„RT Deutsch“ lässt Kontext aus – Indien stellt Existenz von Corona-Mutante B.1.617 nicht infrage
Im Netz kursieren derzeit Behauptungen, nach denen es die gefährliche Corona-Mutante B.1.617, die ihren Ursprung in Indien hat, nicht gebe. Auch in einem Facebook-Beitrag von „RT Deutsch“ wird das so suggeriert. Es fehlt zentraler Kontext.
Update, 4. Juni 2021: Nach Veröffentlichung unseres Faktenchecks hat RT Deutsch den Beitrags-Text in dem Facebook-Beitrag angepasst und folgenden Kontext ergänzt: „[ERGÄNZUNG: Durch den ursprünglichen Post konnte der Eindruck entstehen, die indische Regierung hätte behauptet, dass es die Corona-Variante B.1.617 gar nicht gebe. Dessen Existenz hat die indische Regierung in entsprechenden Pressemitteilungen auch nicht bestritten, sondern sich lediglich gegen den Terminus ‘indische Variante’ verwahrt.“
In Sozialen Netzwerken kursieren seit einigen Tagen mehrere Behauptungen zur Corona-Mutante B.1.617. So wurde etwa kürzlich anhand einer Mitteilung des indischen Ministeriums für Elektronik und Informationstechnologie behauptet, das Land habe verkündet, dass es die Mutante nicht gebe. Die Mitteilung wurde jedoch in einen falschen Kontext gesetzt, wie wir für einen Faktencheck recherchierten.
Das Ministerium hat in der Mitteilung zwar „alle Sozialen Netzwerke“ aufgefordert, die Verwendung des Begriffs „indische Variante“ zu unterlassen und entsprechende Beiträge zu entfernen. Es verkündete in dem Schreiben aber nicht, dass es die Mutante B.1.617 nicht gebe.
RT Deutsch lässt im Facebook-Beitrag zentralen Kontext weg und führt dadurch in die Irre
Auch RT Deutsch, ein Ableger des russischen Auslandssenders RT (früher: Russia Today), führt durch einen Facebook-Beitrag zum Thema in die Irre. In dem Bild-Beitrag steht, dass die indische Regierung Berichte zur „indischen Variante“ als „komplett falsch“ bezeichnet habe. Im Beitragstext schreibt RT Deutsch außerdem, dass in Deutschland von Medien, Experten und Politikern vor „der vermeintlich besonders gefährlichen ‘indischen Variante’ der #Corona-Mutation B.1.617“ beziehungsweise vor der „vermeintlich neuen Mutante“ gewarnt werde.
Mit der Formulierung „vermeintlich“ wird die Existenz der Mutante in Frage gestellt. Zudem erweckt RT Deutsch in dem Beitrag den Eindruck, dass die indische Regierung mitgeteilt habe, dass es die Mutante nicht gebe. Das ist falsch, wie der der offiziellen Mitteilung des Ministeriums vom 21. Mai zu entnehmen ist. Die indische Regierung bittet lediglich darum, nicht die Bezeichnung „indische Variante“ zu nutzen.
In der Mitteilung heißt es konkret: „Es ist uns bekannt geworden, dass online Aussagen kursieren, die implizieren, dass sich eine ‘indische Variante’ des Coronavirus über die Länder ausbreite. Dies ist komplett FALSCH. Es gibt keine solche Variante von Covid-19 die wissenschaftlich von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als solche bezeichnet worden wäre. Die WHO hat in keinem ihrer Berichte den Begriff ‘Indische Variante’ im Zusammenhang mit der Variante B.1.617 genutzt.“
Eine Google-Suche ergibt, dass die WHO im Zusammenhang mit der Variante B.1.617 lediglich von der Variante, „die ursprünglich in Indien identifiziert“ wurde, spricht.
In der Mitteilung verweist das Ministerium auch auf eine Pressemitteilung vom 12. Mai. Daraus geht noch konkreter hervor, dass die indische Regierung die Existenz von B.1.617 nicht bezweifelt und es lediglich um die Bezeichnung geht: „Mehrere Medien haben über die Nachricht berichtet, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) B.1.617 als weltweit besorgniserregende Variante eingestuft hat. Einige dieser Berichte haben die B.1.617-Variante des Coronavirus als ‘indische Variante’ bezeichnet.“ Mit der Pressemitteilung solle klargestellt werden, dass „die WHO den Begriff ‚Indische Variante‘ nicht mit der Variante B.1.617 des Coronavirus in Verbindung gebracht hat“. Dieser zentrale Kontext fehlt im Facebook-Beitrag von RT Deutsch.
Die WHO bezeichnet B.1.617 als „besorgniserregende“ Corona-Variante
Im Beitrag von RT Deutsch wird die Virusvariante zudem als „vermeintlich besonders gefährlich“ bezeichnet, wodurch eine Gesundheitsgefahr in Frage gestellt wird. Auch hier fehlt Kontext: Die WHO führt die Variante B.1.617 als sogenannte „variant of concern“ (übersetzt etwa: „besorgniserregende Variante“). So definiert werden laut einem Arbeitspapier der WHO (PDF, Seite 2) Varianten, die sich schneller verbreiten, ein anderes Krankheitsbild verursachen oder bei denen die Gegenmaßnahmen wie etwa Impfungen weniger effektiv sind.
Auch bisherige Studien deuten laut eines Beitrags vom 11. Mai in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature darauf hin, dass die Mutante B.1.617 ansteckender beziehungsweise übertragbarer sei und einen schwereren Krankheitsverlauf verursachen könne. Im Vergleich zu anderen Varianten könnten sich diese Mutanten außerdem der Antikörper-Immunantwort entziehen und damit auch die Wirksamkeit von Impfstoffen beeinträchtigen.
Wegen Diskriminierung: WHO benennt Varianten nun nach griechischen Buchstaben
Zum Vorgehen der indischen Regierung gegen die sprachliche Diffamierung gibt es mehrere Medienberichte, etwa vom Spiegel oder der BBC.
Die WHO hat laut Medienberichten am 31. Mai bekannt gegeben, Varianten des Coronavirus künftig nach griechischen Buchstaben zu benennen, weil die bisherigen Bezeichnungen „stigmatisierend und diskriminierend“ seien. Die Varianten B.1.617.1 und B.1.617.2, die erstmals in Indien auftraten, heißen nun Kappa und Delta.
Redigatur: Uschi Jonas, Tania Röttger