Faktencheck

Tiktok-Video: Keine Anzeichen für „Uran-Wolke“ über Berlin nach Explosionen in der Ukraine

Eine Tiktok-Nutzerin behauptete im Mai, nach Explosionen in Chmelnyzkyj im Westen der Ukraine habe eine „Uran-Wolke“ Berlin erreicht. Das ist falsch – die Strahlenwerte lagen im normalen Bereich.

von Max Bernhard

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Radioaktive Strahlung kann man weder sehen noch riechen – das Bundesamt für Strahlenschutz betreibt aber in Deutschland rund 1.700 Messstationen (Symbolbild: Satakorn Sukontakajonkul / Zoonar / Picture Alliance)
Behauptung
Nach einer Explosion von angeblicher Uran-Munition in der westukrainischen Stadt Chmelnyzkyj habe eine „Uran-Wolke“ Berlin erreicht. Deutsche Medien hätten erst fünf Tage später über die Explosion berichtet.
Bewertung
Falsch. Daten der Berliner Senatsverwaltung und des Bundesamtes für Strahlenschutz zeigen keinen Strahlungsanstieg in Berlin und Umgebung. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Explosion in der Ukraine überhaupt Radioaktivität freigesetzt hat. Medien berichteten bereits am Tag des Vorfalls darüber.

Nach russischen Drohnen- und Raketenangriffen gab es am 12. Mai 2023 mehrere Explosionen in der Stadt Chmelnyzkyj im Westen der Ukraine. Ukrainischen Medienberichten zufolge wurde dabei kritische Infrastruktur getroffen. Von russischer Seite wird behauptet, darunter sei ein Lager mit Munition gewesen, die abgereichertes Uran enthält. Solche Munition verursacht eine geringe Strahlenbelastung, denn das verwendete abgereicherte Uran ist um etwa 40 Prozent weniger radioaktiv als natürliches.

In einem Tiktok-Video vom 19. Mai suggeriert eine Frau, dass davon eine direkte Gefahr für Deutschland ausgehe: „Was ihr glaube ich auch noch nicht wisst, ist, dass die Uran-Wolke Berlin erreicht hat“, sagt sie. Zudem hätten Medien hierzulande erst fünf Tage nach der Explosion darüber berichtet. Das Video erhielt auf Tiktok mehr als 21.200 Likes – und es wurde auch auf Facebook weiter verbreitet. Am selben Tag verbreiteten auch russische Staatsmedien die Falschbehauptung, eine radioaktive Wolke sei auf dem Weg nach Europa.

Die Behauptungen im Video sind falsch: In Berlin wurde laut der Strahlenmessstelle im fraglichen Zeitraum keine erhöhte Strahlung gemessen. In Deutschland berichteten zahlreiche Medien über die Explosionen und auch darüber, dass es danach keine Hinweise auf eine „radioaktive Wolke“ über der Ukraine gab (hier, hier und hier).

In Sozialen Netzwerken kursiert die Falschbehauptung, eine radioaktive Wolke habe Berlin erreicht. (Quelle: Facebook; Screenshot, Verpixelung und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

In Berlin gab es keine erhöhten Strahlenwerte 

Zum Verständnis: Es gibt in Deutschland rund 1,700 Messstationen, die stündlich die örtliche Strahlendosis aufzeichnen. Natürliche Ereignisse wie Regen können eine Ursache für einen leichten Anstieg sein oder – wie im März 2022 – Truppenbewegungen, die zu einem Strahlungsanstieg in der Region um Tschernobyl führten. Diese Messstationen messen die sogenannte Ortsdosisleistung (ODL) in Mikro-Sievert pro Stunde.

Wir haben bei der Strahlenmessstelle der Berliner Senatsverwaltung für Klimaschutz und Umwelt nachgefragt: Constanze Siedenburg, die Pressereferentin der Senatsverwaltung, schrieb uns in einer E-Mail, es habe weder am 19. Mai, noch an den Tagen davor und danach erhöhte Strahlenwerte in Berlin gegeben. „Die vorhandene natürliche radioaktive Strahlung […] beträgt im Berliner Stadtgebiet typischerweise 70 bis 120 Nano-Sievert [entspricht 0,07 bis 0,12 Mikro-Sievert] pro Stunde. Die aktuellen Werte liegen in diesem normalen Bereich.“

Einzelne Berliner Messstationen, wie zum Beispiel hier in Schönefeld, zeigen keinen Strahlungsanstieg im Mai 2023 (Quelle: BfS; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Sowohl öffentlich zugängliche Messdaten (hier) des Bundesamtes für Strahlenschutz, als auch die Umgebungsmessstellen des Forschungsreaktors BER II in Wannsee zeigten, dass die Strahlenwerte in diesen Tagen im normalen Bereich waren, schrieb uns die Sprecherin. Auch einzelne Messstellen in Berlin zeigen keinen Strahlungsanstieg, der auf eine radioaktive Wolke hinweisen würde.

Keine Belege für „Uran-Wolke“ nach Explosion in der Ukraine 

Selbst wenn es eine solche „Uran-Wolke“ gegeben hätte, wäre es unwahrscheinlich, dass diese Berlin erreichen könnte. Denn der Wind wehte laut der Berliner Senatsverwaltung wortwörtlich in eine andere Richtung: Zwischen dem 18. und 23. Mai sei die vorherrschende Windrichtung aus nordöstlicher Richtung gekommen. Auch der Leiter des Geschäftsbereichs Sicherheit und Strahlenschutz am Forschungszentrum Jülich, Burkhard Heuel-Fabianek, sagte uns, das Szenario, dass so eine Wolke Berlin erreichen könnte, sei „fachlich wirklich nicht vertretbar“.

Das Bundesamt für Strahlenschutz überprüft laut eigener Angabe täglich 500 bis 600 Messwerte in der gesamten Ukraine. Am 30. Mai teilte die Behörde mit, es gebe keine Hinweise darauf, dass bei der Explosion in Chmelnyzkyj überhaupt radioaktive Stoffe freigesetzt wurden. Zwar habe es nahe Chmelnyzkyj „minimal erhöhte Radioaktivitäts-Messwerte“ einzelner Sonden gegeben, so das Bundesamt weiter, für die könne es jedoch verschiedene Gründe geben: Wartungsarbeiten, Defekte und technische Fehler sowie andere lokale Begebenheiten. Ein Zusammenhang mit der Explosion sei „aus zeitlichen Gründen sowie aufgrund der vorherrschenden Wetterlage“ äußerst unwahrscheinlich.

Auch Polens Atomenergiebehörde erklärte, dass leicht erhöhte Strahlenwerte im Land und anderen Teilen Europas ein natürliches Phänomen seien, das beispielsweise bei Niederschlägen auftrete. Für Menschen und Umwelt gebe es keine Gefahr.

Ukrainische Behörden sagten ebenfalls, dass in der Region Chmelnyzkyj „keine Abweichungen von Strahlungsnormen und anderen lebensbedrohlichen Substanzen festgestellt wurden.“

Auch Messdaten der Europäischen Kommission zeigen keinen signifikanten Strahlungsanstieg in Europa.

Eine Online-Karte der EU-Kommission zeigt für den 13. Mai bis 20. Mai 2023 keinen signifikanten Strahlungsanstieg in Europa (Quelle: Europäische Kommission; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Redigatur: Steffen Kutzner, Sarah Thust