Faktencheck

Irreführende Behauptungen über gemeldete Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen in der Vigibase-Datenbank der WHO

In einem Artikel wird behauptet, die hohe Zahl der an die WHO gemeldeten Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung zeige, dass diese so gefährlich sei wie keine andere Impfung. Das ist eine irreführende Schlussfolgerung, die sich so aus den Daten nicht ableiten lässt: Aufgrund der vielen Impfungen und der großen Aufmerksamkeit für das Thema gibt es sehr viele Meldungen. Die Zahlen in der Datenbank sind zudem Verdachtsfälle und keine bestätigten Nebenwirkungen.

von Sophie Timmermann

Impfung-mRNA-medizinischer Handschuh
Ein Artikel behauptet, die der WHO gemeldeten Nebenwirkungen zeigten, die Covid-19-Impfung sei so gefährlich wie keine andere. Dieser Behauptung fehlt jedoch Kontext. (Symbolbild: Pixabay).
Behauptung
Die WHO bestätige offiziell, dass die Covid-Impfung so gefährlich sei wie keine andere.
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Größtenteils falsch. Die WHO hat das nicht bestätigt. Die Datenbank der WHO, auf die sich die Behauptung stützt, führt Verdachtsfälle auf, die in einem zeitlichen Zusammenhang zur Impfung stehen.

„WHO bestätigt offiziell: Covid-Impfung ist gefährlich wie keine andere“, titelte die Webseite Report24 in einem am 18. November veröffentlichten Artikel. In dem Text wird behauptet, die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldeten Nebenwirkungen zur Covid-19-Impfung zeigten, dass es „so viele wie bei sonst keinem Vakzin oder Medikament gebe“. Laut dem Analyse-Tool Crowdtangle wurde der Artikel bisher mehr als 11.500 Mal auf Facebook geteilt (Stand 30. November). Derselbe Text wurde auch am 21. November auf einer Webseite aus der Schweiz veröffentlicht und auf Twitter geteilt (hier und hier). 

Nach unseren Recherchen verbreitete Report24 schon mehrfach falsche Informationen über die Corona-Maßnahmen und Impfungen

Auch die Behauptung über die WHO führt in die Irre. Die Datenbank der WHO, Vigibase, listet lediglich Verdachtsfälle von Nebenwirkungen. Ein kausaler Zusammenhang zur Impfung muss dabei nicht bestätigt sein. 

Anzahl der gemeldeten Nebenwirkungen hängt mit globaler Impfkampagne zusammen 

Immer wieder wird die Anzahl der gemeldeten Verdachtsfälle herangezogen, um Stimmung gegen die Covid-19-Impfstoffe zu machen. Auch auf die Datenbank der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) wurde dabei schon Bezug genommen. 

Dass in Europa so viele vermutete Nebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen gemeldet werden, sei aber nicht erstaunlich, erklärte uns eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) bereits für einen Faktencheck im April: „Es laufen in allen Mitgliedstaaten die Covid-19-Impfkampagnen, bei denen in einer nie dagewesenen Größenordnung geimpft wird. Da ist es nur natürlich, dass auch besonders viele Verdachtsfallmeldungen eingehen. Aber das ist ja genau der Punkt: Es sind Verdachtsfallmeldungen, nicht bestätigte Nebenwirkungen.“

Dass die Zahl der Meldungen in den verschiedenen Datenbanken steigt, hat demnach vor allem damit zu tun, dass weltweit Impfkampagnen gegen Covid-19 laufen und daher die Aufmerksamkeit für dieses Thema sehr hoch ist.

Vigibase-Datenbank zeigt Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, diese müssen aber nicht bestätigt sein 

Wie die in der Datenbank Vigibase aufgeführten Nebenwirkungen nach einer Covid-19-Impfung zu verstehen sind, haben wir bereits vor einigen Monaten in einem ausführlichen Faktencheck erklärt. Schon damals wurde der Anstieg der Meldungen in der Datenbank als Beleg interpretiert, dass die Corona-Impfungen gefährlich seien.

Die Datenbank Vigibase führt potenzielle Nebenwirkungen zu Arzneimitteln und Impfstoffen auf und wird vom schwedischen Uppsala Monitoring Centre (UMC) beaufsichtigt. Das UMC ist für die Arzneimittelüberwachung im Auftrag der WHO zuständig. Es startete 2015 die Webseite Vigiaccess. Mit ihr kann die Öffentlichkeit auf die Meldungen in der WHO-Datenbank Vigibase zugreifen. 

Wie der Vigiaccess-Webseite zu entnehmen ist, bedeuten die Angaben zu potenziellen Nebenwirkungen nicht, dass das Arzneimittel oder eine Impfung – in diesem Fall gegen Covid-19 – die gemeldete Nebenwirkung verursachte, oder nicht sicher sei.

Antwort auf der Webseite Vigiaccess zu der Bedeutung von gemeldeten Nebwenwirkungen
Auf der Webseite von Vigiaccess wird betont, dass gemeldete Nebenwirkungen keinen bestätigten Zusammenhang zwischen dem Arzneimittel und der Nebenwirkung bedeuten (Quelle: Vigiaccess / Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Pressestelle aus Uppsala schrieb uns dazu für unseren Faktencheck im Juni: „Die Suchergebnisse von VigiAccess/VigiBase allein enthalten nicht genügend Informationen oder Kontext, um Rückschlüsse auf einen kausalen Zusammenhang zwischen einem Arzneimittel (Medikamente und Impfstoffe) und einer bestimmten Nebenwirkung zu ziehen.“ 

Die Behauptung des Artikels, die WHO würde offiziell bestätigen, dass die Covid-Impfung so gefährlich sei wie keine andere, ist somit falsch. 

Report24 vergleicht Daten zu Arzneimitteln mit Daten zu Impfstoffen 

In dem Artikel von Report24 wird außerdem eine Grafik gezeigt, die die vergleichsweise wenigen gemeldeten Nebenwirkungen bei anderen Impfstoffen, etwa gegen Masern oder Mumps, hervorhebt. In der Liste finden sich aber auch alltägliche Arzneimittel, wie die Schmerzmedikamente Ibuprofen und Aspirin, oder Medikamente, die gar nicht weltweit eingesetzt werden, wie das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin. 

Die angegebenen Zahlen konnten wir nicht überprüfen, da in Vigiaccess nur die am jeweiligen Tag verfügbaren Daten abrufbar sind. Sucht man aktuell (30. November) in der Datenbank nach den jeweiligen Impfstoffen, findet man jedoch ähnliche Zahlen. In dem Artikel werden zum Beispiel 5.827 gemeldete Nebenwirkungen nach Impfung gegen  Masern, 121.988 bei einer Polio-Impfung und 272.202 bei einer Impfung gegen Influenza angegeben. Nach neuestem Stand finden sich 5.836 gemeldete Nebenwirkungen für Masern, 122.565 für Polio und 275.922 für Influenza. 

Dennoch führt auch dieser Vergleich in die Irre. 

Wie das UMC in seinen  „Fragen und Antworten“ (Seite 6) schreibt, können die Daten zu verschiedenen Arzneimitteln nicht miteinander verglichen werden und keine Schlüsse daraus gezogen werden, dass ein Arzneimittel sicherer als ein anderes sei. Es könnten auch andere Faktoren zu den gemeldeten Nebenwirkungen geführt haben.

Daten verschiedener Arzneimittel können laut UMC nicht miteinander verglichen werden
Das UMC antwortet auf die Frage „Kann ich das Sicherheitsprofil verschiedener Medikamente anhand der Daten von VigiBase vergleichen?“ mit Nein (Quelle: Vigiaccess / Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Faktencheck-Redaktionen von Reuters und Mimikama haben sich ebenfalls im November mit dem Thema beschäftigt. Gegenüber Reuters bestätigte die Pressestelle aus Uppsala zudem, dass die im Artikel von Report24 und auf Twitter kursierende Grafik nicht von ihnen oder der WHO stammt. 

Aussagen über Schutzwirkung der Impfung und Herzmuskelentzündungen sind irreführend 

Der Artikel von Report24 macht außerdem irreführende Aussagen über die Wirksamkeit der Covid-19-Impfung. In dem Text wird behauptet, dass „die ohnehin nur rudimentäre Schutzwirkung nur wenige Monate“ anhalte. Die Covid-19-Impfung führt jedoch nachweislich zu deutlich weniger symptomatischen Infektionen, Krankenhauseinweisungen und Todesfällen, wie wir in einem Faktencheck vom 12. November erklärt haben.

Der Artikel behauptet ebenfalls, dass die Impfung „längerfristige Todesfolgen“ habe und führt dabei eine Myokarditis (Herzmuskelentzündung) als „Hauptnebenwirkung der mRNA-Vakzine“ auf. Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) sind tatsächlich eine seltene Nebenwirkung von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19, wie wir kürzlich in einem Faktencheck erklärt haben. Zu den Folgen schreibt das Paul-Ehrlich-Institut in seinem aktuellen Sicherheitsbericht (Seite 5), dass die meisten Patienten gut auf Behandlung und Ruhe ansprächen und sich schnell besser fühlten. 

Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Online-Tool „Vigiaccess“: Link
  • Uppsala Monitoring Centre über die Datenbank „Vigibase“: Link