Keine Belege für angeblichen Hartz-IV-Betrug durch Ukrainer, die per Flixbus einreisen
Auf Whatsapp verbreitet sich eine Sprachnachricht, in der Menschen aus der Ukraine vorgeworfen wird, Sozialbetrug in Deutschland zu begehen. Angeblich würden sie dafür mit der Flixbus-Verbindung nach Deutschland reisen. Wir fanden keine Hinweise darauf, dass diese Geschichte stimmt.
Auf Whatsapp verbreitet sich seit dem 8. September eine Sprachnachricht, in der behauptet wird, Ukrainerinnen und Ukrainer würden in Deutschland Sozialbetrug begehen. Angeblich kämen sie mit dem Flixbus nach Deutschland, würden – teilweise ohne hier eine Meldeadresse zu haben – Hartz IV beziehen und sofort wieder in die Ukraine zurückfahren. „Die Ämter“ seien angewiesen, wegzuschauen und würden den Betrug dulden. In der Sprachnachricht heißt es, die Information stamme von einem Nachbarn namens „Frank“, beziehungsweise dessen Sekretärin namens „Irina“, die Familie in der Ukraine habe. Mittlerweile ist die Behauptung über den „Pendelverkehr in die Sozialsysteme“ auch auf Facebook zu finden.
Wir haben bei Flixbus, dem Ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Arbeitsagentur nachgefragt, was dort über den angeblich breit angelegten Betrug bekannt ist. Keine der befragten Stellen konnte die Geschichte bestätigen oder hatte Hinweise auf solche Vorfälle.
Für Bezug von Hartz IV ist eine Meldeadresse in Deutschland nötig
Hartz IV ist ein anderer Begriff für das Arbeitslosengeld II, das in Deutschland diejenigen erwerbsfähigen Menschen bekommen, die entweder kein Einkommen haben oder von ihrem Einkommen nicht leben können.
Wie uns das BMAS mitteilte, können nur diejenigen Menschen Hartz IV bekommen, die eine Adresse haben, die im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Jobcenters liegt. Sie müssen per Post erreichbar sein. „Ohne dauerhafte Anwesenheit in der Bundesrepublik besteht folglich auch für neu aus der Ukraine eingereiste Menschen kein Leistungsanspruch“, so das BMAS.
Das BMAS dementierte auf unsere Anfrage zudem, dass Mitarbeitende in Behörden aufgefordert würden, wegzuschauen, wenn Menschen aus der Ukraine keine Meldeadressen vorlegen könnten. Die angesprochenen „Pendelfahrten“ seien dem Ministerium nicht bekannt.
Flixbus sind keine Unregelmäßigkeiten bei Reisen von Ukrainern bekannt
Tatsächlich gibt es Flixbus-Verbindungen zum Beispiel zwischen Berlin und Kiew; diese sind nicht alle, aber oft ausgebucht. Ein Beleg für Sozialbetrug ist das nicht.
Sebastian Meyer, Pressesprecher von Flixbus, teilte uns per E-Mail mit, die Zahl der Reisenden aus der Ukraine sei im August im Vergleich zu den Vormonaten zurückgegangen. Auf die Frage, ob das Unternehmen beobachte, dass Menschen aus der Ukraine bereits nach wenigen Tagen wieder mit dem Flixbus in die Ukraine zurückreisten, antwortete er, dass Flixbus „diesbezüglich keine Auffälligkeiten bekannt“ seien.
Bundessozialministerium und Arbeitsagentur widersprechen der Behauptung: Fehlende Adresse in Deutschland würde auffallen
Wie uns das BMAS mitteilte, waren im August 2022 rund 546.000 Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit berechtigt, Arbeitslosengeld zu beziehen. Von diesen Menschen seien rund 355.000 erwerbsfähig und rund 191.000 nicht erwerbsfähig.
Die Jobcenter werden von der Bundesagentur für Arbeit betrieben, deshalb haben wir auch dort nachgefragt. Ein Pressesprecher der Arbeitsagentur, Christian Ludwig, schrieb uns per E-Mail: Sollten Menschen Hartz IV in Deutschland beantragen, sich aber nicht im Land aufhalten oder hier keine Meldeadresse haben, falle dies zum Beispiel dadurch auf, dass den Menschen keine Post zugestellt werden könne. Auffällig sei es auch, wenn Menschen nicht an Sprachkursen oder Beratungsgesprächen teilnehmen, oder sich nicht auf Vermittlungsvorschläge für Arbeitsplätze bewerben.
Die Zahlung von Leistungen werde eingestellt, wenn man feststelle, dass Menschen nicht vor Ort seien, bestätigte auch Ludwig.
Dass sich Menschen nicht mehr in Deutschland aufhalten und so ihren Anspruch auf Leistungen verlieren, könne ein Jobcenter zum Beispiel auch durch Ausländerbehörden erfahren, teilte uns das BMAS mit. Solche Informationen kämen aber auch von Arbeitgebern, Vermietern oder auch durch „anonyme Anzeigen“.
Bereits vor Monaten kursierten irreführende Behauptungen, dass die Flixbus-Verbindungen in die Ukraine ein Beleg seien, dass der Krieg nicht so schlimm sein könne. Unseren Faktencheck dazu lesen Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann