Faktencheck

Covid-19-Impfschutz: Aussage von Alexander Kekulé wird aus dem Kontext gerissen

In Sozialen Netzwerken verbreitet sich eine Aussage des Virologen Alexander Kekulé aus einer Podcast-Folge des MRD. Sie wird als Eingeständnis interpretiert, dass Covid-19-Impfungen „nicht vor schwerer Krankheit und Long Covid schützen“. Das stimmt nicht. Kekulé sprach über die Ergebnisse einer Studie und ordnete diese kritisch ein.

von Paulina Thom

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Der Virologe Alexander Kekulé bespricht in einem MDR-Podcast eine US-amerikanische Studie und ordnet deren Ergebnisse kritisch ein. Dass die Impfung nicht vor einer schweren Erkrankung oder Long Covid schütze, sagt er nicht. (Symbolbild: Picture Alliance / Eventpress Stauffenberg)
Behauptung
Die Covid-19-Impfung schütze nicht vor schwerer Erkrankung und Long Covid. Das habe der öffentlich-rechtliche Rundfunk berichtet, beziehungsweise der Virologe Alexander Kekulé zugegeben.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Die Aussage von Alexander Kekulé in einem MDR-Podcast wird unvollständig wiedergegeben. Kekulé fasste die Ergebnisse einer US-Studie zusammen, wonach sich die Gesundheitsrisiken von mehrfach mit Covid-19-Infizierten im Vergleich zu nur einmal Infizierten erhöhten, unabhängig vom Impfstatus einer Person. Kekulé erklärte anschließend, warum die Studie fehlerbehaftet sei und sich daraus kein kausaler Zusammenhang ableiten lasse. An keiner Stelle des Podcasts sagte Kekulé, dass die Covid-19-Impfung nicht vor schwerer Erkrankung oder Long Covid schütze.

Wurde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk berichtet, die Covid-19-Impfung schütze nicht vor schwerer Erkrankung und Long Covid? Das zumindest behauptet der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg auf Twitter. Als vermeintlicher Beleg dient ihm ein kurzer Videoausschnitt aus dem Podcast „Kekulés Corona-Kompass“ des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) mit dem Virologen Alexander Kekulé. Mehr als 3.000 Nutzerinnen und Nutzer teilten den Twitter-Beitrag; auf Telegram wurde ein Screenshot von mehr als 94.000 Personen gesehen. 

Auch das Schweizer Magazin Die Weltwoche veröffentlichte am 22. November einen Artikel mit dem Titel „Erstmals gesteht prominenter Impf-Befürworter: Es gibt keinen Unterschied zwischen Geimpften und Ungeimpften“, der sich auf Facebook verbreitet. Demnach habe Alexander Kekulé „Zweifel am Nutzen der Covid-Impfung angemeldet“.

Doch die Äußerungen von Kekulé sind aus dem Kontext gerissen: In dem MDR-Podcast bezog sich der Virologe auf die Ergebnisse einer Studie aus den USA, die das Risiko für Folgeerkrankungen bei Personen untersuchte, die sich mehrfach mit dem Coronavirus infizierten. Direkt im Anschluss wies Kekulé auf die Einschränkungen der Studie hin. Diese Kritik fehlt jedoch in dem Ausschnitt, der im Internet kursiert. Dass die Impfung nicht vor einer schweren Corona-Erkrankung oder Long Covid schütze, sagte Kekulé nicht.

Stefan Homburg verbreitet auf Twitter einen Ausschnitt des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“, der ohne Kontext irreführend ist
Stefan Homburg verbreitet auf Twitter einen Ausschnitt des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“, der ohne Kontext irreführend ist (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Ausschnitt stammt aus dem MDR-Podcast „Kekulés Corona-Kompass“

Homburg verlinkt in seinem Twitter-Beitrag einen etwa einminütigen Ausschnitt des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“. In dem Podcast äußert Alexander Kekulé wöchentlich seine Einschätzungen zur Corona-Pandemie.

Der Ausschnitt stammt aus der Podcast-Folge 330 mit dem Titel „Chinas Null-Covid-Dilemma“. Die Folge ist als Text– (PDF) und Hörfassung online abrufbar. Ab Minute 24:30 kommen Alexander Kekulé und der Moderator Jan Kröger auf eine Studie aus den USA zu sprechen, die die Risiken mehrfacher Corona-Infektionen untersucht hat. Die Studie wurde am 10. November 2022 in Nature Medicine veröffentlicht.  

In dem geteilten Ausschnitt ist zu hören, wie Kekulé unter anderem sagt: „Das ist echt Mist für alle, mich eingeschlossen, die der Meinung sind, dass die Impfung wichtig ist. Diese Daten zeigen klipp und klar, dass es keinen statistisch irgendwie nachweisbaren Unterschied gibt bezüglich der Schwere der Nachfolge-Erkrankung bei zweiten, dritten, vierten Infektionen zwischen Geimpften und Ungeimpften.“ Und weiter: „Das heißt also mit anderen Worten: ob einer geimpft war oder nicht, hat sein Risiko, bei einer Zweitinfektion noch mal schwer krank zu werden oder sechs Monate später so etwas wie Long Covid dann zu haben, überhaupt nicht verändert.“ Die Weltwoche bezieht sich ebenfalls auf diesen Ausschnitt des Podcasts. 

Die Aussage Kekulés wird jedoch unvollständig wiedergegeben. 

Virologe Kekulé spricht im MDR-Podcast über die Ergebnisse einer US-Studie zu Risiken von Mehrfachinfektionen

In der Studie, auf die sich Kekulés Aussage bezieht, wurden Daten der Gesundheitsdatenbank des US-Kriegsveteranenministeriums genutzt, um zu untersuchen, ob eine erneute (also etwa zweite oder dritte) Covid-19-Infektion die Gesundheitsrisiken, die bereits mit einer Erstinfektion verbunden sind, erhöhe. Zu diesen Gesundheitsrisiken zählen Krankenhausaufenthalte, Todesfälle und Folgeerkrankungen wie Krankheiten des Herzens, Diabetes, Nierenerkrankungen oder auch psychische Krankheiten. 

In der Beobachtungsstudie wurden drei Gruppen miteinander verglichen: Personen, die noch nie, einmal oder mindestens zweimal mit Corona infiziert waren. In allen Gruppen befanden sich jeweils Personen, die entweder nicht, einmal oder mehrfach gegen Covid-19 geimpft waren. Der Großteil der Personen war jedoch nicht geimpft, wie die Daten zeigen (61-62 Prozent in den Gruppen der Nicht-Infizierten und einmal Infizierten, 87 Prozent in der Gruppe der erneut Infizierten). 

Das Ergebnis der Studie: Verglichen mit nur einmal Infizierten erhöhe eine erneute Covid-19-Infektion das Risiko für Krankenhausaufenthalte, Folgeerkrankungen und Todesfälle erheblich, unabhängig vom Impfstatus der Person. Das Phänomen „Long Covid“ wurde in der Studie nicht direkt untersucht. Die Autoren schreiben jedoch allgemein mit Bezug zu „Long Covid“, dies sei ein Überbegriff für verschiedene Langzeitfolgen, die nach der akuten Phase von Covid-19 anhalten, und eine Reinfektion mit Covid-19 trage zu erheblichen zusätzlichen Gesundheitsrisiken bei.  

Die Aussage Kekulés wird verkürzt – Kekulé verweist auf Fehler in der Datenauswahl der Studie  

Der MDR-Moderator fragte Kekulé (ab Minute 32:00), was die Studienergebnisse bezüglich Einfach- oder Mehrfach-Geimpfter ergeben haben. Hier beginnt der im Netz kursierende Ausschnitt. Weggelassen wurde, dass Kekulé direkt im Anschluss auf Einschränkungen der Studie verwies. Dass das Risiko für bestimmte Folgeerkrankungen, zum Beispiel in der Lunge, Gerinnungsstörungen oder Müdigkeit bei der Zweitinfektion laut der Studie statistisch höher sei als bei der ersten Infektion, passe nicht ins Bild, sagt der Virologe (ab Minute 35:30). 

Die wichtigste Limitation der Studie, so Kekulé (ab Minute 36:00), sei ein Fehler in der Datenauswahl („Selektionsfehler“): Dieser komme zustande, weil Personen, die leichte Verläufe haben, nicht mehr zum Arzt gingen und daher auch in der Gesundheitsstatistik nicht mitgezählt würden. Je später der Zeitpunkt in der Pandemie ist, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass man nur noch schwere Fälle erfasst. 

Die Autoren der Studie führen selbst Einschränkung ihrer Studie auf, etwa dass es möglicherweise keine umfassende Erfassung der Versorgung außerhalb des Veteranenministeriums gegeben habe. 

Kekulé: Beobachtungsstudien liefern keine Rückschlüsse auf Kausalzusammenhänge 

Anders als behauptet, sagt Kekulé an keiner Stelle des Podcasts, dass die Impfung nicht vor schwerer Erkrankung schütze oder Long Covid schütze. Im Gegenteil, er sagt (ab Minute 37:00), dass die Studie aus den USA eben dies nicht belegen könne und man mit der Interpretation vorsichtig sein müsse: „Grundsätzlich sind alle Beobachtungsstudien nicht geeignet, Kausalzusammenhänge darzustellen.“ 

Anders als bei experimentellen Studien werden in Beobachtungsstudien die untersuchten Bedingungen nicht kontrolliert. Sie haben dadurch weniger Aussagekraft, denn es lässt sich dadurch nicht ausschließen, dass eventuell andere Einflussfaktoren zu den beobachteten Veränderungen geführt haben. 

Auf Anfrage schrieb uns Kekulé per E-Mail, er habe deutlich darauf hingewiesen, dass man aus der Studie „keine relevanten Schlussfolgerungen“ ziehen könne. Sie hätten die Studie im Podcast als Beispiel für Probleme besprochen, die bei derartigen Beobachtungsstudien auftreten können“. 

Da dieser Kontext in den Beiträgen in Sozialen Netzwerken fehlt, bekräftigte Kekulé erneut in einer späteren Podcast-Folge vom 29. November (ab Minute 48:20): „Wir haben genau erklärt, warum [die Studie] sehr sehr fehlerbehaftet ist“, und weiter: „Ich glaube deshalb keines der beiden Ergebnisse: weder dass die Impfung sinnlos ist, noch dass von Infektion zu Infektion die Krankheitsverläufe immer schlimmer würden.“

Immer wieder werden irreführende Behauptungen zur Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe verbreitet. Auf der Webseite des Robert-Koch-Instituts (RKI) heißt es, dass die Covid-19-Impfstoffe weiterhin einen guten Schutz vor schweren Erkrankungen bieten, der durch eine Auffrischimpfung verbessert werden könne. Bezüglich des Risikos für Long Covid gebe es zwar erste Hinweise darauf, dass eine Impfung das Risiko für Long-Covid-Symptome reduziere, die Ergebnisse der Studien sollten jedoch mit Vorsicht interpretiert werden.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sophie Timmermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Textfassung der Folge 330 des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“, 15. November 2022: Link (PDF)
  • Hörfassung der Folge 330 des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“, 15. November 2022: Link
  • Studie: „Acute and postacute sequelae associated with SARS-CoV-2 reinfection“, Nature Medicine, 10. November 2022: Link (Englisch; archiviert)
  • Robert-Koch-Institut zur Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe, 13. Oktober 2022: Link (archiviert)
  • Hörfassung der Folge 332 des MDR-Podcasts „Kekulés Corona-Kompass“, 29. November 2022: Link