Keine Belege, dass RSV-Symptome eigentlich Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen sind
Anders als eine Sprachnachricht auf Telegram nahelegt, gibt es laut Fachleuten keinen Zusammenhang zwischen RSV-Symptomen und Covid-19-Impfungen. Die Erkrankung, die vor allem Kinder betrifft, zirkulierte zudem schon vor dem Einsatz der Vakzine.
Hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer erreichte auf Telegram eine Sprachnachricht, in der darüber spekuliert wird, der aktuelle Anstieg an Atemwegserkrankungen bei Kindern sei gar keine RSV-Welle, sondern eine Nebenwirkung der Corona-Impfungen. „Als Differenzialdiagnose habe ich einen einzigen Gedanken (…) Die Nebenwirkungen der bisherigen mRNA-Impfstoffe“, sagt eine Frau, die sich als Kinder- und Jugendmedizinerin mit mehrjähriger Berufserfahrung vorstellt. Differenzialdiagnosen dienen dazu, mögliche andere Erkrankungen mit ähnlichem Beschwerdebild als Ursache von Krankheitssymptomen auszuschließen. Die Frau behauptet also, die Kinder und Jugendlichen hätten gar kein RSV, sondern würden eigentlich wegen Impfnebenwirkungen im Krankenhaus liegen. Und weiter sagt sie: Weil RSV für gesunde Kinder ein völlig harmloses Erkältungsvirus sei, sei der „angebliche Anstieg auf den Intensivstationen mehr als überprüfungsbedürftig.“
Das ist aus mehreren Gründen nicht plausibel. Vom RSV (Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus) sind vor allem Kinder unter fünf Jahren betroffen, diese sind aber kaum geimpft. RSV-Wellen gab es zudem bereits vor der Gabe von Covid-19-impfstoffen. Zudem wird eine RSV-Erkrankung mittels eines spezifischen PCR- oder Schnelltests nachgewiesen und kann so eindeutig als eigenständige Viruserkrankung festgestellt werden. RSV ist zwar in vielen Fällen harmlos, dennoch landen Kinder und Jugendliche deswegen im Krankenhaus. Die hohen Belegungszahlen der Krankenhäuser sind aber auch auf einen Personalmangel zurückzuführen.
Doch, RSV kann auch zu einer schweren Erkrankung mit Atemnot führen
Bei RSV (Respiratorischem Synzytial-Virus) handelt es sich um eine Atemwegserkrankung. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) wird RSV zwar in allen Altersgruppen nachgewiesen, es seien aber überwiegend Kinder bis vier Jahre und Erwachsene ab 60 Jahre betroffen. Wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schreibt, verläuft die Erkrankung meist harmlos wie eine Erkältung und verursacht Husten, Schnupfen, Halsschmerzen und oft Fieber, manchmal zusätzlich eine Mittelohrentzündung. Doch, anders als auf Telegram behauptet, kann es auch zu schweren Erkrankungen kommen. Die betreffen vor allem Erstinfektionen und damit Kinder bis zwei Jahren.
Jakob Maske, Bundespressesprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) schrieb uns, „für die Mehrzahl der Kinder über zwölf Monate löst eine RSV-Infektion eine harmlose Erkältungskrankheit aus, nur sehr selten kommt es zu weiteren Komplikationen.“ Bei Kindern unter zwölf Monaten bestehe auch bei gesunden Kindern ein größeres Risiko schwer zu erkranken und eine Atemnot mit Sauerstoffbedarf zu entwickeln.
Auch Burkhard Rodeck, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) DKGJ erklärt, dass etwa fünf Prozent der Kinder mit RSV-Infektion eine „Beteiligung der unteren Atemwege mit einem Keuchhusten ähnlichen Bild“ habe. Die meisten Kinder machten die Infektion als „banalen Infekt der oberen Luftwege“ durch, für die anderen sei die Infektion jedoch nicht harmlos. Das führe jedes Jahr zu einer „deutlichen Inanspruchnahme von Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin“.
Bettenmangel in Kinderkliniken auch auf Personalmangel zurückzuführen
Zuletzt berichteten verschiedene Medien immer wieder über die angespannte Lage in Kinder- und Jugendkliniken. Wie die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) am 1. Dezember in einer Pressemitteilung schrieb, ist diese Lage jedoch nicht alleine auf mehr Infektionen zurückzuführen. 79 von 110 befragte Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin hätten als Grund für eine Sperrung von Intensivbetten Pflegepersonalmangel als Grund angegeben.
Im Business Insider kommentierte Johannes Danckert, Chef des Vivantes-Klinikum Berlin, die aktuelle Situation mit den Worten: „Wir können derzeit – wie alle anderen Kinderkliniken auch – nicht alle vorhandenen Betten belegen, weil dafür Pflegekräfte fehlen. Die benötigen eine spezielle Ausbildung und können nicht über Nacht herbeigezaubert werden.“
Keine Belege, dass Symptome schwerer RSV-Erkrankungen Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen sind
Wir haben Fachleute gefragt, ob es sein könne, dass die betroffenen Kinder gar nicht an RSV erkrankt sind, sondern die Symptome stattdessen Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen seien.
Burkhard Rodeck von der DGKJ schrieb uns, die Behauptung sei alleine schon deswegen unplausibel, weil „kaum Kinder unter fünf Jahren geimpft“ seien. Deswegen könne „eine Impfung auch nicht verantwortlich für die hohe RSV-Inzidenz sein“. Ähnliches schrieb uns auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Dessen Bundespressesprecher Jakob Maske erklärte, „Kinder unter fünf Jahren sind im niedrigen einstelligen Prozentbereich geimpft, dies ist jedoch die Gruppe, die durch RSV besonders häufig infiziert wird.“ Die Menge der RSV-Erkrankungen sei zudem ungefähr so hoch wie im Vorjahr und auch mit den Jahren vor Corona vergleichbar. Zu diesem Zeitpunkt gab es jedoch noch gar keinen zugelassenen Covid-19-Impfstoff für Kinder unter fünf Jahren.
An konkrete Zahlen kann man sich allerdings nur annähern. Betrachten wir zunächst die RSV-Zahlen. In Deutschland veröffentlicht die Arbeitsgemeinschaft Influenza RKI regelmäßig Berichte darüber, wie hoch der Anteil positiver RSV-Tests pro Kalenderwoche ist. Wie die Arbeitsgemeinschaft in ihrem jüngsten Wochenbericht (Stand 18. Dezember) schreibt, hält die aktuelle RSV-Welle seit der 41. Kalenderwoche (10. Oktober) an und verursache nach der Grippe die meisten akuten Atemwegserkrankungen. Bei den bis vierjährigen Kindern mit einer schweren akuten respiratorischen Infektion (SARI), also einer Infektion der Atemwege, liege der Anteil der RSV-Diagnosen bei 50 Prozent.
Alleine in den von 71 Sentinel-Kliniken und -Praxen eingesendeten 2.101 Proben wurden seit der 40. Kalenderwoche 330 positiv auf RSV getestet. Im Rahmen der sogenannten Sentinelerhebung können Kliniken und Praxen freiwillig Daten an das RKI übermitteln, um die epidemiologische Überwachung zu unterstützen. Da es jedoch im Jahr 2020 laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft rund 1.200 öffentliche Krankenhäuser in Deutschland und laut der Versicherung AOK rund 55.000 Hausarztpraxen gab, ist von einer wesentlich größeren Anzahl an Fällen auszugehen, als sie durch die Daten des RKI abgebildet werden.
Die Anzahl der RSV-Erkrankungen ist laut dem Kinderpneumologen Martin Wetzke seit Jahren ähnlich hoch. Aber 2021 und 2022 begann die RSV-Saison jeweils früher als üblich und führte zu mehr Krankenhauseinweisungen als in den Vorjahren. Ein konkreter Blick in die Zahlen zeigt: Dafür, dass es 2021 und 2022 mehr Krankenhauseinweisungen als in den Vorjahren gab, gibt es laut Fachleuten vor allem einen Grund: Robin Kobbe, Kinderarzt und Forschender am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) erklärte gegenüber der Tagesschau, dass viele Kinder gleichzeitig ihre ersten Infektionen mit dem Virus verspätet durchmachen. Die Maßnahmen zum Schutz vor Covid-19 hätten Kinder auch vor Infektionen mit RSV geschützt, sodass sich nun besonders viele auf einmal infizierten, sagt auch der Immunologe Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover gegenüber der Zeit.
Aber ob die aktuelle Saison tatsächlich mehr Kinder schwer erkranken als in Vorjahren, lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Die Belastung, die sich in den Kliniken und Arztpraxen zeigt, sei außergewöhnlich hoch, sagte Kinderpneumologe Martin Wetzke Anfang Dezember gegenüber dem RND. „Aber ob insgesamt tatsächlich mehr Kinder betroffen sind oder es nur die Dynamik der Saison ist, also dass wir jetzt sehr viele kranke Kinder in kurzer Zeit sehen, wird sich erst am Ende der Saison sagen lassen können.“
Kinder unter fünf Jahren sind selten geimpft, Zusammenhang mit RSV-Symptomen unwahrscheinlich
Im Vergleich mit den Impfzahlen zeigt sich zudem: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen Nebenwirkungen und schweren RSV-Symptomen besteht, denn es sind erst wenige Kinder im Alter unter fünf Jahren sind geimpft. Laut Daten des RKI vom 19. Dezember waren es unter den Null- bis Vierjährigen 2.175 geimpft. Impfungen gegen Covid-19 werden von der Ständigen Impfkomission für die Altersgruppe unter fünf Jahren lediglich Kindern mit Vorerkrankungen empfohlen – und erst seit dem 21. Oktober diesen Jahres sind entsprechende Impfstoffe in Europa zugelassen.
Fazit: Ja, im Normalfall verläuft RSV harmlos, aber es kann in Einzelfällen auch zu schweren Erkrankungen mit Atemnot kommen. Fachleute sehen keinerlei Belege dafür, dass RSV-Symptome eigentlich Nebenwirkungen von Covid-19-Impfungen sind. RSV-Fälle gibt es seit Jahren, spezifische Tests weisen die Krankheit nach und es sind erst wenige Kinder im Alter unter 5 Jahren geimpft.
Redigatur: Gabriele Scherndl, Uschi Jonas