Nein, im australischen Victoria sind Parlamentarier nicht von der Impfpflicht befreit
In einem Video auf Youtube heißt es, Parlamentarier und Justizbeamte müssten sich in Australien nicht impfen lassen – im Gegensatz zum Rest der Bevölkerung. Das ist irreführend.
Auf Facebook, Telegram und Youtube verbreitet sich seit dem 12. Oktober 2021 ein Video eines Mannes, der sich „Bernie aus Australien“ nennt und behauptet, in Australien gebe es eine Impfpflicht gegen Covid-19 von der lediglich Mitglieder des Parlaments und Richterinnen und Richter ausgenommen seien. Das Video trägt den Titel „In Australien muessen Richter und Minister des Parlaments keine Fluessigkeit haben“ [sic]. Gemeint sind offensichtlich die Impfstoffe gegen Covid-19.
Die Behauptung ist falsch: Eine allgemeine Impfpflicht gibt es in Australien nicht. Im Gegensatz zu der Behauptung sind es gerade die Mitglieder des Parlaments im australischen Bundesstaat Victoria, die zur Covid-19-Impfung verpflichtet sind. Ohne Impfnachweis dürfen sie das Parlament nicht betreten. Das räumt der Youtuber auch in einem späteren Video ein.
Eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 gibt es in Australien nicht
Auf der Seite der australischen Gesundheitsbehörde heißt es: „Impfungen gegen Covid-19 sind freiwillig – so wie alle Impfungen in Australien – die Menschen haben die Möglichkeit sich zu entscheiden.“ Richtig ist, dass es eine landesweite Impfpflicht unter anderem für Pflegepersonal in Altenheimen gibt. Klagen gegen diese Impfpflicht scheiterten vor Gericht.
In seinem Video sagt der Youtuber (ab Minute 2:17): „Erst hieß es, am 15. Oktober muss jeder hier, fast jeder, die Flüssigkeit haben“. Weiter sagt er, „jetzt hat man […] gesagt, dass alle Mitglieder des Parlaments […] und die ganzen Richter, all die müssen es nicht haben.“ Auch diese Aussage suggeriert, dass es um ganz Australien ginge. Das ist falsch.
Wie aus einem weiteren Video des Mannes vom 15. Oktober mit dem Titel „Australien! In Victoria hat man schon wieder die Richtlinien geaendert! Chaos!“ [sic] hervorgeht, bezog er sich mit seinen Aussagen jedoch lediglich auf den australischen Bundesstaat Victoria.
Victoria: Impfpflicht auch für Parlamentarier, wenn sie das Parlament betreten wollen
Laut mehreren Medienberichten (hier und hier) ist der Bundesstaat im Südosten Australiens der erste, in dem Parlamentarier das Parlament nur dann betreten dürfen, wenn sie einen Impfnachweis vorlegen können.
Wie The West Australian berichtet, besagt die Regelung, dass Parlamentarier und andere Mitarbeiter mindestens ihre erste Impfdosis erhalten haben oder nachweisen müssen, dass sie einen Impftermin noch vor dem 22. Oktober haben. Eine zweite Impfung müsse bis zum 26. November erfolgen. Damit unterliegen die Parlamentarier genau denselben Regelungen wie eine Reihe weiterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in dem Bundesstaat, beispielsweise Lehrer, Bauarbeiter und Immobilienmakler. Auch sie dürfen nur dann an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, wenn sie eine Impfung nachweisen können.
Das sagt der Youtuber in seinem Video vom 15. Oktober auch selbst. Weiter behauptet er jedoch, der Oberste Gerichtshof von Victoria habe sich „getroffen“ und sich „entschlossen, dass alle, die beim Gericht arbeiten“ der Impfpflicht nicht unterliegen würden. Der Grund dafür sei, dass bereits viele Menschen bei Gericht geimpft seien. Auch diese Aussage ist teilweise falsch. Es gibt einen Erlass, der Gerichtsmitarbeiter von einer Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen ausnimmt. Allerdings war dies keine Entscheidung des Gerichts, sondern vom Generaldirektor für Gesundheit.
Oberster Gerichtshof passt sich an Regelungen des Bundesstaates an
Mit seiner Aussage bezieht sich der Youtuber auf eine Mitteilung des Obersten Gerichtshofs von Victoria vom 8. Oktober. Darin heißt, dass ein Erlass des Generaldirektors für Gesundheit von Victoria nicht für Justizbeamte und Gerichtsmitarbeiter gelte.
Diese Tatsache stellt das Gericht jedoch lediglich fest. Es hat nicht beschlossen oder geurteilt, dass der entsprechende Erlass so zu deuten ist. Das bestätigte ein Sprecher des Obersten Gerichtshofes von Victoria gegenüber CORRECTIV.Faktencheck per E-Mail.
In der Praxis unterliegen die Mitarbeiter der Gerichte im Bundestaat Victoria allerdings einer Impfpflicht. Wie uns der Sprecher des Obersten Gerichtshofes mitteilte, habe der Arbeitgeber der Gerichtsmitarbeiter mittlerweile verfügt, dass sie der gleichen Impfpflicht unterliegen, wie alle anderen Angestellten, die vom Erlass des Generaldirektors für Gesundheit betroffen sind.
Auf unsere Nachfrage erklärte der Sprecher weiter, dass die Regelung zwar Mitarbeitende bei Gericht („court staff“) betreffe, jedoch keine Justizbeamten („judicial officers“). Man ermutige jedoch all jene, die die Gerichte aufsuchten, dazu, sich impfen zu lassen. Interne Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Zahl der geimpften Justizbeamten sehr hoch sei.
Anders als auf Youtube behauptet, hat der Oberste Gerichtshof also nicht einfach „beschlossen“, dass Richterinnen und Richter keiner Impfpflicht unterliegen; ein Erlass spart diese Berufsgruppe explizit aus. Die Sonderregelung folgt daraus, dass die Regierung, also die Exekutive, keine Weisungen an die Judikative erteilen kann, wie The Age berichtet. Dies gefährde ansonsten die Gewaltenteilung. Medien berichteten über ähnliche Fälle in Kanada und den USA.
Über Australien werden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie immer wieder Falschmeldungen verbreitet. Bereits im August dieses Jahres haben wir ein Video geprüft, dass angebliche Zwangsimpfungen von Kindern zeigen soll und die Behauptung widerlegt, dass australische Eltern Strafen zahlen müssen, wenn sie ihre Kinder nicht impfen lassen.
Redigatur: Steffen Kutzner, Tania Röttger