Faktencheck

Ja, das Gas in deutschen Speichern kann über den Winter verkauft werden, wenn Speicherziele erfüllt sind

Immer wieder heißt es online, im Winter würde Gas aus deutschen Gasspeichern „meistbietend ins Ausland“ verkauft werden. Diese Möglichkeit besteht tatsächlich: Wenn die Speicherziele erfüllt sind, darf überschüssiges Gas auf dem freien Markt verkauft werden, bestätigt das Bundeswirtschaftsministerium.

von Matthias Bau

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Aufnahme des größten Erdgasspeichers in Deutschland, dem Gasspeicher Rehden (Symbolbild: Picture Alliance / Ulrich Baumgarten)
Behauptung
Deutsche Gasreserven würden im Winter meistbietend an ausländische Unternehmen verkauft. Auch Gas, das im Auftrag der Bundesregierung von der Trading Hub Europe gekauft wurde, sei nicht für Deutschland reserviert.
Bewertung
Größtenteils richtig
Über diese Bewertung
Größtenteils richtig. Deutsche Gasspeicher müssen zu bestimmten Stichtagen mit Gas gefüllt sein, zum 1. November beispielsweise zu 95 Prozent, zum 1. Februar zu 40 Prozent. Diese Speicherstände müssen eingehalten werden und nur überschüssiges Gas darf verkauft werden. Es ist auf dem Markt frei verfügbar, kann also sowohl an deutsche als auch ausländische Firmen gehen.

„Deutsche Gasreserven gehen im Winter meistbietend an ausländische Unternehmen“, titelte das Medium Boerse-Online am 3. Oktober. In dem Artikel, der auch vom bekannten „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz auf Twitter geteilt wurde, heißt es: Sogar das Gas, das die Trading Hub Europe (THE) mit finanzieller Staatshilfe erworben habe, sei nicht für deutsche Gaskunden reserviert. Dazu zitiert der Artikel ein Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums. 

Unsere Recherche zeigt: Die Grundthese der Behauptung stimmt, doch relevanter Kontext fehlt. 

Gasverkauf möglich, wenn Speicherziele eingehalten werden

Deutsche Gasspeicher müssen laut Energiewirtschaftsgesetz Paragraph 35 an bestimmten Stichtagen zu einem gewissen Prozentsatz mit Gas gefüllt sein: Am 1. November zu 95 Prozent und am 1. Februar zu 40 Prozent. Verkauft werden könne das Gas nur dann, wenn die gesetzlichen Speicherziele trotzdem erfüllt werden, wie uns Susanne Ungrad, Pressesprecherin des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), mitteilte. 

„Das Gas in den Speichern gehört in einer Marktwirtschaft den Händlern, die in den Speichern ihr Gaskontingent einmieten. Diese müssen sich an die regulatorischen Vorgaben zum Ein- und Ausspeichern halten“, schrieb sie per E-Mail. Jeder Speicherbetreiber dürfe Gas verkaufen, „sofern er die Füllstandsvorgaben des Gesetzes auch im Verkaufsfalle stets einhält und diesen Nachweis erbringen kann“. 

Aktuell heißt das also, dass nur überschüssiges Gas, das nicht benötigt wird, um die gesetzliche Vorgabe von 95 Prozent bis zum 1. November zu erfüllen, verkauft werden darf. 

Gas wird nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage verkauft

Das gilt auch für das Gas, das im Auftrag der Bundesregierung von der Trading Hub Europe, dem sogenannten Marktgebietsverantwortlichen in Deutschland, gekauft wurde. Das bestätigte uns das Unternehmen. Es könne „über marktliche Verfahren […] von den entsprechenden Marktakteuren gekauft und verwendet werden“. Zu diesen Marktakteuren gehören laut der Sprecherin des BMWK nicht nur deutsche, sondern auch „andere Unternehmen“, die am deutschen Handelspunkt registriert sind. 

Susanne Ungrad schrieb uns weiter: „Der Verkauf aus den Speichern folgt Angebot und Nachfrage und damit dem höchsten Preisangebot und dem am meisten liquiden Markt. Die Nachfrage in Deutschland ist hoch, da Deutschland das größte Mitgliedsland der EU ist und auch angesichts einer hohen Industriestruktur eine hohe Nachfrage vorherrscht. Angesichts der hohen Nachfrage treffen Angebot und Nachfrage im deutschen Markt zusammen.“ 

Gasspeicher müssen im Februar nur noch zu 40 Prozent gefüllt sein

Aktuell sind die deutschen Gasspeicher zu 94,97 Prozent gefüllt (Stand 13. Oktober). Doch wie sieht es zwischen November und Februar aus, wenn der Speicherstand gesetzlich von 95 auf 40 Prozent sinken darf? Laut BMWK gibt es für diese Zeit keine vorgegebenen Zwischenstände – wie schnell und wie viel Gas verkauft wird, wie der sogenannte „Ausspeicherpfad“ verläuft, ist also offen. 

Mit dem Energiewirtschaftsgesetz werde sichergestellt, dass es im Winter eine Gasversorgung gebe und, dass „im Hochlastmonat Februar mit 40 Prozent noch genügend substanzielle Gasmengen in den Speichern vorhanden sind“, so Ungrad. Eine konkrete Vorgabe dazu, wie viel Gas pro Monat zwischen November und Februar gespeichert sein müsse, gebe es aber nicht. 

Susanne Ungrad betont in ihrer E-Mail an uns, Deutschland sei Teil des europäischen Energiebinnenmarkts, dort gelte gegenseitige Solidarität: „So nutzen wir seitens Deutschland bei LNG-Einkäufen [Flüssigerdgas-Einkäufen, Anm. d. Red.] aktuell – bis zum Aufbau eigener Infrastrukturen – die Anlandepunkte in Rotterdam oder Dünkirchen, über die LNG regelmäßig seit Monaten nach Deutschland kommt. Frankreich hat beispielsweise in den letzten Wochen erstmals Gas von Frankreich nach Deutschland geliefert. Und ebenso kann auch Gas aus den Speichern in Deutschland in den deutschen wie auch den europäischen Markt verkauft werden.“ 

Gespeichertes Gas reicht laut Robert Habeck für zweieinhalb Monate – Deutschland importiert aber auch im Winter weiter Gas

In der Bundespressekonferenz vom 12. Oktober, sagte Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck, mit den guten Speicherständen sei eine „relative Sicherheit“ geschaffen worden. Die gespeicherte Gasmenge werde bei einem durchschnittlichen Winter für zweieinhalb Monate reichen. Dennoch sei es notwendig, den Gasverbrauch im Winter um 20 Prozent zu reduzieren. 

Wie wir kürzlich in einem anderen Faktencheck erklärt haben, ist die Rechnung von zweieinhalb Monaten (ab dem 1. November) in etwa korrekt, wenn man einen durchschnittlichen Gasverbrauch annimmt. Wichtig ist, dass Deutschland den Winter über nicht allein mit gespeichertem Gas auskommen muss, sondern weiterhin kontinuierlich Gas importiert. Ob eine Gasmangellage eintritt oder nicht, hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel von der Entwicklung der Importe und der Temperaturen.  

Alle unsere Faktenchecks zum Thema Energiekrise finden sie hier.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Alice Echtermann, Sarah Thust

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Informationsseite der Bundesnetzagentur, „Ak­tu­el­le La­ge der Gas­ver­sor­gung in Deutsch­land“: Link
  • Das Energiewirtschaftsgesetz, welches die Speicherziele vorgibt: Link
  • Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, mit der die Speicherziele erhöht wurden: Link
  • Bundespressekonferenz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck vom 12. Oktober 2022: Link