Faktencheck

Angebliche „Skandale“: Behauptungen zu Karl Lauterbach fehlen Kontext

In einem Facebook-Beitrag wird behauptet, Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe Kliniken schließen wollen, Nebeneinkünfte zu spät gemeldet oder habe „nie als Mediziner praktiziert“. Die genannten Ereignisse reichen teils Jahrzehnte zurück, mehreren Behauptungen fehlt Kontext.

von Sarah Thust

Coronavirus - Weil trifft Gesundheitsminister Lauterbach
Karl Lauterbach sei an mehreren Skandalen beteiligt gewesen, behaupten einige Facebook-User (Symbolbild: Picture Alliance / DPA / Moritz Frankenberg)
Behauptung
Karl Lauterbach sei an mehreren Skandalen beteiligt gewesen, so forderte er angeblich, dass jede zweite oder dritte Kliniken geschlossen werden solle. Er habe außerdem „nie als Mediziner“ praktiziert.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Die genannten Ereignisse reichen teils Jahrzehnte zurück und mehreren Behauptungen fehlt Kontext.

Auf Facebook verbreitete sich im Dezember ein Beitrag, der dem SPD-Politiker Karl Lauterbach mehrere „Skandale“ unterstellt und ihn als Gesundheitsminister infrage stellt. Es wird behauptet: Lauterbach habe jede zweite oder dritte Klinik schließen wollen und Nebeneinkünfte zu spät gemeldet. Als Aufsichtsratsmitglied habe er gewusst, dass die Rhön-Klinikum AG Mitarbeiter ausbeutete, habe dies aber nicht aufarbeiten wollen. Zudem habe er sich für „wissenschaftliches Fehlverhalten“ verantworten müssen und nach dem Studium nie als Mediziner praktiziert.

Unsere Recherche zeigt: Die Vorwürfe gegen Lauterbach reichen teils Jahrzehnte zurück, einigen fehlt Kontext. Zugelassen ist Lauterbach in Deutschland als Arzt und er hat ein Medizinstudium abgeschlossen, ist also Mediziner. Er arbeitet seit Jahren in Politik und Forschung im Gesundheitsbereich. 

„Skandale um Lauterbach“: Dieses Bild wurde mehr als 4.500 Mal auf Facebook geteilt (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Fehlender Kontext: Lauterbach äußerte sich zwar zu Kliniken, relativierte seine Aussage aber später 

In dem Facebook-Beitrag wird nicht erwähnt, dass Lauterbach zwar 2019 über Klinikabbau twitterte und vorschlug, die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland zu reduzieren, aber betonte, man müsse „die richtigen Kliniken“ schließen, um die Qualität der gesamten Gesundheitsversorgung zu erhöhen.

Lauterbach hat dazu im Juni 2019 getwittert – er verwies auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung und schrieb: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten. Dann hätten wir anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität und nicht so viel Überflüssiges.“ Mit der  Corona-Pandemie hat seine Aussage demnach nichts zu tun, denn diese war damals noch nicht aktuell.

Karl Lauterbach schrieb im Jahr 2019 auf Twitter, dass einige Kliniken schließen sollten, um die Qualität in anderen Kliniken zu steigern (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch das Ärzteblatt berichtete über die Studie und Kritik darüber. Einige Tage später äußerte sich der SPD-Gesundheitsexperte in der Passauer Neuen Presse differenzierter: Lauterbach stimme der Studie der Bertelsmann-Stiftung „teilweise zu“. „Aber die Berechnung, dass man bis zu zwei Drittel der Krankenhäuser abbauen könnte, die halte ich aber für falsch und überzogen“, sagte er. Die Qualität würde mit weniger Kliniken steigen, sofern die „richtigen“ geschlossen, fusioniert oder in ambulante Einrichtungen umgewandelt würden. Was genau er mit „richtig“ meinte, differenzierte er nicht aus. 

Wir haben eine Anfrage bei der Pressestelle des Gesundheitsministeriums gestellt, wie Karl Lauterbach seine Aussagen heute einordnet, eine Antwort erhielten wir bisher jedoch nicht (Stand: 21. Dezember 2021).

Fehlender Kontext: Karl Lauterbach hat Nebeneinkünfte tatsächlich zu spät gemeldet – er sprach von einem „Riesenfehler“ 

Auf Facebook heißt es: „Karl Lauterbach hat Nebeneinkünfte zu spät gemeldet“. Dass er die verpasste Angabe der Nebeneinkünfte einen „Riesenfehler“ nannte und das Geld zuvor nach eigenen Angaben versteuert hatte, wird ausgelassen.

Im Mai 2021 gab es darüber mehrere Medienberichte. Auf Twitter schrieb der SPD-Politiker: „Mit 2 Monaten Verspätung habe ich Buchhonorarvorschuss vom 12/2020 an Bundestag gemeldet. Dabei fiel meinem Büro auf, dass alle Nebeneinnahmen aus 2018/19, 17.850 € für 4 Vorträge, noch nicht gemeldet waren. Riesenfehler, für den ich gerade stehe“. Auf Rückfragen antwortete er, das Geld sei versteuert worden. 

Lauterbach schrieb selbst am 23. Mai 2021, dass Nebeneinnahmen nachgemeldet werden mussten (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Bereits im Jahr 2011 kritisierte die Webseite Abgeordnetenwatch Lauterbach für undurchsichtige Angaben zu seinen Nebenverdiensten als Aufsichtsratsmitglied der Röhn-Klinikum AG.

Lauterbach musste sich wegen methodischer Mängel in einer Studie verantworten

Im Facebook-Beitrag wird behauptet, Lauterbach habe „nie als Mediziner praktiziert“. Das ist irreführend: Lauterbach ist Arzt und Mediziner und seit Jahren in Politik und Forschung im Medizinbereich tätig. Erst kürzlich impfte er beispielsweise Kinder gegen Covid-19, praktizierte demnach als Impfarzt.

Ein Mediziner ist jemand, der Medizin studiert hat. Lauterbach studierte laut seines Lebenslaufs Medizin von 1982 bis 1989 an der RWTH Aachen, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und der University of Texas San Antonio in den USA. Zudem habe er unter anderem einen „Master of Public Health“ von der Harvard School of Public Health mit Schwerpunkten Epidemiologie und Gesundheitsmanagement. 

In Deutschland zugelassener Arzt ist Lauterbach laut Medienberichten seit 2010. Damals erhielt er die Approbation, die er nach Abschluss seines Medizinstudiums zunächst nicht beantragt hatte. Das schreibt auch die Ärztekammer Nordrhein auf ihrer Website

Ab 1996 leitete er das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft an der Universität zu Köln. Laut DPA-Faktencheck war dies seine erste Professur. Inzwischen wurde das Institut umbenannt und heißt heute „Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie“. Wegen seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter ist Lauterbach als Leiter des Instituts derzeit beurlaubt (Stand: 22. Dezember 2021).

In Medienberichten wurde Lauterbach immer wieder als umstrittener Wissenschaftler und Politiker dargestellt. „Für den politischen Kampf setzt er schon mal seinen Ruf als Wissenschaftler aufs Spiel“, schrieb der Spiegel im Jahr 2004. Damals musste Lauterbach sich vor der Senatskommission der Kölner Universität laut des Medienberichts für wissenschaftliches Fehlverhalten verantworten, Grund seien methodische Mängel in einer Studie gewesen. Die Behauptung dazu im Facebook-Beitrag stimmt demnach.

Keine Belege, dass Lauterbach Personalausbeutung in der Rhön-Klinikum AG „geduldet“ habe

Wie auf Facebook behauptet, saß Lauterbach im Aufsichtsrat der Rhön-Kliniken. Laut eines Medienberichts trat er im Juni 2013 zurück, weil er in das Kompetenzteam des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück berufen worden war. 

Im Dezember 2013 wurde bekannt, dass der Konzern jahrelang Mitarbeiter ausgebeutet hatte. Ob Lauterbach davon wusste, ist unklar, Fragen der Süddeutschen Zeitung zu dem Thema beantwortete er nicht. Gegenüber der Tageszeitung sagte Lauterbach wenige Tage später: „Ich hätte selbst dann nicht einmal Alarm schlagen dürfen, wenn ich etwas gewusst hätte. Ich hätte nicht einfach mal nach außen treten dürfen, sondern wir hätten dieses Problem in unserer Funktion als Aufsichtsrat nach innen lösen müssen.“ 

Fazit: Den meisten Behauptungen über Lauterbach fehlt Kontext. Die Behauptung, Lauterbach habe „nie als Mediziner praktiziert“, ist irreführend: Lauterbach hat Medizin studiert und ist somit Mediziner, seit 2010 ist er außerdem als Arzt in Deutschland zugelassen. Zudem ist er seit Jahren in Politik und Forschung im Medizinbereich tätig.

Es stimmt, dass er auf Twitter 2019 vorschlug, jede zweite oder dritte Klinik zu schließen. Anlass war aber eine Studie, in der es um Qualität in Krankenhäusern ging. Die Corona-Pandemie war damals noch nicht aktuell. Lauterbach sagte, weniger Kliniken könnten mehr Qualität leisten. 

Es stimmt auch, dass Lauterbach 2021 Nebeneinkünfte zu spät meldete. Dies machte er aber selbst öffentlich und entschuldigte sich dafür. Laut seiner Angabe wurde das Geld versteuert.

Lauterbach musste sich tatsächlich vor der Senatskommission für wissenschaftliches Fehlverhalten der Kölner Universität verantworten – das war Anfang 2000. 

Er saß im Aufsichtsrat des Rhön-Klinikums bis 2013. Monate, nachdem er den Aufsichtsrat verlassen hatte, wurde bekannt, dass der Konzern offenbar jahrelang Mitarbeiter ausgebeutet hatte. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass sich Lauterbach weigerte, die Sache aufzuklären. Er sagte in späteren Interviews lediglich, er dürfe sich als ehemaliges Aufsichtsratsmitglied nicht weiter zu den Vorwürfen äußern.

Redigatur: Matthias Bau, Till Eckert