Faktencheck

Keine Belege für Anstieg von Herzstillständen bei Sportlern 

Auf Blogs und in Sozialen Netzwerken wird eine Liste von Vorfällen verbreitet, bei denen Sportler Herzstillstände oder Herzinfarkte hatten. Es wird behauptet, es sei ein starker Anstieg zu beobachten und dieser sei auf die Covid-19-Impfungen zurückzuführen. Dafür gibt es keine Belege. Experten sehen keinen Anstieg solcher Fälle und die Liste selbst ist ebenfalls in Teilen irreführend. 

von Alice Echtermann

Symbolbild Fußball
Im Fußball und anderen dynamischen Sportarten kommt es selten, aber immer mal wieder zu plötzlichen Herzstillständen während des Trainings oder des Spiels. Vor allem Männer sind betroffen. (Symbolbild: SeppH / Pixabay)
Behauptung
Eine Liste von Vorfällen zeige, dass die Zahl der Herzstillstände bei Sportlern stark zugenommen habe. 
Bewertung
Unbelegt. Die Liste belegt keinen Anstieg. Sie vermischt Herzinfarkte, teils von älteren Männern, mit Fällen von plötzlichem Herzstillstand bei jüngeren Sportlern. Letzte sind zwar selten, kommen aber immer wieder vor.

Seit Anfang Oktober wird in Sozialen Netzwerken (hier und hier) und auf verschiedenen Webseiten (hier und hier) eine Liste verbreitet, die angeblich belegen soll, dass es in letzter Zeit zu einer Häufung von Herzstillständen bei Sportlern komme. Die früheste Version der Liste fanden wir in einem Onlineforum, der Beitrag ist vom 2. Oktober 2021

Die Listen sind alle sehr ähnlich. Wir haben hier eine Version überprüft, die Anfang November von dem AfD-Landtagsabgeordneten Daniel Wald auf Facebook verbreitet wurde.  Aufgelistet werden Vorfälle, bei denen vor allem männliche Fußballspieler während eines Trainings oder Spiels zusammenbrachen und wiederbelebt werden mussten, oder allgemein Herzinfarkte hatten. Es wird behauptet, dass die Anzahl ungewöhnlich und die Fälle auf die Covid-19-Impfungen zurückzuführen seien. 

Es gibt jedoch keine Belege, dass die betroffenen Personen geimpft waren – und Forschende sehen in Deutschland keinen Anstieg solcher Fälle. 

Facebook-Beitrag mit Liste von Vorfällen, bei denen Sportler Herzstillstände hatten
In einem Facebook-Beitrag verbreitet ein AfD-Landtagsabgeordneter eine Liste von Vorfällen, bei denen Fußballer Herzprobleme hatten. Etwa die Hälfte der Fälle stammt aus Deutschland, die anderen aus dem Ausland. (Screenshot am 25. November 2021: CORRECTIV.Faktencheck)

Herzmuskelentzündungen können zwar bei jungen Männern als seltene Nebenwirkung nach mRNA-Impfungen auftreten. Die verbreiteten Listen vermischen jedoch Fälle mit ganz unterschiedlichen medizinischen Diagnosen. Herzinfarkte oder plötzliche Herzstillstände beim Sport sind nicht dasselbe wie Herzmuskelentzündungen. Die Auswahl der Fälle für die Listen erscheint daher willkürlich. 

Plötzliche Herzstillstände können bei Sportlern vorkommen, auch wenn sie jung sind. Insbesondere Männer in dynamischen Sportarten wie Fußball sind betroffen.

Listen von Sportlern mit Herzproblemen zu verbreiten, ist ein „Trend“

Das Narrativ von den „mysteriösen“ Herzproblemen kursiert international. Es nahm seinen Anfang im Sommer 2021. Nach dem Herzstillstand des dänischen Fußball-Nationalspielers Christian Eriksen während eines EM-Spiels wurde spekuliert, der Grund könnte die Corona-Impfung gewesen sein. Eriksen war aber nicht geimpft und hatte auch kein Covid-19, wie in mehreren Faktenchecks (hier, hier und hier) recherchiert wurde. 

Inzwischen gibt es ganze Listen von Vorfällen dieser Art bei Sportlern. Sie kursieren nicht nur in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Mazedonien und in den USA. Manche Beiträge behaupten offen einen Zusammenhang zur Impfung, andere deuten ihn nur indirekt an oder stellen ihn als Frage in den Raum – zum Beispiel die österreichische Seite Exxpress

Report24, ebenfalls aus Österreich, schreibt beispielsweise von einer „Liste des Grauens, beginnend mit Juni 2021 – als die Impfkampagnen voll im Gange waren und jeder, der dem System blind vertraut, bereits seine zweite Spritze intus hatte.“ Direkt danach heißt es aber: „Wir behaupten dabei weder, dass all diese Menschen wegen der Impfung erkrankten und verstarben, noch dass es im Falle einer Impfung einen erwiesenen Zusammenhang gibt.“ Der Artikel wurde wiederum von einer amerikanischen Webseite aufgegriffen, wie ein Faktencheck von Politifact zeigt.  

Liste enthält auch Herzinfarkte bei älteren Männern

Im Text, der zusammen mit der Liste verbreitet wird, ist teilweise von einem Anstieg der Fälle „um den Faktor 50“ die Rede. Als Grundlage für diese Aussage dient jedoch der Vergleich mit einem Spiegel-Artikel von 2003. Dieser listet exemplarisch zehn Todesfälle von Fußballspielern zwischen 1996 und 2003 in verschiedenen Ländern auf, beansprucht aber nicht, vollständig zu sein. Der Artikel lässts daher keine Schlüsse darüber zu, wie viele Fälle pro Jahr normal wären. 

Die Hälfte der Vorfälle auf der Liste (13), die auf Facebook geteilt wird, geschahen in Deutschland, die anderen in anderen europäischen Ländern. Es gibt Medienberichte darüber, die meisten betrafen den Amateurfußball. Keiner der Berichte erwähnt einen Zusammenhang mit einer Impfung oder ob die betroffene Person geimpft war. Bei der Überprüfung der Namen fanden wir aber einige Ungereimtheiten:

Der Gifhorner Amateurspieler Marvin Schumann brach beim Aufwärmen vor einem Fußballspiel zusammen und musste reanimiert werden. Allerdings geschah das im November 2020, als es noch keine Covid-19-Impfungen gab. 

Ein Torwart-Trainer des SV Niederpöring, der im August 2021 nach dem Training einen Herzinfarkt erlitt und reanimiert wurde, ist ebenfalls Teil der Liste. Was nicht erwähnt wird: Er war 62 Jahre alt. Der Trainer Dirk Splitsteser von der SG Traktor Divitz, der im September am Spielfeldrand tot zusammenbrach, war 50 Jahre alt. Eine andere Person auf der Liste, Dietmar Gladow aus Sachsen-Anhalt, war 74 Jahre alt und erlitt laut Medienberichten im September vor einem Spiel einen tödlichen Herzinfarkt.

Herz-Kreislauferkrankungen sind in Deutschland seit vielen Jahren die häufigsten Todesursachen. An einem Herzinfarkt starben 2020 insgesamt 44.529 Menschen, Männer sind häufiger betroffen als Frauen. Das Alter, in dem die meisten Männer Herzinfarkte erleiden, liegt zwischen 68 und 76 Jahren. Kardiologen raten Herzpatientinnen und -patienten zu einer Covid-19-Impfung.

Plötzliche Herzstillstände beim Sport sind selten, kommen aber immer wieder vor

Ein Herzinfarkt ist nicht dasselbe wie ein plötzlicher Herzstillstand beim Sport, wie ihn mutmaßlich der dänische Nationalspieler Christian Eriksen erlitt. 

Bei einem Herzinfarkt verstopft eines der Herzkranzgefäße durch Ablagerungen oder ein Blutgerinnsel. Beim plötzlichen Herzstillstand beim Sport ist die Ursache dagegen laut der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) meist ein Kammerflimmern, also das unkontrollierte Zusammenziehen des Herzmuskels. 

In einem wissenschaftlichen Artikel von 2016 aus den USA heißt es, die Häufigkeit eines plötzliches Herztodes liege bei Sportlerinnen und Sportlern allgemein bei 1 zu 53.703 pro Jahr. Für männliche Basketballspieler sei das Risiko aber zum Beispiel um das Zehnfache höher. 

In Deutschland werden plötzliche Herzstillstände beim Sport seit 2012 im Sudden Cardiac Death Register (SCD-Register) der Universität des Saarlandes erfasst. Ob dem Register alle Fälle gemeldet werden und die Daten somit vollständig sind, ist unklar. Die Daten im Register sind nicht öffentlich einsehbar. Allerdings veröffentlichten die Forschenden Anfang 2021 einen Bericht, in dem es heißt, über sechs Jahre hinweg seien in Deutschland 349 Fälle dokumentiert worden. 

Bei jüngeren Athleten unter 35 Jahren seien die häufigsten Ursachen eine vorzeitige Verengung der Herzkranzgefäße (CAD) und plötzlicher arrhythmischer Tod (SADS), gefolgt von Herzmuskelentzündungen (Myokarditis). Laut DGK leiden auch junge, vermeintlich gesunde Menschen oft unter unentdeckten Herzerkrankungen. 

Experten: Kein Anstieg von Herzstillständen bei Sportlern

Speziell im Fußball dokumentiert die Fifa seit 2014 solche Vorfälle. Der Leiter des Registers, Florian Egger vom Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes, teilte der AFP im Oktober mit, alle Fälle aus der damaligen Version der Liste seien ihm bereits bekannt. Nur 22 der 29 Vorfälle seien eindeutig auf das Herz zurückzuführen. Wenn man die in der Liste genannten Fälle von plötzlichem Herzstillstand oder plötzlichem Herztod auf das ganze Jahr 2021 hochrechne, seien es immer noch weniger als 2018. 

Der Leiter der Arbeitsgruppe Sportkardiologie bei der DGK, Dierk-Christian Vogt, teilte uns per E-Mail mit, dass in diesem Jahr keine Zunahme von Herzstillständen bekannt sei. „Auf das Jahr hochgerechnet gibt es kaum Zahlen – hier sind die vom Sudden Cardiac Death Register die verlässlichsten“, schrieb er uns. „Bei Läufern kann man grob sagen, dass im Halb- bzw. Marathonwettkampf jeder 50.000 Teilnehmer verstirbt bzw. wiederbelebt werden muss. Dies muss und kann durch genaue sportkardiologische Vorsorgeuntersuchungen und der Planung einer funktionierenden Notfallversorgung während des Wettkampfs weiter reduziert werden.“

Was stimmt: Bei jungen Männern treten nach mRNA-Impfungen in seltenen Fällen Herzentzündungen auf

Wie oft bei irreführenden Behauptungen gibt es einen wahren Hintergrund: Es ist möglich, dass eine Herzmuskelentzündung zu einem plötzlichen Herzstillstand beim Sport führen kann. Eine solche Myokarditis kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel eine Virusinfektion. Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) sind tatsächlich auch eine seltene Nebenwirkung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19. 

In der Liste auf Facebook wird aber nur ein einziger Fall eines Verdachts auf Herzmuskelentzündung genannt (und zwar bei dem 24-jährigen Lucas Surek vom BFC Chemie Leipzig).

Im aktuellsten Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) heißt es: Bis Ende September 2021 seien mehr als 92 Millionen Impfdosen mRNA-Impfstoffe verteilt worden. Es seien 1.243 Verdachtsmeldungen zu Herzmuskelentzündungen „unabhängig vom Kausalzusammenhang mit der jeweiligen Impfung“ berichtet worden. Die Melderate sei bei Jungen, Jugendlichen und Männern unter 30 Jahren am höchsten gewesen. Insgesamt kam die Erkrankung nach den mRNA-Impfungen in diesen Gruppen häufiger vor, als normalerweise statistisch zu erwarten wäre. Deshalb beobachtet das Paul-Ehrlich-Institut diese Nebenwirkung. 

Das ist kein Beleg dafür, dass Sportler aufgrund von Impfungen sterben oder dass es eine Häufung von Vorfällen im Sport gibt. Das PEI schreibt: „Die publizierten Daten zeigen, dass die meisten Patienten mit einer Myo-/Perikarditis nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen gut auf Behandlung und Ruhe ansprechen und sich schnell besser fühlen, wenngleich im Einzelfall schwerwiegendere Verläufe nicht ausgeschlossen werden können.“

Redigatur: Matthias Bau, Tania Röttger

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) vom 15. Juni 2021, „Plötzlicher Herzstillstand bei Sportler*innen“: Link
  • Wissenschaftliches Paper, „Sudden Cardiac Death in Athletes“ (2016): Link
  • Sudden Cardiac Death (SCD) Register, Universität des Saarlandes: Link
  • Bericht der Forschenden der Universität des Saarlandes zu den Daten aus dem SCD-Register (Januar 2021): Link
  • Faktencheck der AFP zu der Liste von Vorfällen bei Sportlern: Link
  • Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts zu Nebenwirkungen von Covid-19-Impfstoffen (Datenstand bis 30. September 2021): Link (archiviert)