Irreführender Vergleich: Alte Studie belegt nicht, dass seit Beginn der Covid-19-Impfungen „1700 Prozent“ mehr Sportler gestorben sind
Eine Webseite vergleicht eine Studie aus 2006 mit einer Liste, die vermeintliche Todesfälle bei Sportlerinnen und Sportlern seit Beginn der Covid-19-Impfungen erfasst. Das soll belegen, dass die Zahl der Todesfälle zuletzt stark gestiegen sei. Der Vergleich hinkt: Es werden unterschiedliche Alters- und Personengruppen sowie Vorfälle miteinander verglichen. Ob die Personen überhaupt geimpft waren, ist nicht belegt.
„1700 Prozent mehr Sportler gestorben seit es die C19-Impfung gibt! Sollte mehr als zu Denken geben“, heißt es am 19. Juni in einem Twitter-Beitrag. Am 1. August schreibt die Webseite Uncut-News: „Die durchschnittliche monatliche Zahl der Todesfälle zwischen Januar 2021 und April 2022 liegt um 1700 Prozent höher als der monatliche Durchschnitt zwischen 1966 und 2004.“ Das liege „höchstwahrscheinlich“ an der Covid-19-Impfung.
Die Schlüsse, die aus diesen Daten gezogen werden, sind falsch.
Die Behauptungen bedienen ein Narrativ, das sich seit Pandemiebeginn immer wieder verbreitet: Es sei ein angeblich starker Anstieg von Herzstillständen bei Sportlern zu beobachten, der auf die Covid-19-Impfungen zurückzuführen sei. Inzwischen kursieren mehrere Listen von vermeintlichen Vorfällen bei Sportlern, die einen angeblichen Bezug zur Covid-19-Impfung haben.
So auch in diesem Fall.
Webseite vergleicht Studie aus 2006 mit einer Liste mit ungenauer Methodik
Die Webseite Uncut-News bezieht sich auf eine Liste, die auf einer englischsprachigen Webseite ohne Impressum veröffentlicht wurde. Sie erfasst angebliche Zusammenbrüche und Todesfälle von Athletinnen und Athleten, über die online berichtet wurde. Auf der englischsprachigen Webseite wird behauptet: „Viele dieser Herzprobleme und Todesfälle treten kurz nach Erhalt eines Covid-Impfstoffs auf.“
Uncut-News stellt laut eigener Angabe auf Grundlage dieser Liste die Anzahl der Zusammenbrüche und Todesfälle von Athleten für den Zeitraum vom 21. Januar 2021 bis 22. April 2022 dar. Demnach habe es in dieser Zeit 673 Todesfälle gegeben. Dem widersprechen archivierte Versionen der Webseite, von der die Daten stammen: dort waren beispielsweise am 2. Mai 2022 nur 644 Fälle verzeichnet.
Verglichen werden diese Zahlen mit Daten aus einer Schweizer Studie von Dezember 2006, die Sudden Cardiac Deaths (SCD) — also plötzliche Herzstillstände mit tödlicher Folge — bei Sportlerinnen und Sportlern unter 35 Jahren zwischen 1966 und 2004 untersuchte. Die Studie verzeichnete in dieser Zeitspanne 1.101 Fälle, die in der Literatur erwähnt wurden.
Diese unterschiedlichen Zahlen setzt der Artikel ins Verhältnis, indem er daraus jeweils einen Monatsdurchschnitt unterstellt: Bei 1.101 Fällen im Zeitraum zwischen 1966 und 2004 wären dies 2,35 Fälle pro Monat (468 Monate insgesamt); bei der falschen Zahl – den 673 Fällen zwischen Januar 2021 und April 2022 – wären es 42 Fälle pro Monat (16 Monate insgesamt). Setzt man die angeblichen Fälle pro Monat miteinander ins Verhältnis, ergibt sich daraus eine Steigerung von knapp 1.700 Prozent.
Die Liste und die Studie sind nicht vergleichbar, sie decken unterschiedliche Altersgruppen und Todesursachen ab. Zudem sind in der Liste, anders als in der Schweizer Studie, nicht nur Leistungssportler erfasst.
Liste und Studie decken unterschiedliche Altersgruppen und Todesursachen ab
Während die Schweizer Studie aus dem Jahr 2006 ausschließlich tödlich ausgegangene Herzstillstände bei Leistungssportlerinnen und -sportlern unter 35 Jahren untersuchte, sind in der Liste der englischen Internetseite unterschiedlichste Altersklassen und nicht nur Leistungssportler abgedeckt.
Auf der Webseite heißt es, die Liste führe „hauptsächlich medizinische Vorfälle bei jungen Sportlern“; doch die Daten widersprechen dem: Einer aktualisierten Version der Liste zufolge waren im April 2022 etwa die Hälfte der als verstorben aufgeführten Personen über 35, die älteste Person war 71, bei einigen fehlt eine Altersangabe.
Unter den in der Liste aufgeführten Personen sind etwa: Ein 71-jähriger ehrenamtlicher Schiedsrichter, der im April 2022 bei einem Fußballspiel zusammenbrach. Ein 63-jähriger Mann, der im März 2022 nach Herzversagen mit seinem Gleitschirmflieger im Harz abstürzte. Ein 55-jähriger ehrenamtlicher Schiedsrichter aus Bredenbek, der im März plötzlich verstarb; ein 74-Jähriger aus Sachsen-Anhalt, der laut Medienberichten im September 2021 vor einem Fußballspiel nach einem Herzinfarkt starb.
Es gibt keine Belege, dass Tod und Covid-19-Impfung zusammenhingen, oder ob die Personen überhaupt geimpft waren
Es gibt weitere Unstimmigkeiten. In der Liste tauchen einige Sportler auf, bei denen ein Zusammenhang mit der Covid-19-Impfung ausgeschlossen ist. Es wird zum Beispiel der dänische Fußball-Nationalspieler Christian Eriksen genannt, der während eines EM-Spiels einen Herzstillstand hatte. Eriksen war entgegen aller Behauptungen nicht gegen Covid-19 geimpft, wie sein Manager und Verband kurz darauf mitteilten. Auf der Liste steht auch der Gifhorner Amateurspieler Marvin Schumann, der beim Aufwärmen vor einem Fußballspiel zusammenbrach – im September 2020, als es noch keine Covid-19-Impfungen gab.
Bei den verstorbenen Personen wird die Todesursache in einige Fällen nicht benannt (‘died suddenly’; ‘cause of death unknown’), in anderen Fällen heißt es, die Person habe Krebs gehabt, Suizid begangen oder sei plötzlich schwer erkrankt – einen Beleg, dass das in Verbindung zur Covid-19-Impfung steht, liefert die Liste nicht.
Plötzliche Herzstillstände und Herzinfarkte sind nicht dasselbe
Auf der englischen Website wird als häufigste Todesursache Herzinfarkt (‘heart attack’) oder plötzlicher Herzstillstand (‘sudden cardiac arrest’) angegeben. Herz-Kreislauferkrankungen sind in Deutschland seit vielen Jahren die häufigsten Todesursachen. Männer sind statistisch gesehen häufiger von Herzinfarkten betroffen als Frauen.
Ein Herzinfarkt ist jedoch nicht dasselbe wie ein plötzlicher Herzstillstand, auf den sich die Schweizer Studie bezieht. Bei einem Herzinfarkt verstopft eines der Herzkranzgefäße durch Ablagerungen oder ein Blutgerinnsel. Beim plötzlichen Herzstillstand beim Sport ist die Ursache dagegen laut der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) meist ein Kammerflimmern, also das unkontrollierte Zusammenziehen des Herzmuskels.
Daten zeigen keinen Anstieg von Herzstillständen bei Sportlern
Plötzliche Herzstillstände können bei Sportlern vorkommen, auch wenn sie jung sind. Ursache seien laut DGK oft unentdeckte Herzerkrankungen. Auch in der Schweizer Studie heißt es, dass 50 Prozent der Verstorbenen einen angeborenen Herzfehler hatten.
Offiziellen Daten und Experten zufolge ist seit Beginn der Covid-19-Impfungen aber kein Anstieg von Herzstillständen bei Sportlerinnen und Sportlern zu erkennen. In Deutschland werden plötzliche Herzstillstände beim Sport seit 2012 im Sudden Cardiac Death Register (SCD-Register) der Universität des Saarlandes erfasst. Die Daten im Register sind nicht öffentlich einsehbar. Die Forschenden veröffentlichten jedoch Anfang 2021 einen Bericht, in dem es heißt, über sechs Jahre hinweg seien in Deutschland 349 Fälle dokumentiert worden.
Schon im November 2021 kursierte eine Liste, die einen angeblichen Anstieg von Herzstillständen unter Fifa-Sportlern belegen sollte. Das tat sie nicht, wie Florian Egger, Leiter des SCD-Registers der AFP erklärte: „Die Behauptung, dass da eine Dynamik drin steckt, lässt sich aus unseren Daten sowie anderen internationalen Registerstudien nicht ableiten. Es wird unter Fußballerinnen und Fußballern nicht mehr gestorben als vor der Covid-19 Pandemie.“
In einem im Mai 2022 veröffentlichten Bericht aus Kanada zum kardiovaskulären Screening von Leistungssportlern heißt es, dass es „trotz Falschmeldungen“, die online kursierten, „keine dokumentierten Fälle von impfbedingtem plötzlichem Herzstillstand bei Sportlern“ gebe.
Der Leiter der Arbeitsgruppe Sportkardiologie bei der DGK, Dierk-Christian Vogt, teilte uns im November 2021 mit, dass in 2021 keine Zunahme von Herzstillständen bekannt gewesen sei. „Auf das Jahr hochgerechnet gibt es kaum Zahlen – hier sind die vom Sudden Cardiac Death Register die verlässlichsten“, schrieb uns Vogt.
Pascal Bauer, Stellvertreter der Arbeitsgruppe, schrieb uns, dass das deutschlandweite Register in den Jahren 2020 bis 2022 „keine numerische Zunahme der Fälle bei gleichbleibender Methodik“ aufweise. Inwieweit betroffene Athleten an Covid-19 erkrankt oder geimpft waren, werde gegenwärtig ausgewertet. Veröffentlichungen mit den Ergebnissen seien Ende des Jahres oder Anfang 2023 zu erwarten.
Impfungen haben laut medizinischern Experten bei Sportlern einen positiven Effekt
Laut Bauer habe sich gezeigt, dass Covid-19-Impfungen einen positiven Effekt bei Sportlerinnen und Sportlern hatten: Durch die Impfung und Boosterung habe es in der klinischen Praxis deutlich weniger kardiovaskuläre Einschränkungen in der Folge einer Virusinfektion gegeben.“
Das bestätigt ein Bericht des American College of Cardiology vom Mai 2022. Dort heißt es, dass der Nutzen der Covid-19-Impfung bei Sportlerinnen und Sportlern mögliche Risiken übertreffe und Herzprobleme in weniger als 0,05 Prozent der beobachteten Fälle aufgetreten seien.
Bei jungen Männern treten nach mRNA-Impfungen in seltenen Fällen Herzmuskelentzündungen auf
Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen (Myokarditis und Perikarditis) sind tatsächlich eine „sehr seltene Nebenwirkung“ von mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19, heißt es im Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom 4. Mai (PDF-Download). Bis Ende März 2022 seien 2.558 Verdachtsmeldungen zu Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen bei den mRNA-Impfstoffen Comirnaty und Spikevax berichtet worden. Besonders betroffen seien junge Männer zwischen 12 und 17 Jahren nach der zweiten Impfstoffdosis.
Das ist aber kein Beleg dafür, dass Sportler aufgrund von Impfungen sterben würden. Das PEI schreibt: Die publizierten Daten zeigten, „die Mehrheit der Patienten mit einer Myo-/Perikarditis nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen spricht gut auf Behandlung und Ruhe an und erholt sich rasch, auch wenn im Einzelfall schwerwiegende und auch tödliche Verläufe beobachtet wurden“. Ähnlich äußerte sich auch das American College of Cardiology in seinem Bericht.
Eine Myokarditis kann zudem verschiedene Ursachen haben. Auch eine Infektion mit Covid-19 kann eine solche Entzündung des Herzmuskels auslösen. Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung schrieb dazu in einer Pressemitteilung im Januar 2022: „Das gesundheitliche Risiko durch eine Covid-Infektion ist – in jeder Altersklasse – sehr viel höher einzuschätzen als das Risiko einer Myokarditis/Perikarditis durch Impfung mit einem mRNA-Impfstoff.“
Fazit: Die herangezogenen Daten belegen nicht, dass seit Beginn der Covid-19-Impfungen mehr Sportler als zuvor gestorben sind. Die Schweizer Studie kann nicht mit der Liste verglichen werden, die angebliche Todesfälle von Sportlerinnen und Sportlern nennt, da beide verschiedene Altersgruppen, Personengruppen und Todesursachen erfassen. Seit Beginn der Covid-19-Impfungen hat es laut Experten keinen Anstieg von Herzstillständen bei Sportlern gegeben.
Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Bericht des American College of Cardiology: Link
- Bericht aus Kanada zum kardiovaskulären Screening von Leistungssportlern: Link
- Studie zu plötzlichen Herzstillstände bei Sportlern zwischen 1966 und 2004: Link
- Aktueller Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Institut: Link
- Pressemitteilung zum Risiko einer Herzmuskelentzündung, Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung: Link
- Plötzlicher Herzstillstand bei Sportlerinnen, Deutsche Gesellschaft für Kardiologie: Link
- Sports-Related Sudden Cardiac Arrest in Germany: Link