Faktencheck

Nein, Vergleich mit 1997 belegt nicht, dass die „Tagesschau“ Wetterkarten manipuliert

Jedes Jahr aufs Neue: Eine irreführende Collage mit Wetterkarten der „Tagesschau“ soll zeigen, dass die Sendung hohe Temperaturen absichtlich farbintensiver darstelle, um Panik zu erzeugen. Wir ordnen ein, warum die Wetterkarten unterschiedlich aussehen.

von Pascal Kornatz

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Links eine Wetterkarte der „Tagesschau“ aus dem Jahr 1997, rechts eine Karte aus dem Jahr 2023 (Quelle: Twitter)
Behauptung
Die „Tagesschau“ stelle durch die Farbgebung ihrer Wetterkarten Temperaturen von 26 Grad Celsius im Jahr 2023 heißer dar als noch 1997.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. In den Beiträgen fehlt die Einordnung, von wann die Wetterkarten stammen. Dies ist relevant, da die Farbgebung der Karten in der „Tagesschau“ saisonal an die erwarteten Temperaturen angepasst wird. Die Karte aus dem Jahr 1997 sendete die „Tagesschau“ im Sommer, die Karte aus dem Jahr 2023 im Frühling. Die Sendung hat seit 1997 die Intensität der Farben zweimal umgestellt. Dadurch werden alle Farben intensiver dargestellt, nicht nur das Rot.

Das Wetter wird wieder sommerlich und im Netz verbreiten Nutzerinnen und Nutzer wie schon seit Jahren angeblich manipulierte Wetterkarten. Seit 2019 verbreiten sich solche Vergleiche immer wieder im Netz. Das Narrativ: Bei hohen Temperaturen seien Wetterkarten im Fernsehen heute intensiver gefärbt, um Panik vor dem Klimawandel zu erzeugen. Unter anderem der AfD-Politiker Georg Pazderski teilte dazu aktuell eine Collage von zwei Wetterkarten im Netz und schrieb dazu: „Offensichtlich sind 26° Celsius heute viel heißer als noch vor 26 Jahren. Tagesschau 1997 und 2023.“ Die abgebildeten Temperaturen sind ähnlich, aber die Farben unterscheiden sich; das auf der Karte vorherrschende Rot, das Hitze anzeigt, ist 1997 blasser. Während auf der Karte von 2023 auch Temperaturen bis 23 Grad Celsius in Rottönen abgebildet werden, zeigt die Karte von 1997 erst ab 26 Grad orange, ab 27/28 Grad Rottöne.

Doch der Vergleich hinkt, bei der aktuellen Collage gehen direkt zwei Dinge durcheinander.

Die auf Twitter verbreitete Gegenüberstellung von „Tagesschau“-Wetterkarten
Die auf Twitter verbreitete Gegenüberstellung von „Tagesschau“-Wetterkarten (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

„Tagesschau“ hat Farbgebung der Wetterkarten seit 2002 aus technischen Gründen zweimal angepasst 

Die Wetterkarten von 1997 und 2023 haben eine andere Farbgebung. Wir haben bei der ARD bereits im Juli 2022 nachgefragt, weshalb sich die Darstellung vergleichbarer Temperaturen im Laufe der Jahre so verändert hat. Zuständig für die „Tagesschau“ ist eine Gemeinschaftsredaktion beim NDR. Pressesprecherin Barbara Jung erklärt uns dazu per E-Mail: Die Intensität der Farben habe die Sendung seit 2002 zweimal angepasst, jeweils im Jahr 2005 und 2014.

Die Anpassungen hätten technische und gestalterische Gründe: „Die Grafiksoftware, die Darstellung von Farben an Monitoren, die Auflösung von Monitoren – all das hat sich in den vergangenen 20 Jahren weiterentwickelt. Auch hat sich das darstellbare Farbspektrum vergrößert: Je größer das Farbspektrum, desto größer der Kontrast, desto besser lässt sich der Inhalt der Grafik für die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen.“

Farben der „Tagesschau“-Wetterkarten ändern sich je nach Jahreszeit oder erwarteten Temperaturen

Die in den sozialen Medien geteilten Wetterkarten stammen von unterschiedlichen Zeitpunkten im Jahr. Die aktuelle Karte ist vom 4. Juni 2023, nebenan gestellt wurde eine Wetterkarte vom 13. Juli 1997. Dass sie sich in der Farbgebung unterscheiden, liegt daran, dass die Farben je nach Jahreszeit oder sogar je nach Monat angepasst werden.

„Wir benutzen über das Jahr hinweg verschiedene Karten, deren Farbgebung jeweils an die zu erwartenden Temperaturen angepasst sind“, erklärte uns schon 2022 Silke Hansen. Sie leitet beim Hessischen Rundfunk die Wetter-Redaktion und verantwortet die Wetterkarten der „Tagesschau“. Üblicherweise seien es vier verschiedene Karten – eine für jede Jahreszeit. Der Sommer beginnt am 21. Juni mit der Sommersonnenwende. Daher wird auf dem in den sozialen Medien geteilten Bild eine Sommerkarte mit einer Frühlingskarte der „Tagesschau“ verglichen.

Heutzutage werden die Karten sogar mehrmals pro Jahr angepasst. Das liege zum Beispiel daran, dass es oft schon früher im Jahr deutlich wärmer werde, erklärte uns Hansen. „Würden wir dann weiterhin die Frühjahrskarte benutzen, obwohl die Temperaturen in weiten Teilen des Landes schon deutlich höher sind als erwartet, wäre die ganze Karte rot und man würde keine Abstufungen mehr sehen“. Deshalb werde die Farbgebung über das Jahr hinweg immer wieder angepasst, wenn es nötig sei.

Farben der Wetterkarten lassen sich bei einem Vergleich nicht eins zu eins übertragen

Legt man die Wetterkarte vom 4. Juni 2023 der Karte vom selben Tag im Juni 1997 gegenüber, ergibt sich eine ähnliche rote Färbung. Auf der Frühlingsvariante der Karte im Jahr 1997 waren Temperaturen ab 24 Grad Celsius ebenfalls in Rottönen dargestellt und es ergibt sich insgesamt ein ähnliches Farbbild im Vergleich mit 2023. 

So würde der Vergleich der Wetterkarten von 1997 und 2023 mit demselben Datum aussehen
So würde der Vergleich der Wetterkarten von 1997 und 2023 mit demselben Datum aussehen (Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Einige Leser schickten uns weitere Wetterkarten zu – darunter zwei Karten vom 13. Juli 1997 und vom 13. Juli 2022 aus der 20-Uhr-Sendung der „Tagesschau“. Dort unterscheidet sich die Darstellung der Temperaturen scheinbar stärker als beim Vergleich der Karten vom 4. Juni.

Darum hakten wir am 21. Juni nochmal bei der Pressestelle der Sendung nach: „Die Farbdarstellungen lassen sich nicht eins zu eins übereinander legen“, antwortete uns Sabine Renken, Sprecherin beim Hessischen Rundfunk. „Das genutzte Farbspektrum war 1997 insgesamt kleiner und deutlich weniger Farben standen zur Verfügung, um eine Temperaturspanne abzubilden.“ 

Links eine Tagesschau-Wetterkarte vom 13. Juli 1997, rechts eine vom 13. Juli 2022 (Quelle: Tagesschau; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Für die Karte aus dem Jahr 1997 seien nur fünf Farben verwendet, schrieb uns Renken. Alles unter 20 Grad etwa war einheitlich blau gefärbt. Für die höheren Temperaturen habe man orange und rot verwendet, jeweils in einer einzigen Schattierung.

Anders ist es 2023: „Schon die Farbtöne orange und rot sind in sechs Farbschattierungen dargestellt“, schreibt uns Renken. „Mit der breiten Farbpalette können Temperaturen genauer dargestellt werden, ohne die Farbkarte insgesamt wechseln zu müssen.“

Wie wir bereits hier ausführlich berichtet haben, lenken Vergleiche von Wetterkarten immer wieder von den eigentlichen Fakten zum Klimawandel ab: Heiße Sommer und extreme Hitzetage werden immer häufiger.

 

Update, 26. Juni: Wir haben in der Bewertung ergänzt, dass den Beiträgen die Einordnung fehlt, von wann die Wetterkarten stammen. Nachdem uns zudem einige Leser auf die Karten vom 13. Juli 1997 und 2022 hingewiesen hatten, haben wir den Faktencheck um das Beispiel erweitert und eine Anfrage bei der „Tagesschau“ gestellt.

Redigatur: Viktor Marinov, Uschi Jonas

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