Faktencheck

Nein, Flüchtlinge aus der Ukraine bekommen in Deutschland nicht zehn Jahre früher Rente als Deutsche 

In Sozialen Netzwerken kursiert das Gerücht, Geflüchtete aus der Ukraine bekämen in Deutschland eher Rente als Deutsche, obwohl sie hier niemals in die Rentenversicherung eingezahlt hätten. Das ist falsch – sie müssen mehrere Jahre einzahlen, bevor sie einen Rentenanspruch erhalten. 

von Alice Echtermann

Rente Rentenversicherung Deutschland
Mit falschen Behauptungen über Rentenansprüche von ukrainischen Flüchtlingen wird Stimmung in Sozialen Netzwerken gemacht (Symbolbild: Picture Alliance / Sven Simon / Frank Hoemann)
Behauptung
Flüchtlinge aus der Ukraine dürften laut Beschluss der Ampelkoalition zehn Jahre früher als Deutsche Rente beziehen, ohne jemals eingezahlt zu haben. Diese Anweisung sei an die zuständigen Mitarbeiter der Jobcenter gegangen. 
Bewertung
Falsch. Menschen aus der Ukraine müssen die normale Mindestversicherungszeit erfüllen, also erst fünf Jahre in die Rentenversicherung einzahlen, bevor sie in Deutschland einen Rentenanspruch haben. Beim Renteneintrittsalter gibt es ebenfalls keine Ausnahmeregelung. 

Seit Tagen kursiert auf Whatsapp und Facebook die Behauptung, Geflüchtete aus der Ukraine dürften zehn Jahre früher als Deutsche in Rente gehen, auch wenn sie nie in Deutschland Beiträge eingezahlt hätten. Das Eintrittsalter beginne für Frauen bei 57 Jahren, bei Männern ab 60 Jahren, während es für deutsche „Einzahler“ bei 67 Jahren liege. Angeblich sei diese Anweisung per E-Mail an die Jobcenter gegangen. 

Es handelt sich um eine Falschinformation. Der älteste Beitrag auf Facebook, den wir finden konnten, ist vom 22. April. Die Behauptung tauchte jedoch bereits am 14. April in Kommentaren auf zwei privaten Blogs auf (hier und hier). Der Ursprung ist offenbar ein Telegram-Kanal namens „Conspiracy Newsroom“, wo die Aussage am 13. April veröffentlicht wurde. Der Kanal gehört der QAnon-Szene an.   

Sharepic mit falschen Behauptungen über Ukrainer und Rente in Deutschland
Dieses Bild mit falschen Behauptungen über das Rentenalter von Menschen aus der Ukraine wird auf Whatsapp und Facebook verbreitet (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Geflüchtete aus der Ukraine haben in Deutschland keinen Anspruch auf Rente, wenn sie nichts eingezahlt haben 

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) teilte uns auf Anfrage per E-Mail mit: „Die Zentrale der BA hat hierzu keine E-Mail-Weisung veröffentlicht.“ In Deutschland sind auch nicht die Jobcenter zuständig für Rentenanträge, sondern die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung werden in der Regel vom Gehalt einbehalten. 

Arbeitszeiten im Ausland können laut DRV in Deutschland nur angerechnet werden, wenn es sich um ein EU-Mitgliedsland handelt, oder das Land mit Deutschland ein Sozialversicherungsabkommen hat. Ein solches Abkommen hat das Ziel, dass einmal erworbene Rentenansprüche nicht verloren gehen. Ein vereinfachtes Beispiel: Eine Person wandert aus, bevor sie lange genug gearbeitet hat, um die  Mindestversicherungszeit in ihrem Land zu erfüllen. Die Arbeitszeit in dem anderen Land kann dann mit der in der Heimat zusammengezählt werden. Ein anderes typisches Beispiel sind deutsche Rentnerinnen, die ins Ausland ziehen und ihre Rente aus Deutschland weiterhin ohne Abzüge erhalten wollen. 

Die Bedingungen dafür seien bei der Ukraine jedoch nicht erfüllt, erklärt uns ein Pressesprecher der DRV, Dirk Manthey, telefonisch; die Behauptungen in Sozialen Netzwerken ergäben keinen Sinn. 

Ukrainerinnen und Ukrainer können sich in Deutschland ihre Arbeitszeiten in der Ukraine also nicht anrechnen lassen. Um überhaupt einen Rentenanspruch in Deutschland zu erhalten, müssten sie hier mindestens fünf Jahre Beiträge zur Gesetzlichen Rentenversicherung zahlen, sagt Manthey. Das ist die normale Mindestversicherungszeit, auch Wartezeit genannt. Und auch beim Eintrittsalter in die Rente gebe es die gleichen Regeln wie für Deutsche; eine Unterscheidung für Männer und Frauen existiere nicht. (In der Ukraine ist das Renteneintrittsalter für Frauen und Männer aber tatsächlich unterschiedlich.) 

Sozialversicherungsabkommen zwischen der Ukraine und Deutschland ist noch nicht von beiden Seiten ratifiziert

Ein Sozialversicherungsabkommen zwischen der Ukraine und Deutschland ist bereits seit einigen Jahren in der Schwebe. Die Deutsche Rentenversicherung informierte 2019 in einem Artikel über die Inhalte, auf die die Staaten sich 2018 geeinigt hatten. Aktuell steht auf der Webseite der DRV der Hinweis: „Am 7. November 2018 haben Deutschland und die Ukraine in Kiew ein Abkommen über Soziale Sicherheit unterzeichnet. Zum endgültigen Inkrafttreten müssen noch die parlamentarischen Gremien beider Staaten zustimmen.“ 

Die Techniker Krankenkasse erklärt auf ihrer Webseite, dass Deutschland das Abkommen im Januar 2020 ratifiziert habe. Es wurde am 17. Januar 2020 im Bundesanzeiger veröffentlicht. Doch die Zustimmung der Ukraine stehe noch aus. Das heißt, das ukrainische Parlament hat dem Vertrag noch nicht zugestimmt, daher ist das Sozialversicherungsabkommen aktuell nicht in Kraft. 

Redigatur: Steffen Kutzner, Sophie Timmermann   

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Artikel der Deutschen Rentenversicherung über das Sozialversicherungsabkommen mit der Ukraine, 2019: Link (PDF-Download)
  • Informationen der Deutschen Rentenversicherung zu Rentenansprüchen von Menschen aus dem Ausland / Rente im Ausland: Link
  • Informationen der Deutschen Rentenversicherung über Deutschlands Sozialversicherungsabkommen mit anderen Ländern: Link
  • Informationen der Deutschen Rentenversicherung über die Ukraine: Link