Nein, Geburtsschmerzen lassen sich nicht durch „Schmerzeinheiten“ ausdrücken
Im Netz wird behauptet, dass eine Frau bei einer Geburt „mehr Schmerzeinheiten“ ertrage, als eigentlich für einen Menschen möglich wäre. So etwas wie „Schmerzeinheiten“ gibt es jedoch gar nicht, denn Schmerz ist subjektiv.
In einem mehr als 3.500 Mal geteilten Facebook-Beitrag wird behauptet: „Der menschliche Körper kann nur 45 Schmerzeinheiten aushalten, doch bei der Geburt hält eine Frau bis zu 57 Schmerzeinheiten aus, was so viel ist, als würde man ihr 20 Knochen auf einmal brechen.“ Doch das ist falsch, messbare Schmerzeinheiten gibt es nicht. Die Behauptung kursiert in ähnlicher Weise schon seit mindestens 2010.
Außer Frage steht, dass eine Frau bei der Geburt intensive Schmerzen durchlebt. In der Taz beschrieb die Journalistin Emilia Smechoswki sie ihn in einem Artikel „als hätte Ihnen der Arzt ein paar Aspirin gegeben und würde Ihnen dann ein Bein amputieren. Und das eine ganze Nacht lang.“
Andrea Hagen-Herpay, beratende Hebamme beim Deutschen Hebammen-Verband, erklärte uns telefonisch, dass die Beschreibungen gebärender Frauen sehr vielfältig seien, von Vergleichen mit Messerstichen über Aussagen wie „es zerreißt mich“ oder „ich sterbe“.
Schmerz ist nicht objektiv messbar
Es gibt jedoch keine objektive „Schmerzeinheit“, weshalb die auf Facebook verbreitete Behauptung, dass 57 Schmerzeinheiten 20 Knochenbrüchen entsprechen würden und nur 45 Schmerzeinheiten erträglich seien, irreführend ist.
Es gibt zwar zum Beispiel eine Schmerzskala von 1 (kein Schmerz) bis 10 (unvorstellbarer Schmerz), die Mediziner einsetzen, um Patientinnen und Patienten subjektiv ihre Schmerzen einschätzen zu lassen. Aber individuell empfundener Schmerz ist nicht über den jeweiligen Menschen hinaus vergleichbar und kann auch nicht objektiv gemessen oder mit einer Einheit versehen werden.
Die Schmerzen, die Frauen bei einer Geburt erleben, hängen von mehreren Faktoren ab
„Schmerz ist nie objektiv messbar“, erklärt dazu Maike Manz, Sektionsleiterin der Geburtshilfe am Klinikum Darmstadt. Zudem verursache eine Geburt nicht bei jeder Frau gleichstarke Schmerzen: Das Schmerzempfinden während der Geburt sei unter anderem abhängig von der Angst der Frau, von ihren Vorerfahrungen, der Art der Betreuung während der Schwangerschaft und von kulturellen Aspekten. Der Geburtsschmerz zähle jedoch zu den intensivsten, die eine Frau erleben kann.
Womöglich basiert die Behauptung auf einer 1947 vorgeschlagenen Skalierung von Schmerzintensität, der sogenannten Dol-Einheit. Drei Forscher, die auch selbst als Versuchspersonen fungierten, richteten einen Wärmestrahl auf ihre Stirn, der stufenweise immer heißer wurde. Mit dem Experiment sollte herausgefunden werden, welche Temperaturen und damit verbundener Schmerz noch unterscheidbar sind. Die Dol-Skala endete jedoch bei 12 und ging nicht bis 45 oder 57.
Auf die Frage, ob die Dol-Skala bei Entbindungen Anwendung findet, schrieb uns Maike Manz: „Nein, die vorgeschlagene Schmerzskala ist in der Geburtshilfe in keiner Weise gebräuchlich.“ Auch die oben genannte Schmerzskala werde bei Geburten laut Mainz nicht routinemäßig genutzt.
Man kann also Schmerz weder objektiv messen, noch lässt sich eine Geburt pauschal mit dem Schmerz vergleichen, den 20 Knochenbrüche verursachen würden, weil jede Frau die Geburt und deren Intensität unterschiedlich erlebt.
Redigatur: Uschi Jonas, Sophie Timmermann