfällen

Im Blog TKP wird als Quelle für die Übersterblichkeit in Israel auf das Portal Euromomo verwiesen. Dort wird die Mortalität in europäischen Ländern, aber auch in Israel, auf wöchentlicher Basis dokumentiert. Todesursachen werden dort nicht dargestellt; man sieht lediglich, wann es zu Perioden der „Übersterblichkeit“ kam, wann also mehr Menschen starben als normalerweise zu erwarten wäre. 

In Israel gab es zwei große Corona-Wellen: eine im September und Oktober 2020, als noch nicht geimpft wurde, und eine zweite von Mitte Dezember bis Mitte Januar 2021. Parallel zu beiden Corona-Wellen stieg die Sterblichkeit in Israel an. 

Die Mortalitäts-Kurve auf Euromomo für Israel zeigt ab der 52. Kalenderwoche 2020 (der Woche um Weihnachten) einen Anstieg der Gesamtmortalität. Dieser passt zeitlich zum Anstieg der Covid-19-Todesfälle während der zweiten Welle. Einen ganz ähnlichen Anstieg der Sterblichkeit gab es aber auch während der ersten Corona-Welle im September und Oktober 2020 – ohne Impfungen. Die Impfungen begannen wie bereits erwähnt am 19. Dezember.

Ab der 4. Kalenderwoche 2021 sank die Sterblichkeit in Israel wieder (25. bis 31. Januar). Auch das passt zur Entwicklung der Covid-Fälle. Der Höhepunkt der Corona-Todesfälle während der zweiten Welle in Israel lag laut WHO-Dashboard in genau dieser Woche – am 26. Januar 2021. 

Euromomo: Mortalität in Israel
Gesamtmortalität in Israel seit Anfang 2020. Der rote Pfeil zeigt auf die 41. Kalenderwoche 2020 (5.-11. Oktober), der grüne Pfeil auf die 4. Kalenderwoche 2021 (25.-31. Januar). (Quelle: Euromomo / Screenshot am 10. Mai 2021: CORRECTIV.Faktencheck)
WHO: Corona-Fälle in Israel
Wöchentlich neu gemeldete bestätigte Corona-Fälle und -Todesfälle in Israel seit März 2020. Der rote Pfeil zeigt auf die 41. Kalenderwoche 2020 – der grüne Pfeil auf die 4. Kalenderwoche 2021. (Quelle: WHO / Screenshot am 10. Mai 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Sterblichkeit ging noch während der Impfkampagne in Israel zurück 

In dem offiziellen Corona-Dashboard Israels kann man sehen, dass der Höhepunkt der täglich verimpften Dosen Mitte Januar 2021 erreicht war. Aber auch bis Mitte Februar wurde noch sehr viel geimpft. Inzwischen sind mehr als 50 Prozent der Menschen in Israel vollständig geimpft – mehr als fünf Millionen Menschen. 

Israel Corona-Dashboard: Impfungen
Pro Tag verabreichte Impfdosen in Israel, die Grafik aus dem Dashboard haben wir automatisch übersetzt aus dem Hebräischen mit Google Translate (Screenshot am 10. Mai 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Es lässt sich kein Zusammenhang der Sterblichkeit zur Impfkampagne ablesen. Wie bereits erwähnt, ging laut Euromomo die Sterblichkeit ab der 4. Kalenderwoche (25. bis 31. Januar) zurück – noch während der Impfkampagne. 

Euromomo: Mortalität in Israel seit November 2020
Die Mortalität in Euromomo von der 46. Kalenderwoche 2020 (ab 9. November) bis heute. Seit der 4. Kalenderwoche 2021 (ab 25. Januar) sinkt die Kurve. (Screenshot am 10. Mai 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Es gibt also keinen Beleg dafür, dass die Übersterblichkeit in Israel Anfang des Jahres etwas mit den Impfungen zu tun hatte. Vielmehr ist es plausibel, dass die Menschen an Covid-19 starben. Auf diesen Zusammenhang weisen auch die israelischen Faktenchecker von The Whistle hin. 

Studie zeigt Effektivität der Impfungen in Israel

Wissenschaftlichen Analysen zufolge ist das Absinken der Fallzahlen und Todesfälle auf die Impfungen zurückzuführen. Am 5. Februar 2021 berichtete das Wissenschaftsmagazin Nature, die Daten würden einen Rückgang der Fallzahlen durch die Impfungen zeigen. Das israelische Gesundheitsministerium habe etwa eine halbe Million Covid-19-Infektionen untersucht. 90 Prozent der Über-60-Jährigen in Israel hätten bereits ihre erste Impfdosis erhalten, und die Infektionen in dieser Altersgruppe seien um 41 Prozent zurückgegangen. In der jüngeren Altersgruppe, von der bis zum 5. Februar nur 30 Prozent geimpft worden seien, sanken die Fallzahlen dagegen nur um 12 Prozent.

Eine am 24. Februar veröffentlichte Studie im New England Journal of Medicine verglich zudem Daten von rund 600.000 frisch geimpften Israelis mit einer ungeimpften Kontrollgruppe vom 20. Dezember bis 1. Februar. Es zeigte sich, dass zwei Dosen der Impfung die symptomatischen Covid-19-Fälle um 94 Prozent reduzierten, die Rate der Krankenhausaufenthalte sank um 87 Prozent, und die Anzahl schwerer Covid-19-Fälle fiel um 92 Prozent. Die geschätzte Effektivität, Todesfälle zu verhindern, lag der Studie zufolge bei 72 Prozent im Zeitraum zwischen 14 und 20 Tagen nach der ersten Impfdosis. Von Tag 21 bis 27 lag die Effektivität bei 84 Prozent.

Die Grafik aus der Studie im „New England Journal of Medicine“ zeigt die kumulative Inzidenz der verschiedenen Endpunkte (zum Beispiel Hospitalisierung und Tod) ab dem Tag der ersten Impfdosis und vergleicht sie mit der ungeimpften Kontrollgruppe (blaue Linien) in Israel (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Wer sind die Mitglieder des Israeli People’s Committee? 

Als wir am 7. Mai auf der Webseite des Israeli People’s Committee nachschauten (hier archiviert), waren dort zehn Personen als Beteiligte vermerkt:

  • ein Psychiater (Pinki Feinstein)
  • drei Rechtsanwältinnen (Irit Yankovich, Rotem Brown und Itai Yaffa)
  • zwei Kriminologen (Etty Elisha und Nati Ron’el)
  • eine Familienärztin (Galit Tzefler Naor)
  • eine Frau mit einem Master of Public Health in Biologie und Epidemiologie (Ella Naveh)
  • eine „Leiterin der Abteilung für Rechnungswesen“ der Universität Tel Aviv (Etty Einhorn)
  • ein Medizinstudent (Eithan Marshand) 

Zu einigen Personen fanden wir mit der Schreibweise der Namen auf der Webseite keine Informationen. Für „Etty Einhorn“ beispielsweise findet man nichts, aber für „Eti Einhorn“ gibt es Belege, dass sie in Tel Aviv Finanzwissenschaftlerin ist. 

Eine Person namens „Nati Ron’el“  konnten wir ebenfalls unter diesem Namen nicht finden. Es gibt aber einen klinischen Kriminologen und Autor namens Natti Ronel, der als Professor mit dem Schwerpunkt Kriminologie an einer Universität in Israel genannt wird. 

Der Psychiater Pinki Feinstein ist aktiv auf Facebook, seine Webseite (hier archiviert) und sein Twitter-Account sind jedoch schon seit Jahren inaktiv.

Am 10. Mai waren dann nur noch sechs Personen auf der Webseite des IPC aufgelistet: Feinstein und Einhorn, zwei der Rechtsanwältinnen (Yankovich und Brown), die Familienärztin Galit Tzefler Naor und Ella Naveh (Master of Public Health). 

Dafür, dass die Mitglieder des IPC „führende Gesundheitsexperten“ in Israel sind, fanden wir keine Belege. Laut der Facebook-Seite des IPC veranstaltet die Initiative Aktionen gegen die Corona-Maßnahmen und verteilt Flyer

Redigatur: Steffen Kutzner, Sarah Thust

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Euromomo-Portal: Link 
  • Faktencheck von The Whistle: Link (Hebräisch)
  • Artikel von Nature über sinkende Fallzahlen durch Impfungen in Israel: Link (Englisch)
  • Covid-Dashboard der WHO zu Israel: Link (Englisch)
  • Offizielles Corona-Dashboard aus Israel: Link (Hebräisch)
  • Studie im New England Journal of Medicine: „BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine in a Nationwide Mass Vaccination Setting“: Link (Englisch)