Faktencheck

Warum die Wetterkarten der „Tagesschau“ heute anders aussehen als vor 20 Jahren

Auf Twitter vergleicht ein Nutzer eine aktuelle Wetterkarte der „Tagesschau“ mit einer 20 Jahren alten Karte. Obwohl die Temperaturen vergleichbar sind, unterscheiden sich die Darstellungen in der Farbintensität. Das hat mehrere Gründe – eine vermeintliche Klimawandel-Panikmache ist jedoch keiner davon.

von Steffen Kutzner

Die „Tagesschau“ stellt Temperaturen heute im Wetterbericht farblich anders dar als vor 20 Jahren. Das wird von einigen Menschen als Absicht interpretiert, das Publikum zu beeinflussen. Die unterschiedlichen Farben haben aber andere Gründe. (Symbolbild: Pixabay / Geralt)
Behauptung
Die „Tagesschau“ stelle in aktuellen Wetterberichten hohe Temperaturen farbintensiver dar als vor 20 Jahren, damals sei für ähnliche Temperaturen ein matteres Rot genutzt worden.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Alle Farben werden heute intensiver dargestellt als 2002, nicht nur das Rot. Das ist kein Beleg für manipulative Berichterstattung, sondern hat unter anderem technische Gründe.

Am 17. Juni verbreitete der Twitter-Nutzer „Argo Nerd“ ein Bild, auf dem er eine aktuelle Wetterkarte der „Tagesschau“ mit einer Wetterkarte desselben Tages vor 20 Jahren vergleicht. Die Temperaturen sind ähnlich, aber die Farben unterscheiden sich; das auf der Karte vorherrschende Rot, das Hitze anzeigt, ist 2002 schwächer dargestellt. 

Mit dem Vergleich wird suggeriert, dass die Darstellung auf der Wetterkarte heute dramatischer ist, obwohl die Temperaturen 2002 vergleichbar hoch waren. „2025 mit Totenköpfen“, kommentiert ein Nutzer lakonisch. Andere sprechen von „psychologischen Farbeffekten“ oder mutmaßen, die Farbe sei „an die politische Strömung“ angepasst worden. Gemeint ist damit offenbar die Berichterstattung über den Klimawandel. Rund 2.000 Mal wurde der Beitrag auf Twitter geteilt. 

Auf dem anonymen Account von „Argo Nerd“, der auf Twitter 91.000 Follower hat, werden häufig aus dem Kontext gerissene Gegenüberstellungen von Schlagzeilen verbreitet, die auf vermeintlich widersprüchliche Berichterstattung der Medien hinweisen sollen. Damit machte er unter anderem auch Stimmung gegen Covid-19-Impfungen. 

In diesem Fall ist sein Vergleich der Wetterkarten irreführend und verleitet zu falschen Schlussfolgerungen. Denn wie unsere Recherche zeigt, ist nicht nur das Rot intensiver als vor 20 Jahren, sondern auch alle anderen Farben – das hat technische und gestalterische Gründe. Es ist zudem ein Irrtum, dass für eine bestimmte Temperatur immer dieselbe Farbe verwendet wird.

Die auf Twitter verbreitete Gegenüberstellung von Tagesschau-Wetterkarten (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Bilder in der Collage auf Twitter sind echt: Die linke Wetterkarte stammt, wie angegeben, aus der 20-Uhr-„Tagesschau“ vom 16. Juni 2022 (Minute 14:23). Das Bild rechts stammt vom 16. Juni 2002 aus der 20-Uhr-Sendung (Minute 20:44). 

„Tagesschau“ stellt alle Farben auf den Wetterkarten intensiver dar, um sie besser erkennbar zu machen

Wir haben bei der ARD nachgefragt, weshalb sich die Darstellung vergleichbarer Temperaturen im Laufe der Jahre so verändert hat. Zuständig für die „Tagesschau“ ist eine Gemeinschaftsredaktion beim NDR. NDR-Pressesprecherin Barbara Jung erklärt uns dazu via E-Mail, dass die Intensität der Farben seit 2002 zweimal angepasst wurde, im Jahr 2005 und im Jahr 2014. Die Anpassungen hätten technische und gestalterische Gründe: „Die Grafiksoftware, die Darstellung von Farben an Monitoren, die Auflösung von Monitoren – all das hat sich in den vergangenen 20 Jahren weiterentwickelt. Auch hat sich das darstellbare Farbspektrum vergrößert: Je größer das Farbspektrum, desto größer der Kontrast, desto besser lässt sich der Inhalt der Grafik für die Zuschauerinnen und Zuschauer erkennen.“

Jedoch sei nicht nur das Rot für hohe Temperaturen intensiver geworden: „Alle Farben [sind] gleichermaßen intensiver geworden: Das Rot genauso wie das Orange, das Grün, das Gelb oder das Blau. Ziel ist immer, die bestmögliche Erkennbarkeit zu gewährleisten.“

Diese überarbeitete Farbgestaltung bestätigt sich, wenn man ältere Sendungen der „Tagesschau“ mit aktuellen Sendungen vergleicht. Wir haben hierfür Karten genommen, die nicht aus Sommermonaten stammen, damit man auch die Farbgestaltung der kühleren Temperaturen sieht. Beispielhaft vergleichen wir die Wetterkarten vom 28. März 2002 (Minute 15:16) mit denen vom 28. März diesen Jahres (Minute 14:38):

Jeweils links die Wetterkarten vom 28. März 2002 (Tag und Nacht), jeweils rechts die vom 28. März 2022. Alle Wetterkarten stammen aus der 20-Uhr-Sendung der „Tagesschau“. (Quelle: ARD / Youtube; Screenshots und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Gegenüberstellung macht zwei Dinge deutlich: Zum einen werden tatsächlich alle Farben leicht anders und zum Teil intensiver dargestellt, nicht nur das Rot. Das ist etwa am Gelb im nördlichen Bayern auf den Tag-Karten zu sehen. Und zum Zweiten unterscheiden sich auch bei kühlen Temperaturen die Farbgebungen: 3 Grad Celsius wurden 2002 grün dargestellt, 2022 jedoch blau, also „kälter“ als vor 20 Jahren. Temperaturen von 13 Grad wurden 2002 orange dargestellt, 2022 jedoch hellgrün. Das widerspricht direkt der These, die „Tagesschau“ würde Temperaturen heute grundsätzlich „wärmer“ darstellen als früher. 

Wetterkarten-Verantwortliche der „Tagesschau“: Farbgebung wird mehrmals im Jahr angepasst, um Temperaturen besser abzubilden 

Wir haben bei der „Tagesschau“ weiter nachgefragt, weshalb dieselben Temperaturen teilweise unterschiedliche Farben haben, sogar innerhalb derselben Jahreszeit. Silke Hansen, die beim Hessischen Rundfunk die Wetter-Redaktion leitet und die Wetterkarten der „Tagesschau“ verantwortet, sagte uns: „Wir benutzen über das Jahr hinweg verschiedene Karten, deren Farbgebung jeweils an die zu erwartenden Temperaturen angepasst sind.“ Üblicherweise seien das vier – eine für jede Jahreszeit. Ein Temperaturbereich habe beispielsweise im Frühjahr eine andere Farbe als im Sommer. Denn: 20 Grad im März sind im Verhältnis wärmer, als es 20 Grad im Juli wären, weshalb 20 Grad im Frühjahr beispielsweise orange oder rot sein könnten, im Sommer jedoch nur gelb oder grün. 

„Inzwischen müssen wir die Farbgebung häufiger als viermal pro Jahr anpassen, weil es beispielsweise oft schon früher im Jahr deutlich wärmer wird. Würden wir dann weiterhin die Frühjahrskarte benutzen, obwohl die Temperaturen in weiten Teilen des Landes schon deutlich höher sind als erwartet, wäre die ganze Karte rot und man würde keine Abstufungen mehr sehen.“ Deshalb werde die Farbgebung über das Jahr hinweg immer wieder angepasst, wenn es nötig sei. 

Vergleiche der Wetterkarten in Sozialen Netzwerken sind manipulativ

Aus diesem Grund ist ein Vergleich der Farbgebungen in den Wetterkarten mit anderen Jahren oder sogar mit anderen Tagen innerhalb derselben Jahreszeit irreführend. Auch die immer wieder aufgestellte Behauptung, die „Tagesschau“ berichte durch die intensiveren Farben dramatischer über Hitze, ist haltlos, wie wir kürzlich in einem Hintergrundtext erklärt haben. 

Silke Hansen ist mit diesem Narrativ vertraut. Sie erklärt dazu: „Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Gerade bei hohen Temperaturen wird die Farbgebung eher heruntergestuft, damit nicht die ganze Karte rot ist.“ Sie betont, dass die Farbgebung der Wetterkarten nicht instrumentalisierend verstanden werden dürfe: „Die Wetterkarten der Tagesschau sind nicht politisch. Es geht immer ausschließlich darum, dass der Zuschauer auf einen Blick sehen kann, wo es in Deutschland wärmer ist, und wo kühler.“ 

Fazit: Ein Vergleich der Farbgebungen für bestimmte Temperaturen aus dem Jahr 2002 mit 2022 ist aus mehreren Gründen irreführend. Zum einen hat die „Tagesschau“ die Darstellung seit damals mehrfach überarbeitet und alle Farben, nicht nur das Rot, intensiver dargestellt. Technische Fortschritte ermöglichten es, die Farben kontrastreicher darzustellen. Zudem passt die „Tagesschau“ die Zuordnung der Farben zu bestimmten Temperaturbereichen im Laufe des Jahres immer wieder an, damit das Fernsehpublikum die Temperaturunterschiede stets gut erkennen kann.

Redigatur: Viktor Marinov, Alice Echtermann