Nein, Baerbock sagte nicht, sie wolle acht bis zehn Millionen Geflüchtete in Deutschland aufnehmen
Ein kurzer Videoausschnitt, der in Sozialen Netzwerken geteilt wird, soll zeigen: Außenministerin Annalena Baerbock wolle bis zu zehn Millionen Geflüchtete aufnehmen. Ihre Rede ist jedoch älter als in den Beiträgen angegeben und aus dem Kontext gerissen. Baerbock sprach von einer globalen Verteilung von Geflüchteten aus der Ukraine und bezog sich nicht nur auf Deutschland.
Aktuell verbreitet sich in Sozialen Netzwerken ein Ausschnitt aus einer Rede von Außenministerin Annalena Baerbock. Ein Facebook-Beitrag der AfD Paderborn vom 16. Oktober, in dem der Videoausschnitt verbreitet wird, wurde mehr als 200.000 Mal aufgerufen. Im Text dazu steht: „Klartext auf dem Bundesparteitag der Grünen: Baerbock will 8-10 Millionen Asyltouristen ins deutsche Sozialsystem einwandern lassen!“ Andere Nutzer und Nutzerinnen verbreiteten die Behauptung weiter.
Doch der Ausschnitt der Rede lässt wichtigen Kontext weg – Baerbock sprach in ihrer Rede nicht nur darüber, was Deutschland für Geflüchtete aus der Ukraine tun könne und solle, sondern auch darüber, was Europa und die USA tun könnten. In diesem Zusammenhang sprach sie von Fluchtbewegungen aus der Ukraine nach ganz Europa und „über den Atlantik“.
Die Rede hielt sie zudem nicht beim Bundesparteitag Mitte Oktober in Bonn, sondern im März bei einer Landesdelegiertenkonferenz in Cottbus. Von beiden Reden gibt es Videos (Cottbus, Bonn).
Baerbock sprach nicht von Deutschland, sondern auch von der EU und transatlantischen Staaten
Inhaltlich wurde das Zitat verkürzt. Im Video der Landesveranstaltung im März sagt Baerbock bei Minute 2:23:41 wörtlich: „Und wir müssen uns darauf einstellen, das werden nicht eins, zwei, zehn, hundert, sondern das werden tausende Flüge sein. Es werden acht bis zehn Millionen Geflüchtete kommen und wir werden sie alle aufnehmen.“
Doch die Ministerin bezieht sich mit „wir“ nicht nur auf Deutschland, sondern spricht generell über die Fluchtbewegungen aus der Ukraine, auch in andere Teile der Welt. Unmittelbar vor dem Zitat spricht sie über den Krieg in der Ukraine: „Gemeinsam arbeiten wir auf Hochdruck daran, dass wir jetzt europaweit von der Grenze weg verteilen“. Sie spricht darüber, dass „gestern“, also am 25. März, ein Flugzeug mit Geflüchteten aus Moldau nach Deutschland gekommen sei und weitere Flüge folgen würden, nicht nur nach Deutschland, sondern nach „ganz Europa und über den Atlantik.“ Dieser Part wird in dem Ausschnitt, der nun in Sozialen Netzwerken kursiert, weggelassen, sodass der Eindruck entsteht, nur Deutschland werde die acht bis zehn Millionen Geflüchteten aufnehmen.
Schon Ende März wurde der Videoausschnitt vielfach geteilt. Die AFP veröffentlichte Anfang April einen Faktencheck, in dem sie zu dem Schluss kam, dass auch damals das Zitat verzerrt wurde.
Allein in der ersten Woche nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 verließen über eine Million Menschen die Ukraine. Laut dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNCHR) sind momentan über 7,7 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Europa registriert, etwa eine Million davon in Deutschland. Über 1,4 Millionen ukrainische Geflüchtete sind in Polen registriert, dazu über 2,8 Millionen in Russland. Rund 136.000 sind im Vereinigten Königreich registriert und 105.000 in Frankreich.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Matthias Bau