Krankenhäuser bekommen Versorgungszuschläge für alle positiv getesteten Patienten, um Mehraufwand auszugleichen
In einem Artikel wird suggeriert, Krankenhäuser würden sich mit einer fragwürdigen Masche bereichern: Sie würden positiv getestete Patienten, die wegen anderer Beschwerden behandelt werden, als Covid-19-Fälle melden, um eine hohe Prämie zu kassieren. Dies verzerrt die Fakten – Krankenhäuser müssen keine Fälle „umdeuten“; sie erhalten dieses Geld regulär als Ausgleich für den Mehraufwand während der Pandemie.
Am 7. Dezember 2021 veröffentlichte die Webseite Achgut einen Artikel, in dem behauptet wird, Krankenhäuser würden sich eine „goldene Nase“ verdienen: Sie würden Patienten, die wegen Beschwerden (wie einem verstauchten Knöchel) eingeliefert und zufällig positiv auf das Coronavirus getestet werden, zu Covid-19-Fällen „umdeuten“, um zusätzlich 7.800 Euro Prämie zu bekommen. „So füllt man die Krankenhäuser mit angeblichen Coronakranken, ganz ohne Arbeit“, heißt es in dem Text. Das seien „grob manipulierte Daten“, mit denen die „Belegungsstatistik“ erhöht werde.
Derselbe Text erschien wortgleich auch auf den Blogs Reitschuster.de und Haolam, und ein Auszug davon bei Politikstube. Der Artikel enthält verschiedene Behauptungen, wir gehen in diesem Faktencheck auf die Hauptthese ein: dass Patienten mit anderen Beschwerden zu Covid-19-Patienten „umgedeutet“ würden, um mehr Geld zu verdienen.
Das Ergebnis unserer Recherche: Es gibt keine Belege dafür, dass aufgrund finanzieller Anreize Daten falsch gemeldet werden. Krankenhäuser müssen positiv getesteten Personen gar nicht heimlich zu Covid-19-Kranken machen. Es ist regulär vorgesehen, dass sie für jeden positiv getesteten Patienten zusätzliches Geld erhalten, weil diese ihnen mehr Aufwand verursachen – egal weswegen sie hauptsächlich behandelt werden. Das bestätigte uns das Bundesgesundheitsministerium.
Auf unsere Anfrage schrieb uns Jörn Wegner, Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft, per E-Mail: „Es handelt sich dabei nicht um Falschabrechnung. Die Regelungen sind gesetzlich so vorgegeben.“
Versorgungszuschläge werden an Krankenhäuser pro Patientin oder Patient mit laborbestätigter Infektion gezahlt
Am 24. November 2021 wurde das Infektionsschutzgesetz geändert und in Paragraph 21a ein Versorgungsaufschlag für Krankenhäuser eingeführt. Dieser Zuschlag wird zwischen dem 1. November 2021 und dem 19. März 2022 gezahlt, für Patientinnen und Patienten, die mit dem Coronavirus infiziert sind – es sei denn, diese werden bereits am selben oder am nächsten Tag wieder entlassen oder verlegt. Sie müssen also mindestens zwei Tage im selben Krankenhaus bleiben.
Auf Anfrage schrieb uns ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) per E-Mail, man gehe davon aus, dass die Belastung der Krankenhäuser durch Covid-19 bis März 2022 besonders hoch sein werde. Der Versorgungsaufschlag solle Krankenhäuser unterstützen, deren interne Behandlungsabläufe belastet seien. „Diese Belastung besteht unabhängig davon, ob Patientinnen und Patienten wegen einer SARS-CoV-2-Infektion stationär behandelt werden, oder ob die Infektion anlässlich einer Behandlung wegen einer anderen Erkrankung festgestellt wird.“
Krankenhäuser haben mehr Aufwand für die Behandlung Infizierter
Wie wir bereits für einen anderen Faktencheck im März recherchiert hatten, besteht der Mehraufwand für das Krankenhaus unter anderem darin, dass alle Kontaktpersonen der infizierten Person gefunden werden müssen. Gegebenenfalls müsse Personal in Quarantäne geschickt werden. Es sei deshalb für Krankenhäuser schlecht, wenn zufällig ein Covid-19-Fall entdeckt wird, erklärte uns Jörn Wegner, Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Vor diesem Hintergrund ist auch die Andeutung in dem Artikel von Achgut zu betrachten, Krankenhäuser könnten eine infizierte Person mit verstauchtem Knöchel extra länger da behalten, um auf die nötigen zwei Tage zu kommen. Belege, dass es zu solchen Fällen kommt, führt der Artikel nicht an.
Wie die von Achgut genannte Summe von 7.800 Euro pro Patient berechnet wurde, ist unklar. Die Höhe des Versorgungsaufschlags betrage pro Fall zwischen 4.500 und 9.500 Euro, schreibt uns der Sprecher des BMG. Die genaue Höhe sei abhängig von dem jeweiligen Aufwand, den Krankenhäuser in der vollstationären Versorgung von Patientinnen und Patienten haben.
Divi-Sprecherin: Schwer kranken Menschen auf Intensivstationen mache das Coronavirus immer zu schaffen
Der Autor des Achgut-Textes sieht in der Erfassung der Fälle eine Manipulation der „Belegungsstatistik“; die Belegung der Krankenhäuser sei ein Hauptentscheidungskriterium für die Pandemie-Politik, heißt es im Artikel.
Worauf genau sich das bezieht, ist unklar. Es könnten die Hospitalisierungsinzidenz oder das Divi-Intensivregister gemeint sein. In letzterem wird allerdings nur die Auslastung der Intensivstationen erfasst. Ein Patient mit verstauchtem Knöchel würde dort also nicht auftauchen.
Grundsätzlich werden alle positiv getesteten Patienten auf der Intensivstation in das Divi-Intensivregister einbezogen, bestätigte uns Divi-Pressesprecherin Nina Meckel. Wie auf der Webseite des Registers steht, werden also auch Menschen gezählt, die nicht primär wegen einer Covid-19-Erkrankung dort gelandet sind.
Meckel begründet das damit, dass die infizierten Menschen sehr aufwendig isoliert und gepflegt werden müssten. Und: „Ein Unfallopfer, das so schwer verletzt ist, um auf Intensiv zu liegen, und zufällig auch Covid-19-positiv mit derzeit noch keinen oder geringen Symptomen ist, hat jetzt ein 80-prozentiges Risiko, zu versterben. Der Körper schafft die Mehrfachbelastung durch Trauma (Unfall) und Virus sehr schlecht. In der Regel kommt es zu einem schweren Verlauf.“
Es gebe keine Patientinnen und Patienten, die nur mit gebrochenem Bein und einem positiven Corona-Test auf der Intensivstation liegen, so die Divi-Sprecherin weiter. Alle Personen auf den Intensivstationen, die positiv getestet sind, seien „schwer beeinträchtigt durch das Virus, egal weshalb sie ursprünglich eingeliefert wurden“.
Krankenhäuser müssen nur die Aufnahme neuer Patienten „in Bezug auf die Krankheit Covid-19“ melden
Möglicherweise bezog sich der Achgut-Autor auch auf eine andere Größe zur Beurteilung der Pandemie-Lage: Die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz, die das Robert-Koch-Institut (RKI) berechnet. Die Hospitalisierungsinzidenz ist die Anzahl der hospitalisierten Covid-19-Fälle innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner. Hier fließen auch Fälle ein, die nicht auf Intensivstationen liegen, denn Krankenhäuser müssen jeden neuen Patienten, der wegen einer Covid-19-Erkrankung aufgenommen wird, an die Behörden melden.
Im Artikel von Achgut wird behauptet, dass sich die „Quote der Belegungsstatistik“ erhöhe, weil Krankenhäuser fälschlich alle positiv getesteten Patienten zu stationären Corona-Fällen „umdeuten“. Das würde bedeuten, dass die Krankenhäuser also auch Patienten als „hospitalisiert“ melden, die wegen einer anderen Beschwerde aufgenommen wurden. Das ist möglich.
In der Praxis meldeten Krankenhäuser offenbar tatsächlich auch Menschen, die nicht aufgrund von Covid-19 hospitalisiert wurden. Darüber berichtete am 29. Dezember die Welt am Sonntag. Einen finanziellen Anreiz dafür gibt es für die Krankenhäuser aber nicht, da sie die zusätzlichen Gelder, wie oben erläutert, auch ohne solche falschen Angaben bekommen. Laut einem Bericht von September gab es offenbar schon früh ein Missverständnis, welche Fälle an das RKI gemeldet werden sollen.
Die Meldepflicht für Krankenhäuser bezieht sich eigentlich nur explizit auf „die Aufnahme einer Person in ein Krankenhaus in Bezug auf die Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19)“. Wie uns die Pressesprecherin des RKI, Susanne Glasmacher, per E-Mail schrieb, sollen deshalb „in der Regel nur Personen gemeldet werden, die aufgrund ihrer Covid-19-Erkrankung hospitalisiert werden“.
Einfach ausgedrückt: Wenn eine Person mit gebrochenem Bein im Krankenhaus landet und dort zufällig positiv getestet wird, muss das Krankenhaus diese Person nicht als „hospitalisierten Covid-19-Patienten“ an die Behörden melden. Es würde genügen, den Infektionsfall zu melden. Dann würde der Fall in die normale 7-Tage-Inzidenz einfließen, nicht aber in die Hospitalisierungsinzidenz. Wenn die Person schon positiv getestet war, bevor sie sich das Bein gebrochen hat, muss das Krankenhaus sie ebenfalls nicht als „Hospitalisierung“ melden.
Redigatur: Till Eckert, Tania Röttger
Update, 15. Dezember 2021: Wir haben zur besseren Verständlichkeit noch eine Passage zur Auswirkung der Krankenhausmeldungen auf die Inzidenzen ergänzt.
Update, 7. Dezember 2021: Wir haben einen Hinweis auf Recherchen ergänzt, laut denen Krankenhäuser Covid-19-Patienten als hospitalisiert melden, die nicht primär aufgrund von Covid-19 dort behandelt werden mussten.
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Verordnung über die Erweiterung der Meldepflicht für Krankenhäuser vom 11. Juli 2021: Link
- Mitteilung des Bundesgesundheitsministeriums zur die Änderung des Infektionsschutzgesetzes (November 2021): Link
- Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vom 22. November 2021 (Gesetzestext): Link