Faktencheck

Australien: Zahlen belegen keinen Einbruch der Geburten um 70 Prozent

Eine Webseite behauptet, die Anzahl von Geburten in Australien sei um 70 Prozent eingebrochen, das sollen Zahlen des australischen Statistikamts belegen. Die Aussage führt in die Irre: Es werden vorläufige mit finalen Daten verglichen. Auch in vergangenen Jahren gab es zunächst niedrige vorläufige Geburtszahlen.

von Sophie Timmermann

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Ein Blog macht irreführende Aussagen zu der Geburtenrate in Australien und beruft sich dabei auf einen ehemaligen Politiker. (Symbolbild: Endho / Pixabay)
Behauptung
In Australien sei die Zahl der Geburten im Dezember 2021 unter 7.000 gefallen, normalerweise liege sie monatlich zwischen 23.000 und 26.000. Das zeigten Daten des australischen Amts für Statistik.
Bewertung
Fehlender Kontext
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Fehlender Kontext. Bei den Daten des australischen Amts für Statistik handelt es sich um vorläufige Zahlen. Geburten am Ende des Jahres werden laut dem Amt verzögert registriert, die Zahlen sind demnach unvollständig. Vorläufige Dezemberdaten der vergangenen drei Jahre, die uns das Amt schickte, waren ähnlich niedrig.

Es sei ein Trauerspiel, beginnt Report24 einen am 15. November veröffentlichten Artikel. Im „deutlichen zeitlichen Zusammenhang“ zu den „Covid-Massenimpfungen“ sei es zu einem Einbruch der Geburtenzahlen gekommen. Einen solch „beispiellosen Einbruch“ habe es auch in Australien gegeben, und zwar um 70 Prozent. Die Zahl der Geburten im Dezember 2021 liege demnach unter 7.000 statt monatlich zwischen 23.000 und 26.000. Der Artikel kursiert auch auf Facebook und Telegram. Report24 veröffentlichte schon mehrfach Falschmeldungen zu angeblichen Nebenwirkungen der Impfungen in Bezug auf Schwangerschaften und Fehlgeburten.

Die Webseite beruft sich auf eine Aussage des ehemaligen australischen Parlamentsmitglieds George Christensen. Anfang November veröffentlichte Christensen dazu vermeintliche Belege auf Facebook. Er wiederholte die Behauptung am 8. November in der The Alex Jones Show; eine Sendung des bekannten US-Verschwörungstheoretikers Alex Jones, auf der rechtsextremen Plattform Infowars. Neben Christensen wiederholte Ende November auch der australische Politiker Malcolm Roberts die Behauptung.

Der Aussage von Christensen fehlt wesentlicher Kontext. Er beruft sich auf Zahlen des australischen Amts für Statistik (ABS), die jedoch unvollständig sind. Laut ABS handelt es sich um vorläufige Daten für Dezember, die durch verzögerte Registrierungen zu Ende des Jahres zustande kommen. Die vorläufigen Zahlen im Dezember für die Jahre 2018, 2019 und 2020 waren ähnlich niedrig wie die für 2021. Das belegen Daten, die uns das ABS schickte.

George Christensen machte die Behauptungen zu den Geburten in Australien auf Facebook
Der ehemalige australische Politiker Christensen verbreitete vermeintliche Belege für einen dramatischen Geburtenrückgang (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Daten stammen vom australischen Statistikamt – Dezember-Zahlen demnach „unvollständig“

Auf der Webseite des ABS können monatliche Daten zu den stattgefundenen Geburten abgerufen werden („birth by occurence“). Von hier stammen die von Christensen und Report24 verbreiteten Zahlen.

Tatsächlich sind in der Tabelle für Dezember 2021 nur 6.659 Geburten angegeben. Im Vergleich dazu gab es im selben Monat in den drei Jahren zuvor jeweils 22.695, 23.231 und 23.780 Geburten. Daraus hat Christensen offenbar den vermeintlichen 70-prozentigen Einbruch berechnet. Die Angabe für Dezember 2021 ist jedoch mit einem Sternchen versehen. Dazu steht der entscheidende Hinweis: „Die Daten sind aufgrund von Meldeverzögerungen unvollständig.“ Das sei vor allem im Dezember und zu einem gewissen Grad auch im November zu beobachten, da viele Geburten eher im nächsten Jahr registriert würden.

Auf der Webseite des Statistikamts heißt es weiter, es gebe eine Zeitspanne zwischen einer Geburt und dessen Registrierung, eine „Registrierungsverzögerung“. Dies könne entweder passieren wenn die Eltern verzögert ein ausgefülltes Formular an das Standesamt übermitteln oder wenn das Standesamt mehr Zeit bei der Bearbeitung braucht. Geburten, die im November und Dezember stattfänden, würden voraussichtlich erst im Folgejahr registriert.

Daten des australischen Statistikamts
Die kursierenden Zahlen stammen zwar vom australischen Amt für Statistik. Doch es fehlt wesentlicher Kontext (Quelle: Australisches Amt für Statistik; Screenshot und rote Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Vorläufige Daten laut Statistikamt in vergangenen Jahren ähnlich

Dass die aktuelle Untererfassung der Geburten gegen Jahresende durch verspätete Registrierungen keine Ausnahmeerscheinung ist, zeigen die vorläufigen Daten für 2020, 2019 und 2018. Diese schickte uns Ayden Poynter, Sprecher des australischen Amts für Statistik, auf Nachfrage. Daraus wird ersichtlich: Die vorläufige Zahl der Geburten im Dezember lag in den vergangenen Jahren ähnlich tief: bei 6.483 (2020), 7.655 (2019) und 6.299 (2018). Wir haben die vorläufige und die tatsächliche Zahl der Geburten für Dezember in einer Grafik verdeutlicht: 


Zahl der registrierten Geburten ist im Jahr 2021 gestiegen 

Laut Poynter wird das Statistikamt die aktualisierten Daten in der nächsten Ausgabe ihres jährlichen Geburtszahlen-Berichts veröffentlichen. Der aktuelle Bericht für das Jahr 2021 zeigt insgesamt 5,3 Prozent mehr registrierte Geburten als 2020. Dabei muss beachtet werden, dass es sich hierbei um in 2021 registrierte Geburten handelt – neun Prozent der Geburten fanden schon 2020 statt und wurden erst im Folgejahr angemeldet.

Auch wenn die Zahl der Registrierungen nicht unbedingt die Anzahl von Geburten im jeweiligen Monat widerspiegelt, kann sie Hinweise auf den allgemeinen Geburtentrend liefern. Die australische Faktencheck-Redaktion AAP weist in dem Zusammenhang auf Daten aus dem Bundesstaat Victoria hin. Dort lag die Zahl registrierter Geburten bei 8.264 und damit sogar weitaus höher als im Dezember 2020 (5.180).

Immer wieder kursieren irreführende Behauptungen über die Auswirkungen der Corona-Impfungen auf Geburten. Dabei wurden mehrfach Studien und Daten aus Melderegistern zu Impfnebenwirkungen fehlinterpretiert

Redigatur: Gabriele Scherndl, Viktor Marinov

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Daten zu den Geburten in Australien in 2021, australisches Amt für Statistik: Link (archiviert)
  • Tabelle mit Vergleichen zu den Vorjahresmonat,australisches Amt für Statistik: Link 
  • Pressemeldung zu denGeburten in 2021, australisches Amt für Statistik: Link
  • Faktencheck von AAP: Link