Voltaire-Zitat wird genutzt, um Stimmung gegen Covid-19-Impfstoffe zu machen
Der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire soll gesagt haben, dass Menschen, die sich zum Glauben an Absurditäten verleiten lassen, sich auch dazu verleiten lassen, Ungeheuerliches zu tun. Unser Faktencheck zeigt: Voltaire schrieb zwar etwas ähnliches, bezog sich dabei jedoch auf die Religion.
„Wer dich dazu bringt, Absurditäten zu glauben, bringt dich auch dazu, Ungeheuerlichkeiten zu tun.“ Dieses Zitat, das auf Facebook verbreitet wird, soll angeblich vom französischen Philosophen und Schriftsteller Voltaire stammen. Es wird genutzt, um Stimmung gegen Covid-19-Impfstoffe zu machen.
Der Satz wird in einem Beitrag auf Facebook zitiert, der die Verschwörungstheorie befeuert, dass angeblich Impfstoffe zur Bevölkerungsreduktion eingesetzt würden. Abgebildet ist unter anderem der Unternehmer Bill Gates, dem diese Absicht seit Jahren fälschlicherweise unterstellt wird. Dass Gates sich so nie geäußert hat, haben wir schon 2018 in einem Faktencheck erklärt.
Das Zitat stammt außerdem nicht wörtlich von Voltaire. Mutmaßlich beruht es auf einer Aussage des Philosophen, die im Original so lautet: „Wer berechtigt ist, einen ungereimt zu machen, kann ihn auch ungerecht machen.“ Es stammt aus einer Briefesammlung Voltaires. Wie uns Dagmar Comtesse vom Philosophischen Seminar der Universität Münster erklärte, handelt es sich dabei um fiktionale Werke, die eine Religionskritik darstellten.
Zitat basiert auf einer Aussage in einer Sammlung fiktiver Briefe von Voltaire
Hinter dem Pseudonym „Voltaire“ verbarg sich der französische Schriftsteller und Philosoph François-Marie Arouet (November 1694 bis Mai 1778). Das angebliche Zitat stammt aus dem elften Brief der Briefsammlung „Untersuchung über die Wunder“, den Arouet unter seinem anderen Pseudonym „le proposant“ („ein Vorschlagender“), schrieb.
Als Hinweis auf die Herkunft des Zitates diente uns ein Eintrag bei „Wikiquote“, einem Teil der Wikimedia Foundation, die auch die Wikipedia betreibt. Hier findet sich das französische Original des Zitats: „Certainement qui est en droit de vous rendre absurde est en droit de vous rendre injuste.“ Das Originalzitat fanden wir dann zum Beispiel in der „Collection Complette Des Œuvres De Mr. De Voltaire“ im Band 53 auf Seite 74. Das Buch ist online in der Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt verfügbar.
Eine deutsche Übersetzung des Zitats steht im sechsten Band von „Voltair’s theologischen Schriften“ aus dem Jahr 1788. Dort heißt es im Online-Reader des Münchener Digitalisierungszentrums auf Seite 456: „Wer berechtigt ist, einen ungereimt zu machen, kann ihn auch ungerecht machen.“
Ähnlich wird das französische Original auch vom Online-Übersetzer Deepl ins Deutsche übersetzt. Das Wort „Ungeheuerlichkeiten“, wie es auf Facebook heißt, kommt in den Übersetzungen nicht vor.
Voltaire setzte sich in seinem Brief mit Glaube und Irrationalität auseinander und kritisierte indirekt die Religion
Wir haben die Wissenschaftlerin Dagmar Comtesse, die unter anderem zur Philosophie der Aufklärung forscht, um eine Einschätzung des Zitates gebeten. Sie schrieb uns, der Brief sei von einem fiktiven „Ich“ geschrieben worden und diene der Kritik am Wunderglauben. Da es zur Zeit Voltaires nicht ungefährlich gewesen sei, „die Wunder der Bibel in Frage zu stellen“, habe Voltaire diese Kritik auf Umwegen ausgeübt.
Aus dem Kontext des Zitats geht hervor, was Voltaire meinte: Er schrieb, dass Menschen Dinge glauben würden, die sie mit ihrem Verstand nicht begreifen können. Er forderte jedoch, dass sie nicht bei allen Dingen des Lebens ihre Vernunft aufopfern. Sie sollten nicht Befehlen für ungerechte oder böse Taten folgen, sondern ihren Sinn für Gerechtigkeit benutzen.
So heißt es auf derselben Buchseite in „Voltair’s theologischen Schriften“:
„Glaube besteht darin, dass man das für wahr hält, was der Verstand nicht begreifen kann; und eben darin besteht das Verdienst. Aber, mein Herr, wenn wir auch durch den Glauben von Dingen überzeugt sind, die unserm Verstande ungereimt scheinen, d.h. wenn wir das glauben, was wir nicht glauben; so müssen wir uns doch hüten, in unserm Lebenswandel unsre Vernunft so aufzuopfern. Ehemals sagten gewisse Leute: Ihr glaubt, weil wir es Euch befolen haben, unbegreifliche, kontradiktorische, unmögliche Dinge; thut also auch, weil wir es Euch gebieten, ungerechte Handlungen. Diese Leute räsonierten ganz vortrefflich: Wer berechtigt ist einen ungereimt zu machen, kann ihn auch ungerecht machen. Wenn wir dem Befehle, etwas Unmögliches zu glauben, nicht den Verstand entgegensetzen, den Gott unserem Geiste erteilt hat, so müssen wir auch dem Befehle, etwas Böses zu tun, nicht die Gerechtigkeit entgegensetzen, die Gott in unser Herz legte. (…) Und eben das hat all die Religionsverbrechen bewirkt, von denen die Welt überschwemmt worden ist.“ (Seite 456 und 457 im Online-Reader).
Voltaire ziehe den Vergleich von einem „dogmatischen Glauben zu verbrecherischen/unmoralischen Handlungsweisen“, um „die desaströsen Folgen klar zu machen, die eine Unterordnung des Verstandes unter eine der Intelligenz widersprechenden Religion hat“, erklärt Comtesse. Als Folge einer solchen Unterordnung benne Voltaire die Religionskriege.
Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann