Irreführende Überschrift: Karl Lauterbach hat nicht gesagt, dass Intensivstationen „nie überlastet“ waren
Während der Corona-Pandemie sind einige Intensivstationen in Deutschland an ihre Grenzen gestoßen, es waren aber nie gleichzeitig alle Intensivstationen deutschlandweit überlastet. Das teilte das Gesundheitsministerium im Februar mit – die Bild-Zeitung berichtete darüber. Doch die Überschrift des Bild-Artikels sorgte für Diskussionen.
Mitte Februar titelte die Bild: „Lauterbach: Intensivstationen waren nie überlastet“ – online und in der gedruckten Zeitung. In Sozialen Netzwerken wurde der Bericht schnell aufgegriffen und verbreitet. Einige Nutzer interpretierten die Überschrift als Beleg, dass Lauterbachs Warnung vor einer Überlastung von Intensivstationen eine Lüge gewesen sei. In vielen Beiträgen ist nur ein Screenshot oder Foto der Überschrift zu sehen. Manche verlinken auch den Bild-Artikel, der Inhalt ist jedoch kostenpflichtig.
Die Überschrift des Bild-Artikels ist ohne Kontext irreführend: Einerseits wirkt es so, als stamme die Aussage von Lauterbach persönlich – das ist nicht der Fall, sie stammt aus einer schriftlichen Anfrage von Wolfgang Kubicki (FDP) an das Gesundheitsministerium, ob es seit Mai 2021 „eine systemische Überlastung des Gesundheitswesens“ gegeben habe.
Darauf antwortete das Ministerium unter anderem, die Belastung der Krankenhäuser sei regional unterschiedlich; im Frühjahr und Herbst 2021 sei es regional zu einer Überlastung der Intensivstationen gekommen. „Eine deutschlandweite, regional gleichzeitige Überlastung aller verfügbaren ITS-Kapazitäten, die eine systemische Unterversorgung von intensivpflichtigen Covid-19-Fällen oder deren strategische Verlegung ins Ausland bedeutet hätte, trat nicht ein.“
Diese Informationen finden sich auch in dem Bild-Artikel, allerdings erst ab dem vierten Absatz im Text – wer Bild nicht abonniert hat, kann diesen Teil nicht lesen.
Intensivstationen waren während der Pandemie überlastet – aber nicht überall gleichzeitig in Deutschland
Wir haben auf unsere schriftliche Anfrage keine Antwort der Bild erhalten, doch die Redaktion äußerte sich gegenüber Übermedien: Nach Ansicht der Redaktion lege die Artikelüberschrift nicht nahe, dass Bundesminister Lauterbach selbst diese Aussage getroffen habe; Anführungszeichen seien nicht gesetzt worden. Stattdessen lege der Artikel nahe, dass die Aussage Karl Lauterbach zuzuordnen sei, da sie aus seinem Ministerium komme.
Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) schrieb uns zu dem Artikel: „Bild suggeriert, das Gesundheitswesen sei nicht überlastet gewesen. Das ist schlicht falsch. Die Antwort des BMG auf die parlamentarische Frage von MdB Kubicki gibt das nicht her.“ Die Situation sei „dramatisch“ gewesen. Dazu erhielten wir eine Kopie der Antwort des Gesundheitsministeriums an Kubicki (PDF, Download).
Die Bild-Redaktion erklärte laut Übermedien, im Text werde das vollständige Zitat explizit wiedergegeben. „Wie Sie wissen, werden Überschriften in sämtlichen Zeitungen (…) zugespitzt und gekürzt, so auch hier. Bild hat nicht geschrieben ‚Alle Intensivstationen waren nie überlastet‘ bzw. ‚Keine Intensivstation war überlastet.‘“ Die Überschrift verfälsche nichts.
Der Bild-Bericht zitiert – hinter der Paywall – zwei Punkte aus der Antwort des Gesundheitsministeriums, die Kontext zum Thema „Überlastung“ liefern:
- Im Frühjahr und im Herbst 2021 hätten wegen regionaler Engpässe Patienten innerhalb Deutschlands verlegt werden müssen.
- Auf dem Höhepunkt der vierten Welle (Herbst 2021) hätten bis zu 70 Prozent der Intensivbereiche teilweise oder vollständig eingeschränkten Betrieb gemeldet.
Auch Medienberichte von Herbst 2021 zeigen: Teils wurden Patientinnen und Patienten per Helikopter in andere Städte geflogen.
Redigatur: Alice Echtermann, Steffen Kutzner