Fotomontage: Polnischer Ministerpräsident besuchte kein Bandera-Denkmal in Kiew
Ein Foto zeigt angeblich den Ministerpräsidenten Polens, Mateusz Morawiecki, vor einem Denkmal von Stepan Bandera in Kiew. Doch das Foto ist eine Fälschung. Weder befindet sich das gezeigte Denkmal in der ukrainischen Hauptstadt noch ist Morawiecki auf dem Originalbild zu sehen.
Der Name Stepan Bandera ist zuverlässiger Zündstoff für das Narrativ, die Ukraine sei voller Nazis. Bandera ist eine der bekanntesten Symbolfiguren für Nationalismus in dem Land; dort sehen ihn manche als Nazi-Kollaborateur, andere feiern ihn als Natonalheld. Über sein umstrittenes Erbe haben wir bereits im Mai berichtet. Kein Wunder also, dass ein Foto, auf dem der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki angeblich Blumen an einem Denkmal Banderas in Kiew niederlegt, sich seit Ende November international verbreitet. Dazu wird auf Telegram zum Beispiel kommentiert: „So krank sind die polnischen Politiker. Sie haben ihre Vergangenheit ganz schnell verdrängt und huldigen die Nazi-Horden.“
Die Behauptung verbreitet sich neben Beiträgen auf Italienisch, Polnisch oder Vietnamesisch auch auf russischen Webseiten. Der älteste Beitrag, den wir finden konnten, ist von einem russischen Telegram-Kanal namens „Waltp38“. Er veröffentlichte das Foto am 26. November. An dem Tag besuchte Morawiecki zwar wirklich Kiew – jedoch, um der Opfer einer Hungerkatastrophe in den 1930ern zu gedenken. Es handelt sich bei dem verbreiteten Bild um eine Fotomontage. Eine Aufnahme von Morawieckis bei dem Besuch wurde gespiegelt und manipulativ in ein Foto von einem Denkmal von Bandera im Westen der Ukraine geschnitten.
Der russische Telegram-Beitrag verbreitet zudem ein angebliches Zitat von Morawieck. Er soll gesagt haben: „Bandera war immer ein großer Freund des polnischens Volkes“. Doch für das Zitat gibt es keine Belege.
Foto vom Bandera-Denkmal mit gleichen Details schon 2009 aufgenommen – ohne den polnischen Ministerpräsidenten
Eine Bilder-Rückwärtssuche führt zur Originalaufnahme des Bandera-Denkmals auf Wikipedia. Dort heißt es, das Bild sei 2009 aufgenommen worden und zeige ein Denkmal von Bandera in Kozivka. Die Stadt liegt im Westen der Ukraine und ist rund 500 Kilometer von Kiew entfernt. Auch Aufnahmen auf Google Maps, hochgeladen von verschiedenen Nutzerinnen und Nutzern in den vergangenen Jahren, zeigen das Bandera-Denkmal in Kozivka. Dasselbe Bild mit dem Blumenkranz – ohne den polnischen Ministerpräsidenten – tauchte auch schon 2020 auf Twitter auf.
Ein Vergleich des Fotos auf Wikipedia von 2009 mit dem kursierenden Bild vom angeblichen aktuellen Besuch des polnischen Ministerpräsidenten zeigt: Es handelt sich um dasselbe Foto. Das Denkmal, die Blumen davor, die Schleife mit der ukrainischen Flagge und sogar die einzelnen Zweige des Nadelbaums links vom Denkmal sind exakt gleich.
Weiteres Foto zeigt polnischen Ministerpräsidenten in derselben Körperhaltung, aber vor einem anderen Denkmal
Doch woher kommt das Foto der zwei Männer vor dem Denkmal? Was stimmt: In der Ukraine gibt es zahlreiche Denkmäler für Bandera, auch Straßen sind nach ihm benannt. Mit dem polnischen Ministerpräsidenten hat das jedoch nichts zu tun.
Eine Google-Suche mit den Stichworten „Morawiecky“ und „Kyiv“ (die englische Schreibweise für Kiew) führt zu einem Artikel der ukrainischen Zeitung Kiyv Independent. Darin geht es um einen Besuch des polnischen Ministerpräsidenten in Kiew am 26. November 2022. An diesem Tag gedenkt die Ukraine dem Holodomor. Das bedeutet übersetzt „Mord durch Hunger“.
Der Holodomor geschah Anfang der 1930er Jahren in der Ukraine, damals war das Land noch Teil der Sowjetunion, unter der Verantwortung des sowjetischen Diktators Josef Stalin. Rund vier Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer wurden während der Hungersnot in den Tod getrieben. Der deutsche Bundestag hat den Holodomor 2022 offiziell als Völkermord anerkannt.
Im Artikel der Kiyv Independent zum Besuch von Morawiecki ist ein Foto zu finden, das ihn und einen anderen Mann, dessen Identität wir nicht herausfanden, vor einem Denkmal zeigt. Dasselbe Foto hat auch das offizielle Twitter-Konto des Büros des polnischen Ministerpräsidenten am 26. November veröffentlicht. Es handelt sich jedoch um keine Bandera-Büste, sondern um ein Denkmal für die Opfer des Holodomors. Dieses befindet sich am Michaelplatz in Kiew.
Vergleicht man das Foto der zwei Männer vor dem Holodomor-Denkmal mit jenem vor dem Bandera-Denkmal, fallen viele Gemeinsamkeiten auf. Die Männer haben dieselben Outfits, dieselbe Körperhaltung, die Stehkragen und Handbewegungen der Männer sind identisch — auf dem Foto vor dem Bandera-Denkmal sind sie jedoch gespiegelt.
Keine Belege für angebliches Zitat von Morawiecki über Bandera
Für das angebliche Zitat des polnischen Ministerpräsidenten über Bandera gibt es ebenfalls keine Belege. Google-Suchen auf Englisch, Polnisch und Russisch lieferten keine Hinweise darauf, dass Morawiecki das jemals gesagt hat.
Über die polnische Regierung kursieren seit Beginn des Ukraine-Kriegs immer wieder falsche Behauptungen. Im Mai hieß es etwa, der polnische Präsident wolle die West-Ukraine annektieren. Auch hieß es fälschlicherweise, eine Straße in Warschau solle nach Bandera benannt werden. Polen gehört europaweit zu den größten Unterstützern der Ukraine – sowohl bei der Aufnahme von Flüchtlingen als auch bei der Lieferung von Waffen.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Sophie Timmermann, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Originalfoto von dem Denkmal Stepan Banderas in Kozivka von 2009: Link (archiviert)
- Originalfoto von dem Besuch des polnischen Ministerpräsidenten vor Holodomor-Denkmal in Kiew: Link (archiviert)