Faktencheck

Keine Belege dafür, dass die Zahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg wegen Covid-19-Impfungen steigt

Ein Facebook-Nutzer behauptet, die gestiegene Zahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg wecke Zweifel an den Zahlen zu Impfnebenwirkungen des Paul-Ehrlich-Instituts. Damit wird suggeriert, Covid-19-Impfungen seien für die höhere Zahl der Einsätze verantwortlich. Diese Spekulation ist durch die Zahlen jedoch nicht belegbar.

von Viktor Marinov

Rettungseinsätze Symbolbild Johanniter
Es gab 2021 in Baden-Württemberg viele Rettungseinsätze – in einem Facebook-Beitrag wird das ohne Belege in Zusammenhang mit der Impfung gebracht (Symbolbild: Pixabay / Jonas-Augustin)
Behauptung
In Baden-Württemberg habe es 2021 140.000 mehr Rettungseinsätze gegeben als 2020 und damit so viele wie nie zuvor. Das sei auf die Impfungen gegen Covid-19 zurückzuführen.
Bewertung
Unbelegt. Die Zahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg stimmt, weicht laut Innenministerium jedoch nur leicht von der Anzahl der Rettungseinsätze vor der Pandemie ab. Im Vergleich zu 2020 ist die Zahl deutlich gestiegen, im Vergleich zu den Jahren davor jedoch nur leicht, im Vergleich zu 2017 lediglich um 1,4 Prozent. Für den postulierten Zusammenhang zwischen den Zahlen und der Impfung gibt es zudem keine Belege.

„Das Raten hat ein Ende. Erneut bestätigen sich die Beobachtungen der vergangenen Monate“: So beginnt ein Facebook-Beitrag, der die gestiegene Anzahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg suggestiv in Zusammenhang mit Impfungen gegen Covid-19 bringt. Der Grund für den Anstieg, so heißt es im Beitrag, liege auf der Hand: „Und es lässt die Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) nurmehr weiter stark anzweifeln“. Das PEI informiert in seinen Sicherheitsberichten regelmäßig über Verdachtsfällen von Impfnebenwirkungen.

Auch in den Kommentaren unter dem Beitrag werden Covid-19-Impfungen immer wieder thematisiert. „So fragt eine Nutzerin: Wie will man eigentlich die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufrecht erhalten?“ Eine andere Nutzerin schreibt: „Das sind jetzt die plötzlichen Erwachsenentode, die aus dem Nichts kommen und für die es keine Erklärung gibt, so als hätte es diese Massenimpfungen nicht gegeben.“  

Doch es gibt keine Belege dafür, dass es wegen der Impfungen mehr Rettungseinsätze gegeben hat – laut des Innenministeriums von Baden-Württemberg liegt die Zahl der Rettungseinsätze für 2021 auf dem gleichen Niveau wie vor der Pandemie.

Facebook-Beitrag Rettungseinsätze und Corona-Impfung
Dieser Facebook-Beitrag konstruiert einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der gestiegenen Anzahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg – dafür gibt es aber keine Belege (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Innenministerium: Zahlen von 2021 entsprechen dem Niveau vor der Pandemie

Als Beleg für die Zahl der Rettungseinsätze verlinkt der Facebook-Nutzer einen Artikel der Deutschen Presse-Agentur, der am 20. Mai 2022 auf Zeit Online veröffentlicht wurde. Die Zahl der Rettungseinsätze, die darin genannt wird, ist korrekt. Das bestätigte uns das Innenministerium von Baden-Württemberg. 2020 gab es demnach insgesamt 1,207 Millionen Einsätze, 2021 waren es 1,349 Millionen – also rund 142.000 mehr Einsätze. Doch vor der Pandemie war die Zahl der Einsätze ähnlich hoch. 

Das Innenministerium teilte uns mit, dass es 2017 etwa 1,330 Millionen Einsätze gab. Das sind nur 19.000 weniger als 2021. 2018 und 2019 gab es jeweils 1,321 und 1,319 Millionen Rettungseinsätze. „Es handelt sich bei den Zahlen von 2021 um keinen Ausreißer nach oben, sondern vielmehr um eine Angleichung an das Vor-Corona-Niveau“, schrieb uns eine Sprecherin des Ministeriums. Im Vergleich zu 2017 zum Beispiel sind die Zahlen lediglich um 1,4 Prozent gestiegen. Das bedeutet: Es gab 2021 nicht auffällig viele Einsätze, sondern 2020 auffällig wenige.

Anzahl Rettungseinsätze Baden-Württemberg 2017 bis 2021
Die Zahl der Rettungseinsätze in Baden-Württemberg war 2021 zwar deutlich höher als im Jahr davor, aber kein Ausreißer vom allgemeinen Trend der vergangenen Jahre (Quelle: Innenministerium Baden-Württemberg)

Welcher Anteil der Einsätze etwas mit der Corona-Impfung zu tun hatten, konnte uns das Innenministerium nicht sagen. Der Rettungsdienst erfasse das Unfallgeschehen und den konkreten Gesundheitszustand der jeweiligen Patientinnen; „ob diese […] mit einer Impfung im Zusammenhang stehen, wird grundsätzlich nicht erfasst“.

Der Rückgang der Zahl der Rettungseinsätze im Jahr 2020 könnte dagegen tatsächlich etwas mit der Pandemie haben. Er stehe „möglicherweise auch mit dem – bedingt durch die Corona-Beschränkungen – geringeren Verkehrsaufkommen und der Abnahme von Freizeitaktivitäten in Zusammenhang“, schrieb uns die Sprecherin. Das Bayerische Rote Kreuz wies zudem in einer Pressemitteilung Anfang Februar darauf hin, dass Menschen am Anfang der Pandemie seltener den Notruf wählten, aus Angst, sich im Krankenhaus mit Covid-19 anzustecken. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie berichtete, dass sich sogar Menschen mit Schlaganfall-Symptomen während der Pandemie seltener beim Notruf meldeten.

So entwickelt sich die Zahl der Rettungseinsätze der Feuerwehr in Berlin und Hamburg

Für die meisten Bundesländer ist die Zahl der Rettungseinsätze für das Jahr 2021 noch nicht veröffentlicht. In Hamburg hat jedoch die Feuerwehr, die neben anderen Rettungsdiensten auch Notfalleinsätze durchführt, ihre Bilanz veröffentlicht. Bei diesen Zahlen ist ein ähnlicher Trend wie in Baden-Württemberg zu beobachten: Zwischen 2016 und 2018, also vor der Pandemie, fuhr die Hamburger Feuerwehr zwischen 282.000 und 287.000 Einsätze im Jahr (Jahresbericht 2018, Seite 18). Im Jahr 2020 sank die Zahl auf 226.000 und stieg im Jahr 2021 wieder auf 251.000 (Jahresbericht 2021, Seite 8). 

Einen ähnlichen Trend berichtet das Bayerische Rote Kreuz in seiner Pressemitteilung. In Bayern sei die Zahl der Rettungseinsätze 2020 auf 1,2 Millionen gesunken – im Jahr davor und im Jahr danach seien es 1,3 Millionen Einsätze gewesen. 

In Berlin hingegen steigen die Rettungseinsätze der Feuerwehr seit 2017 (Jahresbericht 2019, Seite 132) kontinuierlich an, sie sind auch 2020 (Seite 159) und 2021 (Seite 213) weiter gestiegen.

Dass die Zahl der Rettungseinsätze der Feuerwehr in der Hauptstadt und weiteren Bundesländern steigt, war bereits 2018 in einem Spiegel-Interview zu lesen. Dirk Aschenbrenner, Präsident der Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes, nannte im Interview mehrere Gründe für den Anstieg: „Unsere Gesellschaft altert, es gibt immer mehr Single-Haushalte, der Rettungsdienst wird zunehmend als Dienstleister wahrgenommen. Was hinzukommt: Die medizinische Versorgung vor Ort durch Hausärzte hat in den letzten Jahren abgenommen, diese Versorgungslücke füllt der Rettungsdienst.“

Fazit: Es gibt keine Belege dafür, dass die im Vergleich zu 2020 gestiegene Zahl der Rettungseinsätze mit Impfungen gegen Covid-19 in Zusammenhang steht. Es gab 2021 in Baden-Württemberg nicht wesentlich mehr Rettungseinsätze als 2017, 2018 oder 2019. Bundesweit gab es schon lange vor der Pandemie in Teilen Deutschlands einen Anstieg der Rettungseinsätze bei der Feuerwehr.

Redigatur: Matthias Bau, Steffen Kutzner