Flug nach Impfung: Doch, Geimpfte dürfen ganz normal fliegen
Im Netz wird behauptet, wer geimpft wurde, dürfe nicht mehr fliegen. Fluggesellschaften würden jetzt über ihre Haftung diskutieren, da das Risiko von Blutgerinnseln zu hoch sei. Flugverbände widersprechen: Geimpften Personen stehen Flugreisen weiterhin offen.
„Haben Sie eine Impfung? Keine Flüge mehr!“ – so lautet die Überschrift eines Artikels des Blogs Hinzuu vom 29. Mai. Im Text wird behauptet, dass das Risiko eines Blutgerinnsels für geimpfte Fluggäste höher sei und Fluggesellschaften aktuell über Haftungsfragen diskutieren würden. Geimpfte, so wird es im Text behauptet, dürften nicht fliegen, „weil es ein Gesundheitsrisiko ist“. Der Text wurde mehr als 10.500 Mal auf Facebook geteilt.
Ähnliche Behauptungen wurden am 4. Juni in dem Blog Uncut-News verbreitet: Einige Internetseiten in Spanien und Russland hätten berichtet (hier, hier, hier und hier), Fluggesellschaften würden geimpften Personen empfehlen, nicht zu reisen. Zudem wird behauptet: „Schon seit vielen Jahren gilt, dass Menschen mit einem erhöhten Risiko für Blutgerinnsel nur unter strenger Aufsicht fliegen dürfen.“
CORRECTIV.Faktencheck hat beim Dachverband der Fluggesellschaften, der International Air Transport Association (IATA), und bei Airlines for Europe (A4E), einer Lobbyorganisation europäischer Fluggesellschaften, nachgefragt. Beide Organisationen widersprechen den Behauptungen: Weder sei ihnen bekannt, dass Fluggesellschaften Passagieren Flüge verbieten würden, noch dass diese über Haftungsfragen diskutierten.
Flugverbot für Geimpfte? Fluggesellschaften sprechen von einer „Falschinformation“
Eine Sprecherin der IATA schrieb uns per E-Mail: „Der IATA ist nicht bekannt, dass Fluggesellschaften in Erwägung ziehen, geimpfte Passagiere aufgrund des Blutgerinnselrisikos abzulehnen.“ Der Verband habe eine medizinische Beratungsgruppe, die sich mit Fragen der Gesundheit und des Flugverkehrs befasst. „Dieses Thema steht nicht auf ihrer Agenda. Und soweit uns bekannt ist, finden auch keine Treffen zwischen den Fluggesellschaften zu diesem Thema statt.“
Außerdem schreibt die Sprecherin, der IATA sei kein Hinweis darauf bekannt, „dass das spezielle Blutgerinnselphänomen, das als seltene Nebenwirkung von einem oder möglicherweise zwei Typen von Covid-Impfstoffen bezeichnet wird, irgendeine Auswirkung auf Flugreisen hat.“
Außerdem unterscheidet sich laut der Sprecherin das Phänomen der durch Impfungen ausgelösten Blutgerinnsel (Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms, TTS) oder den Thrombosen in Venen und/oder Lunge. Lediglich letztere könnten mit Immobilität einhergehen, zum Beispiel nach längerem Sitzen auf Reisen. Doch das Risiko dafür ist laut der Webseite des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sehr gering.
Auch die europäische Lobbyorganisation A4E nennt die Behauptungen in dem Beitrag „Falschinformation“. Eine Sprecherin sendete uns ein öffentliches Statement dazu: „Impfungen sind ein entscheidender Teil der Pandemiebekämpfung und die Erhöhung der Impfquoten ermöglicht die schrittweise Rückkehr der Freizügigkeit, einschließlich Flugreisen. Sie können sicher sein, dass unter den Fluggesellschaften keine solchen Diskussionen stattfinden, um geimpfte oder ungeimpfte Reisende am Fliegen zu hindern oder zu verbieten.“ Im Gegenteil drängten die Fluggesellschaften in Europa laut A4E auf eine „Nicht-Diskriminierung“ von geimpften und nicht geimpften Reisenden.
Die seltenen Thrombosen sind keine „Hauptreaktion“ nach der Corona-Impfung
Der schiefe Vergleich der unterschiedlichen Thrombose-Typen kursiert schon seit März (Venenthrombose und Sinusvenenthrombose). Damals zogen Medien irreführende Vergleiche zwischen dem Thrombose-Risiko durch eine Impfung und dem durch eine Anti-Baby-Pille.
Im Blogartikel wird außerdem behauptet, dass es sich bei Thrombosen um eine „Hauptreaktion“ durch Impfungen handele. Das stimmt nicht.
Vorfälle der speziellen Thrombose durch die Impfungen treten laut dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) „sehr selten“ auf. Das PEI ist für die Sicherheit der in Deutschland eingesetzten Impfstoffe zuständig und informiert über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen.
Laut des letzten PEI-Sicherheitsberichts (PDF, Seite 14) vom 31. Mai wurden 106 Fälle des Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms (TTS) nach einer Astrazeneca-Impfung identifiziert – bei mehr als neun Millionen verimpften Dosen. Bei dem Impfstoff von Johnson und Johnson (mehr als 400.000 verimpfte Dosen) und dem von Moderna (mehr als drei Millionen verimpfte Dosen) sei von jeweils zwei thrombembolischen Fällen berichtet worden.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) nennt Schmerzen oder ein Spannungsgefühl an der Einstichstelle, sowie Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen und Krankheitsgefühl als häufigste Reaktionen auf die Impfung. Zu behaupten, es handele sich bei der seltenen Thrombose um eine „Hauptreaktion“, ist demnach irreführend.
Die Behauptung verbreitete sich in mehreren Ländern
Die Faktenchecker von Lead Stories haben den Weg der Falschmeldung rekonstruiert: Demnach tauchten die Behauptungen zuerst in einem Telegram-Kanal auf und wurden von einer niederländischen Webseite aufgegriffen.
Danach verbreiteten sich die Behauptungen weiter – in Russland, der Schweiz, Deutschland, Spanien und Australien.
Redigatur: Sarah Thust, Steffen Kutzner
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Öffentliches Statement der Lobbyorganisation A4E: Link
- Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen über Thrombose-Risiken durchs Fliegen: Link
- Letzter PEI-Sicherheitsbericht: Link
- Häufigste Reaktionen auf Covid-Impfungen laut RKI: Link