Faktencheck

Altes Video vom Kachowka-Staudamm in der Ukraine kursiert erneut

Nutzerinnen und Nutzer behaupten, ein Video zeige die Explosion des Kachowka-Staudamms in der Ukraine am 6. Juni. Doch die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2022.

von Gabriele Scherndl

APTOPIX Russia Ukraine War
Nachdem der Kachowka-Staudamm Anfang Juni 2023 brach, stehen weite Gebiete unter Wasser (Quelle: Libkos / Asociated Press / Picture Alliance)
Behauptung
Ein Video zeige die Explosion des Kachowka-Staudamms im Juni 2023.
Bewertung
Falscher Kontext
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Falscher Kontext. Das Video zeigt zwar den Kachowka-Staudamm, aber die Aufnahme stammt von November 2022.

Nachdem am 6. Juni 2023 der Kachowka-Staudamm in einem russisch besetzten Gebiet der Ukraine gebrochen war, landete rasch ein Video in den Sozialen Netzwerken. Es zeigt angeblich den Damm in einer Schwarz-Weiß-Aufnahme, in den ersten Sekunden bewegt sich nichts außer einigen Wellen im Wasser. Doch dann wird das ganze Bild für einen Moment weiß, die Aufnahme wackelt, Rauch steigt in die Luft, Explosionen beleuchten den Himmel. 

Das Video kursiert international. „Bilder von der Sprengung des Kachowka-Damms“, heißt es auf Deutsch in einem Telegram-Beitrag, ein Twitter-Nutzer verbreitete es auch auf Russisch.  Auch ein ukrainischer Twitter-Account veröffentlichte es – ohne Angabe, wer für die Sprengung verantwortlich ist und mit Zweifel daran, ob es echt ist. Der prorussische Kanal Neues aus Russland, der schon mehrfach mit Desinformation auffiel, schrieb auf Telegram zu dem Video: Die Ukraine stelle absichtlich alte Aufnahmen in falschem Kontext ins Netz.

Die Aufnahme ist zwar echt, doch veraltet: Schon im November 2022 veröffentlichten mehrere Medien das Video mit der Angabe, dass russische Truppen den Damm zerstört hätten. Aber auch die Ukraine hat den Damm im Jahr 2022 laut einem ukrainischen Offizier beschossen.

Auf Telegram wird ein schwarz-weiß-Foto geteilt, es zeigt die Sprengung eines Damms.
Dieses Video zeigt zwar den Kachowka-Staudamm, doch es stammt schon aus 2022 (Quelle: Telegram; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Russland und Ukraine geben sich gegenseitig die Schuld am Dammbruch

Ein Vergleich mit Google Maps belegt: Das Video zeigt eindeutig den Kachowka-Damm, der den Fluss Dnipro staut. Doch eine Bilder-Rückwärtssuche mit einem Standbild aus dem Video führt zu mehreren Ergebnissen aus dem Jahr 2022. Die britische Daily Mail etwa veröffentlichte die Aufnahme am 12. November 2022, laut dem Artikel zeigt sie den Moment, in dem der Staudamm von russischen Soldaten auf dem Rückzug gesprengt wurde. Auch der britische Telegraph schrieb 2022 zu dem Video, russische Truppen hätten den Damm teilweise zerstört, um den Vormarsch ukrainischer Truppen zu bremsen. Laut MDR hieß es an dem Tag aber auch von Russland, ukrainische Raketen hätten den Staudamm getroffen. Laut NTV kam es danach aber nicht zu größeren Überflutungen.

Ein Vergleich des Videos und Google Maps zeigt, dass die Details auf den Aufnahmen übereinstimmen.
Der Vergleich mit einer Aufnahme von Google Maps belegt, dass das Video tatsächlich den Kachowka-Damm zeigt. (Quelle: Google Maps; Screenshot, Collage und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Der ukrainische Militäroffizier Andriy Kovalchuk sagte außerdem der Washington Post, die Ukraine habe Angriffe mit Himars-Raketen auf den Damm getestet. Dabei habe die Ukraine drei Löcher in den Damm geschossen als Probe dafür, ob man damit den russischen Rückzug erschweren könne, ohne die Dörfer in der Nähe zu überfluten. Wann genau das war, sagte er nicht. Am 6. November 2022 – also einige Tage bevor das Video auftauchte – berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS von genau solchen Angriffen. 

Für den Bruch des Dammes am 6. Juni 2023 schieben sich die Ukraine und Russland die Verantwortung gegenseitig zu. Wolodymyr Saldo, Gouverneur der zum Teil immer noch russisch besetzten Region Cherson, schrieb auf Telegram von einem Raketenangriff des „Kiewer Regimes“. Mychajlo Podoljak, Berater des ukrainischen Präsidenten, schrieb hingegen auf Twitter, Russland habe das Wasserkraftwerk gesprengt und so die größte Umweltkatastrophe seit Jahrzehnten verursacht. Der Militärexperte Carlo Masala sagte T-Online: „Alles spricht dafür, dass die Russen den Damm gesprengt haben.“

Nachdem der Staudamm zerstört wurde, wurden sowohl russisch, als auch ukrainisch kontrollierte Gebiete geflutet, zahlreiche Bilder belegen die Katastrophe. Insgesamt mussten laut ZDF auf beiden Seiten des Flusses 40.000 Menschen evakuiert werden (Stand: 7. Juni 2023). Die russischen Besatzer sprechen laut Nachrichtenagentur APA von fünf Todesfällen in der besonders betroffenen Stadt Nowa Kachowka.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas

Update, 9. Juni 2023: Wir hatten im Text geschrieben, der Staudamm sei „explodiert“, Experten halten zwar eine Explosion für wahrscheinlich, sehen aber laut New York Times eine geringe Möglichkeit, dass es auch andere Ursachen für den Dammbruch gibt. Wir haben das konkretisiert.