Faktencheck

Warum Deutschlands Boden trotz Regenwetter im Juli von Dürre betroffen ist

Weil das ZDF trotz des regenreichen Julis über Dürre und Trockenheit in Deutschland berichtet, zweifeln Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken die Berichterstattung an. Dabei schließen sich laut Fachleuten Regen und Dürre nicht zwangsläufig aus.

von Paulina Thom

Regnerisches Wetter in Brandenburg
Das Wetter im Juli war deutschlandweit wechselhaft, vergleichsweise regnete es viel. Trotzdem berichtet das ZDF über Trockenheit in Deutschland. Unser Faktencheck zeigt, warum das kein Widerspruch ist. (Quelle: Picture Alliance / DPA / Jens Kalaene)
Behauptung
Die Berichterstattung des ZDF über Dürre und Trockenheit ergebe keinen Sinn, denn in Deutschland regne es seit Wochen.
Bewertung
Falsch. Das ZDF berichtete über die Trockenheit des Bodens in einer Tiefe von 1,8 Metern. Dieser erholt sich trotz Regen nur schlecht von Dürre, weil im Sommer nur wenig Regenwasser in die Tiefe sickert und Pflanzen in dieser Jahreszeit viel davon verbrauchen. Um das zu ändern, müsste es noch wochenlang gleichmäßig regnen.

„Sagt mal, ZDF, wen wollt ihr eigentlich verarschen?“, empört sich ein Nutzer auf Twitter über eine Karte vom 2. August, die den dann aktuellen Stand zur Dürre in Deutschland zeigte. Dort, wo es laut der Karte besonders trocken sein soll, „hört es seit zwei Wochen quasi nicht mehr auf zu regnen“, schreibt der Nutzer dazu. Gleich mehrere Beiträge in Sozialen Netzwerken werfen dem öffentlich-rechtlichen Sender vor, er berichte über Dürre, obwohl das in Widerspruch zum aktuellen Regenwetter stehe. 

Doch dieser Vorwurf ist laut Expertinnen und Experten haltlos: Weil es eine Zeit lang viel regnet und der Boden nass aussieht, heißt das nicht, dass die Trockenheit, insbesondere in tieferen Schichten, sofort verschwindet. 

Screenshot eines Beitrages auf Twitter, der das ZDF für seine Berichterstattung kritisiert
Beiträge auf Twitter kritisierten Anfang August einen ZDF-Artikel über Dürre in Deutschland (Quelle: Twitter; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Dürre-Karte im ZDF-Artikel bezieht sich auf den Boden bis 1,8 Meter Tiefe

Die Wahrnehmung der Nutzerinnen und Nutzer über den vielen Regen stimmt: Der Juli war laut dem Deutschen Wetterdienst „verbreitet nass“, insbesondere im letzten Monatsdrittel regnete es bundesweit viel. Wie lässt sich das mit dem Artikel des ZDF vom 2. August 2023 zusammenbringen? 

Der Artikel bezieht sich auf den „Dürremonitor Deutschland“ des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), er gibt täglich Auskunft über die Bodenfeuchte. Wie das ZDF in der Bildunterschrift der Karte schreibt, bezieht sich die Aussage „So trocken ist es aktuell in Deutschland“ auf die Gesamtbodenfeuchte in einer Tiefe bis zu etwa 1,8 Metern. Auf der UFZ-Webseite weist der Dürremonitor auch die Feuchtigkeit des sogenannten Oberbodens bis zu einer Tiefe von 25 Zentimetern aus. Das ist ein wichtiger Unterschied – dazu später mehr. 

Die Bodenfeuchte werde über ein hydrologisches Modell simuliert, heißt es auf der Webseite des UFZ. Das Modell enthalte verschiedene Informationen, etwa zur Bodenart, Bodentiefe, Höhenlage, Landnutzung und zum Verlauf von Flüssen in Deutschland, erklärt Andreas Marx, Leiter des Dürremonitors in einem Video. Jede Nacht werde das Modell mit Wetterdaten gefüttert. Dafür nutze der Dürremonitor Messdaten von 2.500 Stationen des Deutschen Wetterdienstes.

Screenshot der Karte im ZDF-Artikel
In der Bildunterschrift der Grafik erklärt das ZDF, dass es um die Feuchtigkeit des Gesamtbodens geht. Beim Klick auf das Info-Symbol erfährt man, warum manche Gebiete dunkler eingefärbt sind. (Quelle: ZDF; Screenshot und Markierung: CORRECTIV.Faktencheck)

Das ZDF schreibt zudem, die Karte gebe Auskunft über das „30-Tage-Mittel“, den Durchschnittswert von 30 Tagen, im Vergleich zum Zeitraum 1951 bis 2015. 

Expertin: Regen und Dürre sind kein Widerspruch

Sabine Attinger, Wissenschaftlerin am UFZ und Professorin für Mathematische Hydrologie an der Universität Potsdam, erklärt uns auf Anfrage: Zwei bis drei Wochen Regen und Dürre seien kein Widerspruch. 

Denn der Begriff „Dürre“ sei vor allem eine statische Einordnung der aktuellen Situation in einen viel längeren Zeitraum; wie durch die Bildunterschrift des ZDF deutlich wird. Der Begriff Dürre beschreibe, wie stark die aktuelle Situation von vergangenen Situationen abweiche. Im konkreten Fall also von den Jahren 1951 bis 2015. „Erst wenn es so trocken ist, wie man es statistisch alle fünf Jahre erwarten würde, ist es eine Dürre“, so Attinger.

Nur ein geringer Teil des Niederschlags im Juli gelangt in tiefere Bodenschichten

Warum viel Regen und trockener Boden gleichzeitig auftreten können, erklärt uns Axel Bronstert, Hydrologe und Professor am Institut für Umweltwissenschaften und Geografie an der Universität Potsdam: Der Boden funktioniere wie ein Schwamm. „Wenn er ziemlich trocken ist, nimmt er das Wasser zwar auf, aber unten sickert nichts durch.“ 

Weiter erklärt Bronstert: „In Brandenburg gehen etwa 80 Prozent des Regenwassers in den Boden, 20 Prozent fließen über das Grundwasser in die Flüsse der Region.“ Von den 80 Prozent Wasser, die im Boden versickerten, werde dann ein Großteil von den Pflanzen aufgenommen und über die Blätter verdunstet – das sei insbesondere im Frühjahr, Sommer und frühen Herbst der Fall, weil die Pflanzen sich dann in ihrer Vegetationsphase befinden. 

Daher lande, solange der Oberboden bei Beginn des Regens recht trocken sei, nur ein geringer Teil des Wassers in tieferen Bodenlagen – also im Gesamtboden, sagt Bronstert. Das heißt: Bäuerinnen und Hobbygärtner müssten zwar gerade nicht wässern, aber wegen des Regens der letzten Wochen anzunehmen, es gäbe in einigen Regionen Deutschlands keine Dürre, greift laut Bronstert zu kurz. 

„Bis das Wasser in die tiefen Bodenschichten vordringt, müsste es noch wochenlangen Landregen geben – keinen Starkregen, denn der fließt über die Flüsse sofort wieder Richtung Meer und geht somit der Natur verloren“, schreibt Attinger vom UFZ.

Tiefere Bodenschichten erholen sich bei Regen langsamer von Trockenheit und Dürre

Die Unterschiede zwischen Oberboden (bis 25 Zentimeter Tiefe) und Gesamtboden (bis 1,8 Meter Tiefe) zeigen die Grafiken des Dürremonitors, die die Entwicklung der Trockenheit vom 20. Juli bis zum 2. August 2023 abbilden. Der Oberboden hat sich aufgrund des Regens viel schneller von der Trockenheit erholt als der Gesamtboden. Beim Gesamtboden lässt sich erkennen, dass er – trotz des Regens in den vergangenen Wochen – in einigen Regionen Deutschlands trockener ist als im Vergleichszeitraum von 1951 bis 2015. 

Screenshot einer Animation des Dürremonitors
Eine Animation des UFZ mit dem Verlauf der Dürresituation vom 20. Juli bis 2. August 2023 zeigt, dass sich der Gesamtboden (links oben und unten) trotz Regen langsamer von der Trockenheit erholt als der Oberboden (rechts oben und unten) (Quelle: UFZ/Dürremonitor; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Sabine Attinger schreibt uns: „In vielen Regionen Deutschlands haben die Niederschläge [der letzten Wochen, Anm. d. Red.] dafür gesorgt, dass zumindest die oberen Bodenschichten gut durchfeuchtet sind.“ Nur in wenigen Regionen Deutschlands sei aktuell der Oberboden von extremer oder außergewöhnlicher Dürre betroffen, wie in Teilen von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern. Zu wenig Wasser für Pflanzen, die im Oberboden wurzeln, gebe es derzeit nur im Süden von Brandenburg und Sachsen-Anhalt. 

Tiefe Bodenschichten in vielen Teilen Deutschland nach wie vor trockener als in den vergangenen 70 Jahren

In den tieferen Bodenschichten sei es aber nach wie vor in vielen Regionen Deutschlands viel trockener als in den vergangenen 70 Jahren, schreibt Attinger weiter. Einen solchen Langzeitvergleich zeigt auch eine Karte des UFZ mit Daten seit 1952: 

Dürrekarten seit 1952
Diese Karte des Dürremonitors zeigt die Trockenlage des Gesamtbodens in Deutschland seit 1952 an. Seit 2018 waren große Teile Deutschlands mehrere Jahre in Folge von Dürre betroffen. (Quelle: UFZ/Dürremonitor; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Gleich drei Dürrejahre in Folge gab es seit 2018. 2021 entspannte sich die Lage aufgrund von ausgeglichenem Niederschlag etwas, doch 2022 war es in Teilen Deutschlands wieder zu trocken, berichtet das Umweltbundesamt

Welche Folgen die Dürrejahre auf das Grundwasser in Deutschland hatten, zeigte CORRECTIV erstmals 2021: An knapp der Hälfte aller damals ausgewerteten Orte war das Grundwasser auf den tiefsten Stand seit 1990 gefallen.

Mehr Regen im Winter für den Gesamtboden entscheidender als im Sommer

„Wirklich Feuchtigkeit aufbauen kann sich bis in die tieferen Bodenschichten eher über das Winterhalbjahr“, erklärt Attinger weiter. Das sagt auch Axel Bronstert: Im Winter benötigten die meisten Pflanzen weniger oder gar kein Wasser. Der Boden sei dann besser durchfeuchtet und mehr Wasser könne tiefer und bis in das Grundwasser versickern. So werde der Grundwasserspiegel wieder angehoben, der im Sommerhalbjahr regelmäßig abnehme. 

Allerdings verlängere sich durch die globale Erwärmung die Wachstumsperiode von Pflanzen, weil es früher im Jahr warm werde, sagt Bronstert. Zudem steigen in Hitzeperioden die täglichen Verdunstungsraten. Pflanzen benötigten also schon früher und über einen längeren Zeitraum Wasser und davon mehr pro Tag in Hitzeperioden. Damit die Böden langfristig ausreichend Wasser speichern, erklärt Attinger, müsse es im kommenden Winter mehr regnen als in den Jahren zuvor.

Fazit: Die ZDF-Karte zeigt die Dürre des Gesamtbodens bis 1,8 Meter Tiefe und nicht des Oberbodens, der nur die oberen 25 Zentimeter umfasst. Der Oberboden hat sich in weiten Teilen Deutschlands durch den regenreichen Juli von der Trockenheit erholt, nicht jedoch der Gesamtboden. 

Im Sommer sickert nur ein geringer Teil des Regenwassers bis in tiefere Bodenschichten. Das meiste Wasser verbrauchen die Pflanzen. Laut Expertinnen und Experten müsste es entweder aktuell noch mehrere Wochen Landregen geben oder im kommenden Winter mehr regnen, um das Wasserdefizit auszugleichen. Die Berichterstattung des ZDF ist daher kein Widerspruch zur Realität: Es gab in den letzten Wochen viel Regen, doch der Gesamtboden ist in einigen Regionen Deutschlands nach wie vor von Dürre betroffen. 

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • ZDF-Artikel, 02. August 2023: Link (archiviert)
  • Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung: Link

Update, 15. August 2023: Wir haben im Abschnitt, der den Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums einführt, eine Stelle angepasst, in der es hieß, die Bodenfeuchte werde „gemessen“. Tatsächlich wird die Bodenfeuchte über ein Modell, in das Messdaten eingehen, simuliert. Darüber haben wir Informationen in einem weiteren Abschnitt ergänzt.